Abschied

PRODUKTIVE FEHLER Moritz de Hadelns letzte Berlinale

Ich gebe zu, dass ich von Anfang an nach Signalen dafür suchte, dass dies die letzte Berlinale unter der Leitung von Moritz de Hadeln sein würde. Aber dass es so dicke kam, hat mich dann doch gewundert. "Pfusch beim Druck der Berlinale-Broschüre", wurde bereits vier Tage vor Festival-Eröffnung gemeldet: Auf dem offiziellen Programmheft, das in 100 000 Exemplaren in der ganzen Stadt verteilt wurde, fehlte das Berlinale-Signet.

Seit Freud ist es Allgemeingut: Fehler sind die Sprache des Unbewussten. Anders gesagt: Es gibt gar keine "Fehler"; man braucht nur manchmal etwas länger, bis man dahinterkommt, warum man getan hat, was man tat. Ich vermute also, dass wem auch immer dieser "Fehler" unterlief nur das (wieder) sichtbar machte, was Moritz de Hadeln und sein treuer Graphiker Volker Noth eigentlich zum Ausdruck bringen wollten.

Mit Werbung fürs Kino hat das diesjährige Berlinale-Plakat nämlich nur noch am Rande zu tun. In der oberen Bildhälfte rast von rechts ein roter Schnellzug ins Bild; aus der unteren Hälfte kommt uns der Unterleib eines Radfahrers entgegen. Und genau in der Mitte prangt ein knallrotes Stoppschild. Um diese ziemlich brutale Collage zu entschlüsseln, müssen wir in den April letzten Jahres zurückblenden: De Hadeln Co. hatten eben den logistisch komplexen Umzug der Berlinale an den Potsdamer Platz mit Bravour absolviert. Sie wähnten sich fest im Sattel, in vollem Galopp neuen Besucherrekorden entgegen - da knallt ihnen Michael Naumann die rote Kelle vors Gesicht. Kündigung; de Hadeln soll es aus der Zeitung erfahren haben, bevor ihn Naumanns Brief erreichte. Der hatte freilich nur kaltschnäuzig den einen vorzeitigen Kündigungstermin genutzt, den der bis 2003 laufende Vertrag des Festivaldirektors vorsah. Denn Naumann mochte de Hadeln nicht. Und hat bald gemerkt, dass viele ihn nicht mögen. Hinter den Kulissen engagierte er Dieter Kosslick als Nachfolger - und stellte de Hadeln den Stuhl vor die Tür: Stopp!

In zwanzig Jahren, auf dann historischen Fernseh-Ausschnitten, wird Moritz de Hadeln ziemlich fremd und out of this world wirken: ein bisschen wie Ludwig Erhard. Und unsere Kinder werden sich wundern, wie damals ein Mann über 20 Jahre lang Berlinale-Chef sein durfte, der sich so unbeholfen bewegte, so unglücklich dreinschaute und auf deutsch nicht einen grammatikalisch korrekten Satz zustande brachte.

Der Anfang und das Ende einer Erzählung sind die privilegierten Augenblicke. An den Schluss hat de Hadeln die Wiederaufführung eines unbestrittenen Glanzstücks der jüngeren Filmgeschichte gesetzt: 2001: Odyssee im Weltraum von Stanley Kubrick. Er weiß, was ein guter Film ist; wer daran noch zweifelt, sollte sich Moritz's Favorites anschauen - die Sonderschau seiner Lieblingsfilme. Man hätte also erwarten dürfen, dass de Hadeln auch für die Eröffnung einen Film wählt, auf den er große Stücke hält: Letztes Jahr war das The Million-Dollar-Hotel von Wim Wenders, in diesem Jahr war es Duell - Enemy at the Gates von Jean-Jacques Annaud, mit 180 Millionen DM die teuerste europäische Produktion aller Zeiten. Wie dem auch sei: Mit dieser Platzierung hat er den Film jedenfalls ganz vorn an die Rampe, ins Scheinwerferlicht geschoben - und ihm damit, publizistisch und imagepolitisch, den Todesstoß versetzt.

Duell: So etwas platt und dumm Erzähltes hatte man, da waren sich Publikum und schreibende Zunft auf Anhieb einig, schon lange nicht mehr gesehen. Stalingrad auf den Nenner eines Duells zweier Schießkünstler herunterzubringen, das lud ein zu publizistischen Schlachtfesten.

Jedes Desaster hat sein Gutes: Es reinigt die Luft. Wenn's gut geht, markiert die publizistische Beerdigung von Duell den Anfang vom Ende eines ganzen Genres: des Kriegsfilms. Bislang galt der im Filmgeschäft als sichere Nummer. Man musste nur genug Geld ausgeben: genügend Panzer auffahren, Gebäude in die Luft sprengen, Blut spritzen lassen.

Doch damit scheint es ein Ende zu haben: Es hat ganz offenbar, jedenfalls in unseren Breiten, eine Art mentaler Abrüstung stattgefunden. Krieg als Kino-Unterhaltung jedenfalls scheint passé. Wenn Duell nun auch in den Kinos Schiffbruch erleidet, könnte er den Kriegsfilm, den deutschen und westeuropäischen jedenfalls, mit ins Grab nehmen.

Vielleicht ist es das, was de Hadeln zum Abschied erreichen wollte. Jedenfalls ist es das, was er damit bewirkt haben könnte. Und die Wahrheit dessen, was man will, ist: was man tut. In diesem Sinne: Respekt, lieber Moritz, und vielen Dank!

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