Neben dem Eingangstor zur Wohnanlage an Pekings dritter Ringstraße sitzt Herr Wang auf einer Steinbank und schimpft. "Seit mehreren Tagen haben wir hier kein heißes Wasser", wettert der vitale 57-Jährige, "das hat die Verwaltung einfach abgestellt, ohne uns zu fragen." Wang schüttelt die Faust in Richtung der Bagger, die draußen vor dem Tor die Straße aufreißen, um neue Heizungsrohre zu verlegen. Sein Nachbar Li nickt grimmig: "Warte nur, bis das Eigentumsgesetz im Oktober in Kraft tritt, dann können die nicht mehr so mit uns umspringen." Der 44-jährige Buchhalter ist vor drei Monaten zum ehrenamtlichen Vorsitzenden des Komitees der Wohnungsbesitzer gewählt worden. Auf ihren Treffen gibt es seit Wochen nur ein Thema: das neue Eigentumsgesetz, das der Nationale Volkskongress im März verabschiedet hat. Danach sollen neben privaten Besitztümern auch Wohnungsinhaber gegenüber willkürlichen Eingriffen von Immobilienmanagement und Staat geschützt werden.
Die eigene Wohnung bildet heute den wertvollsten Besitz der urbanen Mittelschicht in der Volksrepublik. Sie besteht laut offiziellen Statistiken aus jenen elf Prozent der Bevölkerung, die sich die eigenen vier Wände nebst Einkäufen, stilvollem Essen und Urlaub leisten können. Das sei mit einem Jahresgehalt von umgerechnet 6.000 bis 20.000 Euro möglich, heißt es - dem Gegenwert eines chinesischen Mittelklassewagens. Ein solches Einkommen reiche nicht, meinen hingegen Sozialwissenschaftler in Peking, sie zählen nur etwa 30 Millionen Haushalte des 1,3-Milliarden-Volks zur Mittelschicht.
Im Sinne Deng Xiaopings
Wie dem auch sei: Das neue Gesetz will "alle Bürger zur Reichtumsschaffung ermutigen", wie es im Gesetzestext heißt. Die Kommunistische Partei baut auf die Wohlhabenden, sie sind die Gewinner des Marktes der Möglichkeiten, den Deng Xiaoping 1978 eröffnet hat. "Einige sollen zuerst reich werden", verkündete der Inspirator des seinerzeit beginnenden Reformwerkes und brach mit der gewaltsamen Gleichmacherei der Kulturrevolution unter Mao Zedong. Der ideologischen Parolen überdrüssig, ließ sich die Bevölkerung von den neuen Freiheiten berauschen. Die KP entfesselte ein beispielloses Wachstum, während sie zugleich mit der Formel "Sozialismus mit chinesischem Antlitz" ihre ideologische Fassade wahrte. So wurden die Staatsbetriebe privatisiert, trat das Land in die WTO ein und öffnete sich 2002 vollends für privates Unternehmertum.
Die Debatte um das neue Eigentumsgesetz hat nun allerdings Differenzen in der Partei offen zu Tage treten lassen. Kritiker sehen darin einen neoliberalen Kurs bestätigt und wittern den endgültigen Verrat an den sozialistischen Wurzeln der Gesellschaft: Die Partei solle den Wohlstand gerecht verteilen, sie müsse die Arbeiter und Bauern absichern. Stattdessen schütze sie das Eigentum von Managern, die sich auf Kosten des Volkes bereichert hätten. In China gebe es ein enormes Sozialgefälle wie eine grassierende Korruption - die darunter leidenden Arbeiter und Bauern würden ihrem Unmut mehr noch als bisher durch gewalttätigen Protest Luft machen.
Die Befürworter hingegen warnen, Staatsvermögen werde veruntreut, Einzelne bereicherten sich systematisch. Die Eigentums- und Verfügungsrechte zwischen staatlichen und privaten Akteuren seien oft undurchsichtig. Das neue Gesetz schaffe Klarheit, damit die marktwirtschaftlichen Reformen vertieft, die Wirtschaft weiter geöffnet und der Wettbewerb forciert werden können. Eine dritte - und bislang noch schwache - Gruppe in der Partei will den Umweg über politische Reformen und unabhängige Gerichte sowie Interessensvertretungen.
Ohne Zweifel können die Reformer mit dem Eigentumsgesetz einen Teilerfolg verbuchen, auch wenn der Erlass ein mühsam ausgehandelter Kompromiss ist und seine Wirkung nicht überschätzt werden darf. Man habe einen Schritt getan, um das Recht in China weiter zu systematisieren, meint der Anwalt Zhou Lujia: "Aus juristischer Sicht birgt das Eigentumsgesetz jedoch keine Überraschung. 65 Prozent seines Inhalts existierten schon in Gestalt anderer Verordnungen - und 35 Prozent kenne ich von meinem Studium in Deutschland", sagt der Mittvierziger, der in Hamburg promoviert hat. Zhou moniert, die Gesetzgeber hätten es jedem recht machen wollen und müssen - auf Kosten der Effizienz. So schreibt das Gesetz etwa ein 30 Jahre währendes Pachtrecht für Bauern fest - falls der Staat deren Ackerland für öffentliche Zwecke beansprucht, steht den Betroffenen eine angemessene Entschädigung zu. Andererseits bleiben die Landwirte, solange sie ihren Boden nicht besitzen, wehrlos gegenüber profitsüchtigen Behörden, die ihr Ackerland an Firmen verhökern wollen.
Wie ein Ausrufezeichen
Der öffentlichen Euphorie tut das keinen Abbruch. Die ganze Nation verfolgte in den vergangenen Wochen den resoluten Widerstand eines Hausbesitzers in Chongqing, Chinas neuer Boomstadt am westlichen Teil des Yangtse. Ein Stadtviertel sollte einer Straße weichen, die meisten Gebäude waren bereits eingeebnet. Nur Yang Wu verharrte trotzig in seinem Haus, das aus der Baugrube wie ein Ausrufezeichen in den Himmel ragte. Unter den fassungslosen Blicken der lokalen Parteikader gab seine Frau am Fuße des Gebäudes selbstbewusst Pressekonferenzen und trug die Forderungen des Ehepaars vor. Beide erkämpften schließlich eine höhere Entschädigung, mussten aber letzten Endes den Abrissbirnen weichen.
"Die Bevölkerung überschätzt das Gesetz", kommentiert Rechtsanwalt Zhou, vor allem kümmerten sich die Menschen zu wenig um juristische Details, ansonsten könnten sie die künftig geltende Rechtslage durchaus zu einer Waffe ihrer Interessen machen - wenn es sein müsste auch gegen die Partei.
Kristin Kupfer arbeitet als freie Journalistin in Peking.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.