Seine Rente ist sicher

Versorgungsausgleich Eine Scheidung kann Frauen teuer zu stehen kommen. Verfassungsgemäß ist das nicht
Ausgabe 15/2020

Nach der landesweiten Corona-Epidemie normalisiert sich die Lage in China langsam wieder. In vielen Städten sind die staatlichen Quarantänemaßnahmen wieder aufgehoben. Nicht jedes Paar hat die unfreiwillig zusammen verbrachte Zeit unbeschadet überstanden. Zwar veröffentlichen die staatlichen Stellen ihre Statistiken nur jährlich, doch schon jetzt mehren sich Meldungen über stark ansteigende Scheidungszahlen. Das könnte auch bald hierzulande der Fall sein. In einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger sagte der Soziologe Harald Welzer, dass ein Anstieg der Scheidungsraten nach der Auflösung der Quarantänemaßnahmen auch in Deutschland zu erwarten sei. Was aktuell eine emotionale Belastung für die Paare und ihre Angehörigen ist, könnte auch weitreichende Folgen haben. Denn: Wenn eine Ehe vor dem Scheidungsgericht endet, dann werden auch die Weichen für die Altersversorgung gestellt. Und für Frauen kann eine Scheidung auch heute noch langfristig zu ihrem Nachteil ausgehen.

Karlsruhe tagt

Bei einer Scheidung wird alles, was beide Ehegatten an Altersversorgungsansprüchen während der Ehezeit erworben haben, hälftig geteilt, die Rentenpunkte in der gesetzlichen Rentenversicherung genauso wie Ansprüche aus privaten Rentenversicherungen, aus berufsständischen Versorgungswerken, wie sie etwa Ärzte oder Anwälte haben – und im Prinzip gilt das auch für Betriebsrenten. Meist sind Frauen die Begünstigten. Denn sie haben in die verschiedenen Rentenkassen in der Regel weniger eingezahlt als ihre Ehemänner, weil sie eher in Teilzeit arbeiten und sich um gemeinsame Kinder kümmern und weil sie eher in Berufen und Branchen arbeiten, wo geringere Löhne bezahlt werden. Beim Ausgleich von Betriebsrenten, die gerade bei großen Unternehmen wie Siemens, VW oder Daimler sehr lukrativ sind, erhalten sie aber offenbar weniger, als ihnen nach dem Halbteilungsprinzip zusteht. Das Oberlandesgericht Hamm hält das für verfassungswidrig und hat sich deswegen an das Bundesverfassungsgericht gewandt, die mündliche Verhandlung fand jüngst, im März, in Karlsruhe statt.

Worum geht es genau? Als das Versorgungsausgleichsgesetz 2009 reformiert wurde, wollte man den Ausgleich eigentlich für alle Altersversorgungssysteme fair regeln. „Vor der Reform hatte man alle Werte der verschiedenen Systeme miteinander verrechnet und in der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeglichen“, sagt Brigitte Meyer-Wehage, Direktorin des Amtsgerichts Brake in Niedersachen. Diese Berechnungsmethoden hätten dazu geführt, dass viele an den Ansprüchen aus der Betriebsrente oder berufsständischen Versorgungseinrichtungen des früheren Partners kaum oder gar nicht beteiligt wurden. Schon 2006 hatte das Bundesverfassungsgericht diese Praxis für verfassungswidrig erklärt, der Gesetzgeber in der Folge den Versorgungsausgleich neu geregelt. Seitdem gilt, dass Rentenansprüche immer einzeln geteilt und beim jeweiligen Träger ausgeglichen werden. Nicht nur wer mehr Rentenpunkte in der gesetzlichen Rentenversicherung hat, überträgt als Ausgleich Rentenpunkte auf das Konto des anderen, auch wer die höheren Ansprüche in einer privaten Rentenversicherung hat, tritt hier Ansprüche ab. Interne Teilung wird das Verfahren genannt.

Allerdings wurde bei der Reform eine Ausnahme zugelassen: Wenn ein Ehepartner dem anderen einen Ausgleich aus einer Betriebsrente in Form einer Direktzusage oder Unterstützungskasse schuldet, muss das Unternehmen den Ex-Partner nicht in das System aufnehmen – es sei denn, es geht um eine Summe über 82.800 Euro. In allen anderen Fällen bekommt dieser stattdessen einen festen Betrag ausgezahlt, der sich nach dem Kapitalwert richtet. „Meine Mandantin bekommt dann, sagen wir, 50.000 Euro ausbezahlt. Wenn sie die Summe dann in einer privaten Rentenversicherung anlegt, ist der Verlust riesig“, sagt Klaus Weil, Rechtsanwalt für Familienrecht in Marburg, der als Vertreter des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) an der Verhandlung in Karlsruhe teilgenommen hat. Der Verlust entsteht, weil Betriebe bei der Berechnung des Kapitalwertes einen wesentlich höheren Zinssatz zugrunde legen als die 0,9 Prozent, die Anbieter von privaten Rentenversicherungen aktuell als Garantiezins bieten.

Lücke zwischen Geschlechtern

Umgerechnet in Renten können schon wenige Prozentpunkte einen großen Unterschied machen. Juristen, die das Gericht in Hamm in seinem Einwand zitiert, gehen davon aus, dass Rentenansprüche, die nach diesem Verfahren ausgeglichen werden, um 50 Prozent niedriger sind als die des ausgleichspflichtigen Partners. Das treffe auf 90 Prozent aller Scheidungsfälle, in denen die Ausnahmeregelung angewendet wurde, zu. Das bedeutet hohe Verluste für schätzungsweise 7.500 Geschiedene jährlich. „Frauen sind hier ganz klar die Benachteiligten, denn Männer haben die besseren Zusagen bei Betriebsrenten“, sagt Rechtsanwalt Weil. „Die jetzige Regelung produziert Ungerechtigkeit, das kann so nicht bleiben.“ Der Deutsche Anwaltsverein (DAV) hält das genauso für einen Verstoß gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz der Verfassung wie der Deutsche Juristinnenbund. Sie folgen damit der Einschätzung des Oberlandesgerichts in Hamm.

Wie das Verfahren ausgehen wird, ist nach Ansicht von Klaus Weil vollkommen offen. Für möglich hält er, dass Paragraf 17 im Versorgungsausgleichsgesetz, der die Ausnahme für Betriebsrenten regelt, als verfassungswidrig eingestuft und gestrichen wird. Dann müssten auch solche Rentenansprüche in Zukunft grundsätzlich intern geteilt werden. Oder die Grenze, ab der ausgleichsberechtigte Partner in das Betriebsrentensystem aufgenommen werden muss, wird abgesenkt – zum Beispiel auf 7.800 Euro, so wie sie beispielsweise schon jetzt für private Rentenversicherungen gilt.

Ein einziger Paragraf im Versorgungsausgleichsgesetz klingt wie eine Kleinigkeit, aber er hat große Wirkung. Meist sind es Frauen, die am Ende Einbußen bei der Rente haben, und Prognosen zeigen, dass gerade alleinstehende Frauen Gefahr laufen, im Alter arm zu sein. Schon 2014 hat Bündnis 90/Die Grünen die Abschaffung der Ausnahmeregelung für Betriebsrenten gefordert, der Gesetzentwurf wurde aber von der Großen Koalition abgelehnt. Dabei wäre es ein Schritt, um die riesige Rentenlücke zwischen den Geschlechtern in Deutschland ein Stück zu schließen: Aus der gesetzlichen Rentenversicherung bekommen Frauen gut 40 Prozent weniger als Männer, bei den Betriebsrenten liegt die Lücke sogar bei fast 60 Prozent.

Auch ohne Krise wurde in Deutschland viel geschieden, knapp jede dritte Ehe zerbrach nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2018. Sollte es mit der Lockerung der Quarantänemaßnahmen zu einem ähnlichen Effekt wie in China kommen, kann das für viele geschiedene Frauen einen erheblichen Nachteil bei der Rente zur Folge haben – ganz abgesehen von den sich multiplizierenden Verlusteffekten durch krisenbedingte Jobverluste, von denen Frauen, weil sie häufiger in befristeten, in Teilzeit- oder Mini-Jobs arbeiten, überproportional betroffen sein dürften (der Freitag 14/2020). Ein Urteil des Verfassungsgerichts wird in wenigen Monaten erwartet.

Kristina Vaillant ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt Rentenpolitik

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