Das Ende der Selbstverständlichkeit

Wahlforschung Schwankende Umfragewerte, Ost-West-Unterschiede und die letzte Bastion der SPD – Prof. Thorsten Faas im Gespräch über die politischen Meilensteine, die uns 2019 erwarten.

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Thorsten Faas ist Professor für „Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland“ am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Seine Schwerpunkte liegen auf dem Gebiet der Wahlforschung, Meinungsumfragen, Wahlkämpfe und der politischen Kommunikation. Am 6. Februar ist Faas zu Gast im Hintergrundgespräch der Veranstaltungsreihe "Unter 3".

Herr Faas, wie entwickeln sich aktuell die Bundestagsparteien in den Umfragen?

Gerade ist wirklich eine Menge in Bewegung. Selbstverständlichkeiten, die es in der bundesdeutschen Politik über Jahrzehnte gegeben hat, gibt es heute nicht mehr in gleichem Maße. Das gilt vor allem für die großen Volksparteien und insbesondere für die SPD. Die aktuell sichtbare Dynamik von Wahlen, Stimmenanteilen von Parteien und letztlich auch Koalitionen zeigt, dass es ein signifikant großes Segment in der Wahlbevölkerung gibt, das nicht mehr so eindeutig festgelegt ist wie vielleicht früher einmal.

Nichtsdestotrotz vergisst man schnell, dass es durchaus noch Teile der Bevölkerung gibt, die in ihrem Wahlverhalten eigentlich sehr stabil sind. Ganz so beliebig, wie es in den Umfragen manchmal scheint, ist das Wahlverhalten also auch nicht. Wir sehen Verschiebungen weg von den Volksparteien CDU und SPD hin zu den Grünen und der AfD. Daraus wird derzeit häufig das Ende der Volksparteien gelesen. Doch auch das kann man in Frage stellen, denn SPD, CDU und CSU sind nun einmal derzeit die Parteien, die die große Koalition bilden – und die ist gerade einfach extrem unbeliebt. Wir erleben also nicht finale Entwicklungen in eine Richtung, sondern es gibt – wie gesagt – weniger Selbstverständlichkeiten und teils heftige Ausschläge als Reaktion auf aktuelle Ereignisse oder Personen – und diese Ausschläge können potentiell in beide Richtungen gehen. Ich würde also sagen, es ist zu früh, in dieser Entwicklung eine abschließende Antwort zu geben.

Auf ihrem Twitterprofil haben Sie vorige Woche die aktuelle Sonntagsfrage für Landtagswahlen in Bayern geteilt. Die SPD kommt darin nur noch auf sechs Prozent. Was meinen Sie, wenn Sie dazu kommentieren: „Man ahnt, was kommt“?

Was sehr bemerkenswert ist an der Zahl: Sie zeigt, dass nun die nächste Eskalationsstufe erreicht ist. Die SPD war in den Umfragen in Bayern auch schon vorher auf Platz Fünf, aber jetzt rückt sie sogar in Richtung der Fünf-Prozent-Hürde. Das ist ein symbolischer Wert in unserem Parteien- und Wahlsystem und zeigt, dass hier eine Partei wirklich in argen Nöten – manche würden sagen in Existenznöten – steckt.

Das Zweite an dieser Umfrage, was mich auch in meiner Arbeit interessiert, ist die Art und Weise, wie Umfragen die politische Kommunikation verändern. Und man kann schon erkennen, dass Umfrageinstitute und auch die Medien, die darüber berichten, gerade solche Schwellenwerte stark betonen. Das könnte bedeuten, dass wir in Zukunft statt einer Sechs vielleicht bald auch mal einen Wert unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde sehen werden. Dann wäre der magische Schwellenwert unterschritten. Statistisch ist sowieso kaum zu unterscheiden, ob es nun vier oder fünf Prozent sind.

Eine spannende Entwicklung haben ja die Grünen seit der letzten Bundestagswahl genommen. Im September 2017 hieß es, die Partei sei in der Krise, die CDU habe ihr die Kernthemen weggenommen, Stichwort Atomausstieg. Jetzt hat sie enorm dazu gewonnen, liegt aktuell bei 18 bis 20 Prozent. Wie lässt sich das erklären?

Man muss anmerken, dass auch dieser Trend nicht zwingend nachhaltig sein muss. Nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima 2011 waren die Grünen in den Umfragen schon einmal in diesen Bereichen. Auch das zeigt noch mal: Die Debatten, die wir führen, sind auf kurze Zeiträume bezogen.

Was ist seit der Bundestagswahl passiert? Die Grünen haben eine neue Spitze, die medial auch sehr positiv dargestellt wurde und sich mit einer eigenen Sprache und eigenen Akzenten auch durchaus zu profilieren wusste. Das fiel zusammen mit einer Schwäche der SPD, was innerhalb eines rot-grünen Lagers zu Verschiebungen geführt hat.

Wenn man in diesem Zusammenhang auch den Erfolg der AfD betrachtet, lässt das noch eine andere Interpretation zu: Wir diskutieren gerade weniger wirtschaftliche Themen wie Steuer und Sozialstaat, sondern kulturell-identitäre Fragen. Die Pole dieser Fragen werden am klarsten von Grünen und AfD vertreten. Sie sind gewissermaßen die natürlichen Kontrahenten dieser Debatte, während gerade SPD und Union sich mit klaren Positionen zu diesen Fragen eher schwertun.

In vier deutschen Bundesländern werden in diesem Jahr neue Landtage gewählt. Welche Rolle spielen die Landtagswahlen für die Große Koalition? Welche Auswirkungen erwarten Sie auf Bundesebene?

Die Bürgerschaftswahl in Bremen im Mai hat für die SPD eine besondere Relevanz, weil Bremen eigentlich in der gesamten Nachkriegszeit eine SPD-Regierung hatte. Es hat tatsächlich eine symbolische Komponente für die SPD, ob es ihr gelingt, diese letzte Bastion zu verteidigen, oder ob ihr auch diese jetzt abhandenkommt.

Aus gesamtdeutscher Perspektive sind die drei Ost-Wahlen in Brandenburg und Sachsen im September und in Thüringen Ende Oktober wirklich zentral, weil sie sicherlich noch einmal zeigen werden, dass es zwischen Ost und West auch 30 Jahre nach dem Mauerfall noch gravierende Unterschiede gibt: Wir reden dort möglicherweise über die AfD als stärkste Partei. Wie schon bei den letzten Wahlen in Sachsen-Anhalt könnten Fragen der Koalitionsbildung wirklich große Herausforderungen darstellen. Je nach Ausgang der Wahlen werden der Führungsanspruch von Andrea Nahles und die Kanzlerschaft von Angela Merkel in der Union sicherlich noch einmal in Frage gestellt werden. Insofern liegt auf jeden Fall ein spannender Herbst vor uns.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kristina Auer

Kristina Auer ist freie Journalistin in Berlin und schreibt meistens über Lokales. Für die Meko Factory berichtet sie über Veranstaltungen.

Kristina Auer

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