Vor dem abgeriegelten Wohnviertel im Westen Pekings, wo Liu Xia, die Ehefrau des durch den Entschluss des Nobelpreiskomitees bedachten Dissidenten Liu Xiaobos (54) zu Hause ist, feiern sich seine Anhänger als „Verbrecher“ – was auf Chinesisch auch „essen und sich betrinken“ heißen kann. Dabei sprechen sie der chinesischen Führung absurderweise aus der Seele. Den Nobelpreis an einen „verurteilten Verbrecher“ zu vergeben, sei eine „Blasphemie“ sondergleichen, kommentiert Ma Chaoxun, Sprecher des Außenministeriums. Bereits im Vorfeld hatte die Regierung in Peking nach Aussage des norwegischen Nobelkomitees mit Konsequenzen gedroht.
Das reagierte mit der Erklärung, aus Chinas Status als Wirtschaftsmacht müsse ei
lten Wohnviertel im Westen Pekings, wo Liu Xia, die Ehefrau des durch den Entschluss des Nobelpreiskomitees bedachten Dissidenten Liu Xiaobos (54) zu Hause ist, feiern sich seine Anhänger als „Verbrecher“ – was auf Chinesisch auch „essen und sich betrinken“ heißen kann. Dabei sprechen sie der chinesischen Führung absurderweise aus der Seele. Den Nobelpreis an einen „verurteilten Verbrecher“ zu vergeben, sei eine „Blasphemie“ sondergleichen, kommentiert Ma Chaoxun, Sprecher des Außenministeriums. Bereits im Vorfeld hatte die Regierung in Peking nach Aussage des norwegischen Nobelkomitees mit Konsequenzen gedroht.Das reagierte mit der Erklärung, aus Chinas Status als Wirtschaftsmacht mXX-replace-me-XXX252;sse eine neue Verantwortung erwachsen. Menschenrechte, für die Liu Xiaobo lange gekämpft habe, seien eine Voraussetzung für den Frieden. Im Prinzip teilt Peking diese Auffassung: Es erkennt die Universalität der Menschenrechte an und hat deren Schutz in der Verfassung aufgenommen. Chinas Führung weiß, dass ohne den Schutz von Arbeiter- und Besitzrechten der soziale Friede im Land aus dem Ruder läuft, was die allein regierende Kommunistische Partei unter allen Umständen verhindern will. Wer nun aber deren Regiment in Frage stellt, der äußert nicht seine freie Meinung, sondern stiftet laut Gesetz zum Umsturz der Staatsmacht an. Dafür sitzt der designierte Nobelpreisträger Liu im Gefängnis.Hungerstreik im Mai 1989Ist die Auszeichnung Lius ein trotziger Akt des Westens, der sich vom ökonomischen Giganten im Fernen Osten überrollt fühlt? Norwegen und China sind sich durchaus einig, dass der große, kantige Liu mit den kurzrasierten Haaren ein außergewöhnlicher politischer Aktivist ist. Im Zentrum seiner zahlreichen Schriften steht der Gedanke, dass Demokratisierung kein revolutionärer, sondern ein langsamer und auch mühevoller Prozess einer Gesellschaft ist. Dabei gelte es auch, eine Konfrontation zwischen Regierung und Regierten durch Versöhnung zu überwinden. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer gilt Liu als geistiges Vorbild, und so hat er es wie kein anderer verstanden, einen konstruktiven Diskurs unter der in Fraktionen zerfallenen chinesischen Menschenrechtsbewegung zu fördern.Produkt seiner Bemühungen ist die „Charta 08“ – ein Anfang Dezember 2008 im Internet veröffentlichtes Pamphlet, das Gewaltenteilung, freie Wahlen, einen föderalen Staat und eine Wahrheitskommission fordert. Bis dato haben es über 11.000 Menschen, in der Regel Chinesen, aus allen sozialen Milieus unterzeichnet. Die an die tschechische „Charta 77“ angelehnte Schrift ruft die Führung dazu auf, diese Reformen umsetzen.Im Mai/Juni 1989 hatte der junge Literaturdozent die Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens durch einen Hungerstreik anzuheizen versucht, dann aber – als die Armee vorrückte – mit des Militärs verhandelt, um einen Abzug der Studenten zu erreichen.Mitstreiter Lius kommentieren den Nobelpreis nicht als Angriff, sondern als „Appell an die Regierung“. So jedenfalls sieht es Cui Weiping, Mitunterzeichnerin der „Charta 08“ und Professorin an der Filmakademie in Peking. Auch die Volksrepublik, meint sie, sollte zu einer universalen Wertegemeinschaft gehören. Besonders für junge Chinesen sei die Ehrung eine Ermutigung. „Sie sehen, wenn man an Werten festhält, etwas erreichen zu können“, so Cui Weiping, die unter anderem Schriften von Vaclav Havel und Adam Michnik ins Chinesische übersetzt hat.Stunde der MikroblogsZhang Xianling, Mitbegründerin der Gruppe „Tiananmen-Mütter“ nennt die Auszeichnung Lius einen „Sieg der Gerechtigkeit über das Geld“. Auch sie fühle sich bestätigt in ihrem Willen, weiter zu kämpfen. Die „Tiananmen-Mütter“ setzen sich für Opfer der blutigen Niederschlagung der Tiananmen- Proteste vom Frühsommer 1989 ein – die heute 72-jährige Zhang verlor damals ihren 19-jährigen Sohn. Möglicherweise werde sich nun die Internet-Kontrolle durch die Regierung verstärken, meint sie. Man wolle eben verhindern, dass die Schriften Lius über dieses Medium verbreitet würden. „Aber Demokratisierung ist eine historische Tendenz, die sich nicht aufhalten lässt. Dagegen wäre jeder letztlich hilflos. Sicherlich gäbe es auch innerhalb der Führung Chinas einige Politiker, die sich durch das Zeichen aus Oslo ermutigt fühlten. Politische Reformen seien deshalb noch lange nicht zu erwarten, so Zhang. Dazu bedürfe es eines „verstärkten Bürgerbewusstseins“ innerhalb der chinesischen Gesellschaft.Das Gros der Chinesen hat von der Osloer Entscheidung offiziell nichts erfahren, weder in den Fernsehnachrichten noch über Nachrichtenportale im Internet. Wer wollte, konnte sich lediglich über chinesische Mikroblogs informieren. Dort setzen die Nutzer für Lius Namen einfach andere Zeichen ein, zum Beispiel „gläsern wie Widerspruch“. Andere stellten einen Link zum Lied „Glocken der Freiheit“ der Rockband Bon Jovi ein und machten sich darüber lustig, dass staatliche Medien die Nachricht ignorierten. Oder sie schrieben einfach „essen und sich betrinken“. Die Zensoren konnten oder wollten nicht verstehen. Ein bunteres, freieres und auch versöhnlicheres China ist keine allzu ferne Utopie mehr.