Noch Chancen zu überleben? II

Missratene Zivilisation: Die Menschheit beendet gerade ihre herausragende Stellung in der Weltgeschichte. Noch Chancen für eine Zukunftsperspektive?

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Die Menschen sehen sich gerne als „Krönung der Schöpfung“ und übersehen, wie sie gerade ihre herausragende Stellung in der Weltgeschichte beenden. Trotz oder wegen aller technischen Errungenschaften vernichten wir im Eiltempo unsere Lebensgrundlage. Wie ein Meteorit, der in der Erdatmosphäre eintaucht, befinden wir uns in der Phase des Verglühens. Viel wird nicht mehr übrig bleiben vom Homo sapiens.

Das Untergangsszenario – das Verglühen – ist im ersten Teil erläutert::

Zugespitzt die Zahlen seit 1960:
> Die Weltbevölkerung sprang von 3 Mrd. auf 7 Mrd. in 2013.
> Die Weltwirtschaft hat sich seit 1960 pro Kopf um das 20-fache vergrößert.
> Der CO2-Ausstoß verursachte Erderwärmung und Meeresanstieg.
> Der Erdöl-Verbrauch stieg von 1.000 auf 4.000 Millionen Tonnen in 2016.
> Das Artensterben: Seit 1970 sind rund 50% der Wirbeltiere verschwunden.

Wiederholen wir den Verlauf seit 1960 in weiteren 60 Jahren, wird es eng. Bleibt es bei der Beschleunigung der letzten 60 Jahre, dann haben wir die Erde plattgetreten, unbewohnbar gemacht.

Im Jahr 2080 wird es mehr als 11 Mrd. Menschen geben; für sie wird es eng: Viele Rohstoffe wie Erdöl fehlen. Das Ackerland verknappt, ausgelaugt und verseucht. Wie die Natur mit wenigen Arten überlebt und die Bestäubung der Pflanzen ohne Bienen funktioniert, bleibt offen. Immer mehr Land wird zur Wüste oder überschwemmt. Besonders hart trifft es Afrika; dort leben dann etwa 2 Mrd. Menschen mehr, die wahrscheinlich nach Europa drängen, um zu überleben. Dort stoßen sie auf 700 Mio. Europäer. Das Szenario will ich nicht zu Ende denken.

Warum geht die „missratene Zivilisation“ das Problem nicht an?

Der Konstruktionsfehler begann vor 6.000 Jahren. Bis dahin lebten die Menschen in kleinen Gemeinschaften zusammen; das Modell: gemeinsam arbeiten und den Ertrag teilen – der Zusammenhalt sorgte für das Überleben.

Dann bildeten sich größere Gemeinschaften. Neue Organisationsformen waren notwendig, um größere Vorhaben zu stemmen wie Bewässerungsanlagen, Speicher für Getreide und Mauern gegen Feinde.

Zu dieser Zeit bildeten sich Hierarchien mit einer erstaunlichen Tendenz. Eine kleine Oberschicht setzte sich von den „Mitbürgern“ ab und begann, diese zu disziplinieren und auszubeuten. Der große Rest der Gemeinschaft nahm die Rolle hin. Als Untertanen gehorchten sie der Oberschicht. Der Schutz der Gemeinschaft vor Feinden stützte die Akzeptanz dieser Entwicklung. Nach innen sorgte die Oberschicht mit Hilfe der getreuen, kriegserfahrenen Gefolgsleute für Ruhe und Ordnung und sicherte so ihre Privilegien ab, notfalls mit Gewalt.

Zur Autorisierung der abgehobenen Stellung erfanden sie Religionen mit Göttern und definierten ihre Gottesnähe. Die Gesetze aus „Gottes Hand“ halfen, die Untertanen zu disziplinieren.

Diese aristokratische Oberschicht machte ihre Gewaltdominanz schnell zu einem Geschäftsmodell: andere Gemeinschaften überfallen, plündern und unterwerfen. Schon die sumerischen Könige und die ägyptischen Pharaonen lebten das Modell. Sie regierten als absolute Priesterfürsten. Sie unterwarfen Nachbargemeinschaften und bildeten erste Großreiche. Die Devise: Ausbeuten und Unterdrücken – nach außen und innen – statt Teilen. Das Modell hat bis heute Bestand.

In den letzten 6.000 Jahren – der Phase der sogenannten Zivilisation (Hochkulturen) – lagen die Völker permanent in kriegerischen Auseinandersetzungen.

Absolute Herrscher (lange als Erbmonarchen, zuletzt als selbsternannte Autokraten) sahen ihre Aufgabe in der Expansion ihres Herrschaftsbereiches durch Überfallen und Unterwerfen anderer Völker. Bis heute wird das als große Leistung gerühmt, so wenn wir „Eroberer“ als Alexander den Großen oder Friedrich den Großen hervorheben. Und Russland jubelt, wenn Putin die Krim besetzt. Wann lernen wir dazu?

Diese Schieflage der Gemeinschaftsordnung – wenige haben Privilegien, der Rest ordnet sich unter – findet sich wieder im Markt-Modell der Kaufleute.

Die Prinzipien der Märkte schaffen Wohlstand, aber sie verteilen einseitig. Durch Ausprobieren (trial and error) suchen die Anbieter ihr Glück. Unternehmen, denen der Markt Verkaufshits beschert, werden durch Wachstum und hohe Gewinne belohnt. Hier entsteht Marktdominanz und wachsen Kapital-Berge bei Wenigen. Unternehmen, die kaum Kunden für ihre Produkte finden, scheitern. Dieses Zusammenspiel von Zuckerbrot und Peitsche begründet die Effizienz der Märkte.

Zusätzlich müssen wir konstatieren: Märkte ignorieren auch ökologische Ziele. Die Folge: Mit stetigem Wachstum hinterlassen sie Schäden, die kaum noch reparabel sind. Produktivität und technologischer Fortschritt erzeugen Wohlstand, aber gleichzeitig verzehren sie dramatisch die Ressourcen der Erde und zerstören die Umwelt. Unsere Lebensgrundlage schmilzt dahin.

Die Globalisierung beschleunigt die Schieflage weiter. Auch sie hinterlässt wenige Gewinner und viele Verlierer. Betroffen sind Staaten und deren Arbeitnehmer. Die Digitalisierung folgt der gleichen Tendenz. Wer KI beherrscht und Roboter sein eigen nennt, gehört zu den Gewinnern.

Dem Vorteil des gesamtwirtschaftlichen Wohlstands und des gewaltfreien Handelns steht der Nachteil der eindimensionalen Ausrichtung auf Gewinn ohne soziale und ökologische Rücksichtigen gegenüber.

Teilhabe für alle könnte helfen.

Vor 200 Jahren gelang es, die Tyrannei der Wenigen zu brechen – der erste Befreiungsschlag mit der Französischen Revolution. Nach dem zweiten Weltkrieg begann der Weg zur modernen Demokratie mit Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Die Menschenrechte sind in der UN-Charta verankert. In der EU helfen sich Staaten erstmals solidarisch gegenseitig, statt sich gegenseitig zu überfallen und zu plündern. Eine hoffnungsvolle Kehrtwendung – wie lange wird sie halten?

Die Demokratien haben den Tyrannen die politische Herrschaft weggenommen und die Macht auf das Volk verteilt. "Politische Teilhabe" ist entstanden.
Eine Regelung für die „Brüderlichkeit" – das wirtschaftliche Teilen – blieb aus. Die Herrschaft über die Wirtschaft überlassen wir dem Geldadel, den Konzernen. Hier bleibt die Schieflage gesellschaftsfähig. Die Ansätze, die Marktwirtschaft zu regulieren, finden kaum Befürworter. Das Überleben bedarf auch hier des Teilens – „Wirtschaftliche Teilhabe“ ist nötig.

Am Ende starren wir auf die unbearbeiteten Konjunktive (Lösungsansätze):
Die Politik müsste sich aus der Abhängigkeit von der Wirtschaft befreien. Ginge Wirtschaft auch ohne Wachstum? Wären neue Modelle wie „Arbeitszeit-Splitting“ oder „Nationaler Beteiligungsfonds der Arbeitnehmer“ hilfreich? Wäre mit Einpreisen der ökologischen Schäden ein schneller Einstieg in die Öko-Wende möglich? Müssten die unfairen Handelsabkommen mit Entwicklungsländern durch faire Abkommen ersetzt werden? Können wir Politiker finden, die eine radikale Umkehr wagen?

Und wie retten wir uns nun vor dem „Verglühen“?

Bisher hat die Natur manchen Völkern regional die Lebensgrundlage entzogen. Heute entziehen wir Menschen uns selbst die natürliche Lebensgrundlage und das global. Unser Ego ist falsch gestrickt: wir wollen immer mehr, den schnellen Erfolg – koste es was es wolle. Das half unseren Vorfahren, den Jägern und Sammlern, in einer unwirtlichen Umwelt zu überleben. Einkehr, Konsolidieren oder gar Reduzieren war dabei nicht hilfreich. Daher konnte der Homo sapiens diese Eigenschaften nicht lernen; heute sind diese Eigenschaften Voraussetzung für die Umkehr.

Machen wir die Revolution?

Revolutionen brachen bisher immer erst dann aus, wenn das Überleben gefährdet war. Hungersnöte waren meist die Triebkräfte. Ob wir diesmal schlauer sind und vor der Hungernot handeln, um das Verglühen unserer Zivilisation zu stoppen? Der Verstand sagt: Das müssen wir. Der Bauch: Wohl kaum.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kritikaster

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