Intelligente Maßnahmen werden vergeigt

Corona-Krise: Wir werden von Lockerungsmaßnahmen überschwemmt. Diese werden mit Auflagen versehen. Auflagen sind richtig und wichtig. Aber intelligente Maßnahmen sind rar. Warum nur?

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Irgendwie ist die medizinische Hauptgefahr des Corona-Virus aus dem Blickfeld verschwunden: Die Überlastung der Intensivbetten!

Warum ist der Fokus auf die medizinische Belastung so wichtig?

Dazu ein einfaches Rechenexempel: Wenn 100.000 aktiv infiziert sind und 10% davon intensivmedizinisch behandelt werden müssen, sind 10.000 Intensivbetten notwendig. Kann der Anteil der schwerstkranken Corona-Patienten auf 0 Prozent gedrückt werden, werden keine Intensivbetten mehr benötigt. Dann ist es egal, wie viele Menschen mit Corona gleichzeitig infiziert sind.
Niemand kann behaupten, die Belastung der Intensivbetten auf 0 drücken zu können. Aber die Rechnung zeigt, wo der Hauptansatz für Corona-Maßnahmen liegen müsste und wo sich Handlungsspielräume für Gesellschaft und Wirtschaft auftun.

Zum Vergleich die aktuellen Zahlen: Aktiv infiziert sind lt. Worldometer Stand heute (10.5.) rund 20.000 Patienten in Deutschland und lt. Intensivregister (siehe Ländertabelle) rund 1.600 Patienten in intensivmedizinischer Behandlung (8 %). Rund 12.000 Intensivbetten sind frei. Wir haben also noch Luft nach oben. Aber darum geht es gerade nicht.

Trivial zugespitzt heißt der Grundgedanke: Ohne Infizierte in den Risikogruppen (diejenigen, die an Corona schwer erkranken) haben wir keine Corona-Krise.

Es geht darum, den Schwerpunkt der Corona-Maßnahmen anders zu setzen. Gezielte, „intelligente“ Maßnahmen sollen die Gefahr des Corona-Virus deutlich entschärfen. Das sind Maßnahmen, die die Risikogruppen davor bewahren, infiziert zu werden und dann intensivmedizinische Behandlung beanspruchen zu müssen. Eine Last für die Patienten und die Krankenhäuser - beides sollten wir vermeiden. (Das soll aber jetzt nicht als Aufruf verstanden werden, die generellen Schutzmaßnahmen wie Abstand, Masken oder Hygiene aufzuheben.)

Wo sind die Risikogruppen?

Statistiken zu den Risikogruppen fehlen. Es gibt Zahlen über belegte und freie Intensivbetten, aber dort fehlt die Aufschlüsselung nach Merkmalen wie Vorerkrankungen, Alter und ähnlichem. Wir können nur über die Angaben zu den Todesfällen Vermutungen anstellen. Das zeigt schon, wir sind falsch aufgestellt.

Der NDR berichtet aktuell: „Tatsächlich lebten mindestens 2.500 der (Corona-)Verstorbenen in Heimen - das sind 37 Prozent aller Toten. Das Gros machen laut RKI aber Altenheime aus. Der Anteil der Heimbewohner an den 7.000 Coronatoten in Deutschland dürfte aber noch höher liegen, näher bei 50 Prozent. Denn die Daten sind oft unvollständig und nicht aussagekräftig.“

Laut Spiegel leben rund 800.000 pflegebedürftige Ältere stationär in Altenheimen. Und etwa genauso viele Pflegebedürftige werden zu Hause von Pflegediensten betreut.

Zwei Dinge fallen dazu auf: Da ist zum einen die überschaubare Anzahl betroffener älterer Menschen und zum anderen sind deren Adressen bekannt und ein gezielter Schutz der Pflegbedürftigen ist möglich.

Massentest der Hochrisikogruppe

Diese eingrenzbare Risikogruppe lässt sich optimal vor Infizierung schützen. Dabei ist nicht die Isolation der Älteren die Lösung. Nein, es geht intelligenter. Flächendeckende, wiederkehrende Tests der 1,6 Mio. vorerkrankten Älteren und ihrer Betreuer sind notwendig. Erhalten das Pflegepersonal und die Besucher zudem die richtige Schutzausrüstung, wird die Ausbreitung des Virus in dieser Risikogruppe verhindert. Und dennoch sind soziale Kontakt möglich.
Dazu überrascht: Die derzeitige Testkapazität je Woche liegt bei 800.000 und wird noch nicht mal zur Hälfte genutzt!

Eine neue Rechnung zeigt die Wirktendenz: Gibt es 50% weniger Todesfälle (weil die Risikogruppe der Pflegebedürftigen wegfällt) und entsprechend weniger Intensiv-Patienten (Statistik über Relation Todesfälle und Intensivbetten fehlt leider), dann verdoppelt sich die Obergrenze der aktiv Infizierten. Reduzieren wir die Belastung der Intensivbetten auf ein Viertel, vervierfacht sich die Obergrenze.

Aber die Obergrenze ausreizen, ist nicht das Ziel. Im Gegenteil.

In Österreich werden Risikogruppen identifiziert - auch die außerhalb der Altenheime und Pflegedienste. Mit Daten der Krankenkassen werden die Patienten mit schweren, Corona-relevanten Vorerkrankungen angeschrieben und zur ärztlichen Prüfung gebeten. Sie sollen damit besonderen Schutz beanspruchen können und der eigenen Gefährdung mehr gewahr werden. Auch für diese Risikogruppe sind regelmäßige Massentests angebracht und reduzieren die Corona-Gefahr für die Intensivbetten.

Österreich schätzt die gesamte Risikogruppe der Älteren und der Jüngeren auf 90.000. Bei einer 10-fach größeren Bevölkerungszahl in Deutschland sind das dann hochgerechnet rund 1 Million Menschen. Herr Spahn und das RKI haben sich dazu nicht geäußert. Schade! Vielleicht sehen sie darin keinen Ansatz. Fatal!

Neben den älteren Pflegebedürftigen weitere Risikobehaftete zu finden, ist aufwendig. Aber der Fokus darauf und der Aufwand dafür lohnen sich, weil dadurch die Corona-Gefährdung für die Intensivbetten weiter zurückgeht und weniger Aussperrungen für wirtschaftliche Tätigkeiten ausprobiert werden können.

Es gibt weitere Ansätze für gezielte Massentests. So wissen wir, Sammelunterkünfte ausländischer Arbeitskräfte (aktuell Arbeiter in Schlachthöfen) sind Hotspots für Infizierungen. Auch dort können Massentests und mehr Kontrolle der Schutzmaßnahmen (Abstand und Masken) die Ausbreitung gezielt unterbinden.

Was ist der Vorteil von Massentests?

Heute wird ein Test erst vorgenommen, wenn ein Patient Corona-Symptome aufweist. Bis dahin vergeht viel Zeit, in der das Corona auf andere gestreut haben kann.

Da ist zunächst die Inkubationszeit. Sie liegt lt. RKI im Mittel bei 5–6 Tagen. Die relevante Infektiosität ist bereits zwei Tage vor Symptombeginn vorhanden. Dann folgt die Wartezeit bis das Testergebnis vorliegt. Das kommt frühestens 3 Tage später. Im schnellsten Fall sind bereits 5 Tage vergangen, bis der Infizierte in Quarantäne geht und niemanden mehr ansteckt.

Der Massentest findet Infizierte schon in der Inkubationszeit und findet auch die „Viren-Streuer“ ohne Symptome – angeblich 30 %. Wenn dazu das Testverfahren beschleunigt wird und das Ergebnis sofort (nicht Tage später) an Ort und Stelle des Abstrichs vorliegt, wird der Kampf gegen Corona sehr effektiv. Da müssen Aufträge und Staatshilfen hinfließen.

Und an einem Hotspot wie einem Altenheim werden durch Massentests alle erkannt, die sich infiziert haben. Nur die Infizierten müssen isoliert werden und nicht ein ganzes Heim. Das wiederkehrende Testen erhöht diese Sicherheit gegen die Virusausbreitung. Das Virus wird an diesen Risikostellen nachhaltig ausgelöscht. Ähnlich wird schon in vielen Krankenhäusern vorgegangen, damit nur die Infizierten Ärzte und Pfleger in Quarantäne gehen müssen.

Studien zu Masken und Abstand notwendig

Leider weiß die Wissenschaft zu wenig, wie sich das Corona-Virus verbreitet. Grundsätzlich wissen wir, Händewaschen, Abstand und Masken dämpfen die Ausbreitung. Aber was wirkt wie? Die Antworten zu dieser Frage sind immer noch nebulös. Die notwendigen Studien fehlen.

Dort besteht hoher Forschungsbedarf.

Wenn wir wissen, welche Maske wie gut schützt, können genauere, „intelligentere“ Empfehlungen für Maßnahmen vorgelegt werden. Das gleiche gilt für die Abstandsregel. In welchen Situationen besteht die besondere Gefahr, andere zu infizieren? Im Restaurant mit Klimaanlage? In der Oper, wenn gesungen wird? Bei Versammlungen, wenn man über Stunden zusammen sitzt? Wie streut das Virus in der Bahn und im Bus? … Wir wissen es (noch) nicht. Statt des RKI hat diese wissenschaftliche Aufgabe das RTL-Fernsehen übernommen.

Die Quintessenz

Mehr Wissen über Schutzmaßnahmen wie Masken und Abstand helfen, gezieltere Auflagen zu erlassen und zu kontrollieren. Damit wird die Ausbreitung erheblich eingedämmt.

Am wichtigsten ist der Schutz der Hochrisikogruppen, die weitgehend bekannt sind. Deren Infektion kann durch wiederkehrende Massentests und besondere Schutzmaßnahmen so gut wie verhindert werden. Die Belastung der Intensivbetten wird damit nachhaltig minimiert, egal wie viele der "anderen" infiziert sind.

Nur, gemacht werden muss es: „Intelligentes Handeln“.

Da sind wir bei den Verantwortlichen in der Politik. Ich hoffe, sie verstehen die Hinweise und HANDELN. Gesellschaft und Wirtschaft werden es danken.

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Geschrieben von

kritikaster

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