Diesmal müssen Sie sich wirklich gut überlegen, wen Sie mitnehmen, wenn Sie sich Erleuchtung garantiert anschauen, den neuen Film von Doris Dörrie.
Die meisten von uns wollen im Kino ja doch schöne Bilder sehen. Es darf ruhig um schlimme Dinge gehen, aber wenigstens die Bilder davon sollen schön sein. Doch Dörrie hat ihren jüngsten Kinofilm mit einer kleinen Digital-Video-Kamera gedreht - wie eine Amateurin. Und da sehen manchmal sogar die Dinge nach nichts aus, die schön sein sollen, über die die beiden Hauptdarsteller sich gerade freuen, weil sie so schön sind, wie zum Beispiel die Wipfel von Bambusbäumen, von unten gegen den blauen Himmel über Japan betrachtet.
Aber das macht nichts. Nach ein paar Minuten ist man so drin in diese
n ist man so drin in dieser Geschichte zweier ungleicher Brüder aus München, die nach Japan reisen und in Tokio verloren gehen, bevor sie sich in einem Zen-Kloster wiederfinden, dass einem die technische Qualität der Bilder (fast) völlig egal wird.Denn was dem Film an optischer Brillanz fehlt, macht er wett durch Wahrhaftigkeit, die aus der Nähe zu diesen beiden Menschen, aus Vertrautheit mit und Vertrauen zu ihnen wächst. Auf Video hat Dörrie nämlich nicht nur deshalb gedreht, weil's billiger ist, sondern weil sie den Traum hatte, einen Film zu machen, "bei dem alle Beteiligten in ein Auto passen - oder noch besser: an einem Esstisch zusammensitzen können".Gewiß, wir sehen zwei professionelle Schauspieler agieren: Uwe Ochsenknecht und Gustav-Peter Wöhler. Sie spielen Brüder, selbsternannter Feng-Shui-Berater der eine, frisch von seiner Frau vier Kindern verlassen der andere. Sie stranden in einer wildfremden Stadt, verlieren Hotel, Kreditkarten und Bargeld, wissen nicht mehr ein noch aus.Doch ihr Fremdwerden, die langsam dämmernde Erkenntnis, ganz woanders zu sein, ihre Verwirrung, Hilflosigkeit und wachsende Verzweiflung: wir spüren sie fast körperlich. Denn die beiden, die auch im Film Uwe und Gustav heißen, erleben diese Zustände tatsächlich - zumindest ein Stück weit. Schon deshalb, weil das Film-Team diesmal so klein und die Haut, der Puffer zwischen dem Film-Team on the road und der fremden Welt da draußen so dünn ist.Und dann das Zen-Kloster, in dem die beiden am Ende doch noch ankommen: Es macht halt doch einen großen Unterschied, ob solche Szenen auf dem Studiogelände der BAVARIA gedreht werden oder im Kloster Sojiji nahe Tokio. Dörrie und ihr kleines Team haben tatsächlich dort drehen dürfen - unter der Bedingung, dass alle (bis auf den Kameramann) sich an der dort üblichen Praxis beteiligen.Uwe und Gustav stehen tatsächlich um halb vier auf, waschen sich mit eiskaltem Wasser, sitzen im Schneidersitz, bis Gustav die Knie weh tun. Wenn sie nicht gerade sitzen und meditieren, dann putzen sie oder fegen Laub. Und sie lernen, wie man vor dem Essen die schwarzen Lackschälchen richtig hinstellt und wie man die Eßstäbchen elegant aus der vertrackt gefalteten Serviette rutschen läßt. "Ich wollte einfach", sagt Dörrie," zwei Menschen dieses Experiment, diese Kloster-Erfahrung wirklich machen lassen."Warum müssen Ochsenknecht und Wöhler wirklich 'ran? Schauspielern, so tun als ob: Warum reicht ihr das nicht mehr ? Warum gibt sich Dörrie als Regisseurin höchst erfolgreicher Komödien nicht mehr damit zufrieden, sich wie bislang etwas Pfiffiges auszudenken und es dann ÂumzusetzenÂ, schöne, saubere, aufgeräumte Bilder daraus zu machen ?Wohl weil sie Erfahrungen und Einsichten hinter sich hat, die ihr Leben, ihren Blick auf die Dinge von Grund auf verändert haben. Und weil sie gar nicht anders kann, als diese Erfahrungen und Einsichten weiterzugeben, zumindest zugänglich zu machen.Mitte der neunziger Jahre starb Helge Weindler, ihr Mann, Vater ihrer Tochter und zugleich ihr Kameramann. Der Schnitt muß tief, der Schmerz höllisch gewesen sein; wie sehr, kann man nur ahnen, wenn man hört, wie cool, fast beiläufig sie darüber spricht in ihrem Fernseh-Film "Augenblick" von 1996.Geholfen haben ihr, in den Monaten auf diesen Tod zu und danach, vor allem Denkformen und Techniken aus der buddhistischen Tradition: zum Beispiel die Einsicht in die Verbundenheit aller mit allem, auch mit den Gänseblümchen auf dem Grab: solche Einsicht macht Vergänglichkeit erst erträglich. Und dann die Schulung der Achtsamkeit: Sie ermöglicht es, immer wieder zu diesem einen Augenblick "jetzt hier" zurückzukehren und ihn als die einzige Stelle zu würdigen, an der man sein eigenes Leben berühren kann.Schmerz macht lernfähig. Und Doris Dörrie lernt offenbar sehr schnell. Was sie in sogenannten "retreats", in Seminaren mit berühmten Lehrern wie dem tibetischen Lama Sogyal Rinpoche und dem vietnamesischen Zen-Mönch Thich Nhat Hanh absorbierte, probierte sie aus in ihrer Not. Was funktionierte, was half gegen den Schmerz, das ging ihr so in Fleisch und Blut über, dass sie inzwischen ganz leicht, wie von selbst darüber verfügen kann.Beim Buddhismus, sagt Dörrie, gehe es "überhaupt nicht darum, dass man etwas glaubt, sondern dass man etwas tut". Und was man tut, so sagt ihr Lehrer Thich Nhat Hanh, solle man mit 100 Prozent seiner Aufmerksamkeit tun - der Rest ergebe sich von selbst. So ein Zen-Kloster ist einfach nur ein Ort, an dem man das übt: ganz bei dem zu sein, was man tut.Dass das und wie das funktioniert, demonstriert Dörrie an ihren Protagonisten Uwe und Gustav. Putzen zum Beispiel. Jeden Tag dieselben Holzdielen wischen. Von Hand. Der pummelige Gustav plagt sich ab damit am Anfang, wirft sich verzweifelt auf's Bett, heult; Dörrie schneidet auf Sonnenreflexe an der Wand gegenüber, und schneidet zurück: da schläft er schon, friedlich wie ein Baby.Als er es endlich kann, begreift er, warum Putzen Teil der Kloster-Routine ist: Er wische nicht nur den Boden, triumphiert er, er wische auch seine Sorgen weg, jeden Tag ein paar mehr!Und wenn man ihm so zusieht, seine und Uwes Verwandlung beobachtet, dann beginnt man zu ahnen, was uns im Westen mit dem Verlust der Kloster-Kultur verloren gegangen ist - und warum sich seit ein paar Jahren auch bei uns buddhistisch inspirierte Seminarhäuser, retreat centers und Sommer-Camps ausbreiten.Ihre eigenen Erfahrungen an solchen Orten hat Dörrie übrigens in ihrem ersten Roman verarbeitet. Was machen wir jetzt? heißt er: wieder so ein verführerisch knapper und schlichter Dörrie-Titel. Parallel zum Kino-Start des Films kommt der über 300 Seiten starke Band heraus. Sechs Kurzgeschichten-Samm lungen sind schon von ihr erschienen.Auch hier spricht sie in Zungen: Hauptfigur ihres Romans ist nicht etwa eine Frau, sondern ein Mann. Fred Kaufmann heißt er, und Kaufmann ist er, aber mehr aus Versehen, weil's zum Film-Regisseur halt doch nicht gereicht hat.Deswegen hadert er mit sich, mit seiner Frau und mit seiner halbwüchsigen Tochter, die sich in einen tibetischen Lama verliebt hat. Nur damit die nicht durchbrennt nach Indien, nur deshalb begleitet er sie in ein buddhistisches Sommer-Camp.Eigentlich ist diesem Fred die ganze Szene zuwider. Und deshalb schimpft er über gut zwei Drittel des Buches wie ein Rohrspatz gegen sie an. Hinter diesem Fred verschanzt, gönnt sich Dörrie ein paar wunderbar witzige Spitzen gegen skurrile Erscheinungsformen dieser Szene.Vor allem aber legt Dörrie durch ihre demonstrative Respektlosigkeit ein dickes Polster an Glaubwürdigkeit an vis-á-vis skeptischen Lesern. Das kommt ihr dann bei der Vermittlung des Lernprozesses zugute, der in Fred aller Abwehr zum Trotz dann eben doch in Gang kommt. Wenn selbst diesem Kerl am Ende aufgeht, wozu die buddhistischen Exerzitien gut sind, dann - so Dörries Kalkül - dann kapiert es auch der Leser. Und falls nicht, dann hat sie ihm auf jeden Fall ein Lesevergnügen allererster Güte verschafft.
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