Gegen Viertel vor Sechs reckte R. seine Faust in die schon tief stehende Sonne und rief: „Zweinull für uns!“
R. ist neun, ich bin seit einem Jahr sein Lesepate. Der Vater hat Krebs, die Mutter macht sich stark und versucht, den Kopf über Wasser zu halten. Ich hatte R. eingeladen zum Derby gegen Preußen Münster, Bratwurst in der Pause inclusive.
Ich hatte ihn zuhause abgeholt und dort seinen Vater kennengelernt, der nach einer zweiten Operation zu Beginn der Woche überraschend schon zum Wochenende aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Wir hatten Kaffee getrunken und dabei über die Niederlagen der Deutschen gegen die Italiener gefachsimpelt, zum Beispiel 1970, das habe er als Kind vor dem Fernseher miterlebt, unvergessen bis heute. Als R. und ich gingen, drückte er mir fest die Hand.
Auf der Alm sahen wir ein ansehnliches Spiel. R. konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf den Fanblock der Arminen, den wir von unseren Sitzplätzen auf der Osttribüne gut beobachten konnten. Ihn faszinierten der Trommler, der die Massen dirigierte, und die Hassgesänge gegen die Preußen. Mich faszinierten die drei jungen Frauen in der Reihe vor uns: alle schlank und schön, mit hochhackigen roten Schuhen und einem nicht ganz jugendfreien Wortschatz – jedenfalls was die Gegner und den Schiedsrichter betraf.
In der Pause am Bratwurststand stellten wir uns zu den Luhmann-Schülern mit den schwarzweißblauen Schals, die diesmal auf systemtheoretische Analysen des Spielverlaufs verzichteten und lieber Mutmaßungen über den Wangenkuss anstellten, mit dem eine ehemalige Schülerin, die ich lange nicht gesehen hatte, mich begrüßte. R. kaute an der Bratwurst, holte sich eine Cola, hörte den alten Männern aufmerksam zu und schaute mich interessiert an.
Nach dem Spiel fuhren wir zu uns. Seine Mutter, die ihn hier abholte, war schon da, und wir aßen vom Erdbeerkuchen meiner Frau. Mit R. suchte ich im Internet nach der Hymne der Arminen, wir fanden sie und druckten sie für ihn aus:
Die Zeit ist reif, jetzt aufzudrehen, / die Zeit ist reif, unsren Weg zu gehen, / gib nicht auf, lasst uns gemeinsam die Zukunft sehen. / Arminia, Arminia, wir sind die besten Fans der Welt, / und unser Herz schlägt nur für dich, Arminia Bielefeld
Später, als unsere Gäste gegangen waren, berichtete meine Frau, R.s Mutter habe ihr gesagt, dass die Ärzte ihrem Mann eine ganz gute Prognose gäben. Im September sei noch eine dritte Operation notwendig. Sie wollten uns irgendwann in den Sommerferien mal zum Grillen einladen.
gib nicht auf, lasst uns gemeinsam die Zukunft sehen.
Kommentare 1
Lieber Koslowski,
für R und seine Familie ist es eine Gnade, so eine Unterstützung zu haben.
Und für uns anderen könnte es ein Signal sein, mal selbst den hochzukriegen, auf dem wir sitzen.
Danke.
Ismene