Wohlstand für Alle: Teilhabe statt Almosen

Marktwirtschaft Die Marktwirtschaft ist effizient, aber nicht gerecht. Statt noch mehr umzuverteilen, helfen einfache Mechanismen, die den Markt zügeln und Allen Arbeit geben.

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Die Lücke zwischen arm und reich wächst ins Obszöne. Viele sehen darin die Ursache für die Unzufriedenheit der sozial Abgehängten, oft auch als Ursache für die Brexit-Entscheidung in Großbritannien, für die Abwahl der etablierten Parteien in Griechenland, für den Ausgang der Präsidentschaftswahl in Österreich, für den Zulauf zu Pegida und zur AfD. Die Links-Lastigen wissen, wer daran schuld ist: der Kapitalismus.

Die Marktwirtschaft hat sich als das erfolgreichste Wirtschaftssystem erwiesen, nicht nur in der EU. Der Erfolg, gemessen durch die Höhe des Bruttosozialproduktes oder des Pro-Kopf-Einkommens, verteilt sich jedoch ungleichmäßig; es gibt viele Verlierer. Das System ist effizient, aber nicht gerecht.

Die Marktwirtschaft basiert auf Wettbewerb. Wer keinen Erfolg hat, scheidet aus dem Wettbewerb auf den Märkten aus: Auf dem Gütermarkt gehen Unternehmen pleite, auf dem Arbeitsmarkt werden Beschäftigte arbeitslos.

Für die Staaten sind die Arbeitsmärkte das Kernproblem. Arbeitslose sind ohne Einkommen und von Armut bedroht. Den Beschäftigen im Niedriglohnsektor geht es nicht viel besser. Es trifft besonders Randgruppen, die auf Grund ihrer Situation im Wettbewerb benachteiligt sind: Langzeitarbeitslose, Jugendliche ohne Ausbildung, Jugendliche nach der Ausbildung, Mütter auf der Suche nach Teilzeitarbeit, ältere Arbeitslose, Behinderte, Einwanderer und Flüchtlinge. Für sie hat der Markt wenig Platz, kaum Stellenangebot.

Der Sozialstaat versucht dieses Manko über Sozialleistungen zu heilen. Dazu erhebt er Arbeitsplatz-Abgaben von Unternehmen und Beschäftigten und verteilt diese an die „Bedürftigen“. In Deutschland flossen in 2014 rund 30 % des Bruttoinlandsproduktes in das Sozialbudget. Etwa ein Drittel wird für die Krankenbehandlung ausgegeben, ein weiteres Drittel für Altersversorgung, das restliche Drittel sind Leistungen für Arbeitslosigkeit, Wohnen und sonstige Hilfen. Anders ausgedrückt, umverteilt werden jährlich – ohne die Leistungen für Krankenbehandlung – 20 Prozent des erwirtschafteten Bruttoinlandsproduktes. Damit wird ein Fünftel der Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik für Dritte erbracht. Verteilt werden die Leistungen im Wesentlichen an Rentner und Arbeitslose. An den Arbeitslosen hängen meist Familien, die über kein Einkommen verfügen und daher Sozialhilfen für Wohnen, Krankheit und Kinder bekommen. Die gesamten Soziallausgaben in 2014 betrugen für Deutschland rund 850 Mrd. Euro, ohne die Ausgaben für Krankheit sind es stattliche 570 Mrd. Euro.

Die Arbeitslosen und ihre Familienangehörigen sind nicht nur Empfänger dieser „Almosen“, sondern sie stehen auch unter dem Stress der sozialen Ausgrenzung. Sie leiden unter ihrem Status und in der restlichen Gesellschaft werden sie häufig als Schmarotzer betrachtet. In jedem Fall fehlt die soziale Wertschätzung. Die Betroffenen - dazu zählt auch die Schicht der Niedriglohnempfänger - fühlen sich abgehängt, minderwertig und ausgegrenzt. Für einige wird es zur Ursache für Krankheiten, andere radikalisieren sich und sehen in Einwanderern Konkurrenten und laufen Populisten hinterher. Noch schlimmer ist die Abwanderung in die Kriminalität oder zu Extremisten; beide Ziele sind besonders für männliche Jugendliche eine Option.

Gibt es eine Alternative zu der Umverteilung a la Robin-Hood?

Die soziale Marktwirtschaft lässt die Ausgegrenzten nicht im Stich, denn die Verlierer des Arbeitsmarktes fallen nicht in ein Loch, sie werden – wie oben erläutert – aufgefangen durch ein riesiges Transfer-Karussell. Bildlich gesprochen entspricht das einer Wohngemeinschaft mit fünf Bewohnern. Vier davon haben Arbeit, der fünfte nicht. Er darf kostenfrei im Hinter-Zimmer wohnen und erhält ein kleines Taschengeld für Essen und Kleidung. Der Fünfte hat keine Aufgabe, kann nicht auf Augenhöhe mitreden und fühlt sich als Almosenempfänger. Er darf zwar Leistungen für die Wohngemeinschaft übernehmen, erhält aber dafür nur eine geringe Vergütung. Sein Status – abgehängt zu sein – steht immer im Raum. In der Theorie könnten die vier Beschäftigten dem Fünften ein Stück ihrer Beschäftigung abgeben anstatt ihn mit Zuwendungen zu unterstützen. Das geben die Arbeitsmodelle der Unternehmen aber nicht her.

Kann eine Umgestaltung des Arbeitsmarktes erreicht werden?

Der Sozialismus weist jedem einen Arbeitsplatz zu und ist daran gescheitert. Dort fehlt der Wettbewerb um Arbeitsplätze und die Bereitschaft, Energie in den Arbeitsplatz zu investieren.
Der Kapitalismus bezahlt nur Arbeitsplätze, die für die Leistungen der Unternehmen benötigt werden. Damit entsteht Wettbewerb um diese Arbeitsplätze, aber die restlichen Bewerber bleiben ohne Arbeit.

Die Marktwirtschaft lässt sich gestalten. Diese Aufgabe fällt dem Staat zu, er kann der Marktwirtschaft Zügel anlegen. Die Mechanismen für die Steuerung sind vorhanden, am effektivsten wirken finanzielle Abgaben oder Zuschüsse. Ein Beispiel für Steuerung ist die Förderung der erneuerbaren Energie. Ähnliches gilt für die Steuererhöhung auf Kraftstoff, um den Verbrauch der Fahrzeuge zu drosseln. Leider werden viele Abgaben nur zur Aufbesserung der Staatseinnahmen und nicht mit Steuerungsabsichten erlassen.

Abgaben oder Zuschüsse können auch am Arbeitsmarkt greifen. Heute werden die Anreize vorwiegend gesetzt für die Qualifizierung der Arbeitslosen und die Subventionierung von Arbeitsplätzen. Beides ist zeitlich begrenzt. Sobald die Unterstützung wegfällt, geht meist auch die Wirkung verloren. Es fehlt der Ansatz, das permanente Überangebot an Arbeitskräften zu gestalten.

Der Staat könnte den Arbeitsmarkt beeinflussen, indem er das Überangebot an Arbeitskräften künstlich kappt: Dürften alle Beschäftigten nur als Halbtagskraft arbeiten, gäbe es plötzlich einen hohen Mangel an Arbeitskräften. Arbeitslosigkeit würde weitgehend verschwinden. Natürlich ist diese radikale Verknappung ungeeignet für die Praxis. Jedoch zeigt der Ansatz die Richtung an: Sind die Abgaben für die „erste Teilzeitstelle“ jedes Beschäftigten deutlich geringer als für seine „zweite Teilzeitstelle“, so wird sich eine neue Verteilung am Arbeitsmarkt einstellen.

Das System heißt „Arbeitszeit-Splitting“ und regelt die Abgaben für die primäre und sekundäre Arbeitszeit jedes Beschäftigten. Die preiswerte Primärzeit erzeugt eine deutlich höhere Nachfrage der Unternehmen als die teure Sekundärzeit. Um diesen Vorteil zu nutzen, müssen die Unternehmen neue Arbeitsmodelle entwickeln. In unserem Beispiel der Wohngemeinschaft erhält der arbeitslose Fünfte zumindest eine Primärzeit-Stelle und verfügt über eigenes, selbst erwirtschaftetes Einkommen. Er wird nicht mehr ausgegrenzt, sondern ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft. Dieser Effekt wirkt besonders für ältere Arbeitskräfte, Jugendliche und Alleinerziehende; sie alle erhalten bessere Chancen auf Arbeit, bezogen auf ihre primäre Arbeitszeit.

Das Arbeitszeit-Splitting bringt nicht nur erhebliche Bewegung in den Arbeitsmarkt, sondern lässt dem Bundeshaushalt erhebliche Finanzmittel übrig für neue Maßnahmen:

Erstens können mehr Ausgaben für die Qualifizierung von Arbeitskräften nachhaltig eingesetzt werden. Eine gezielte und verpflichtende Weiterbildung erhöht die Erfolgschancen für die primäre Arbeitszeit.

Der Staat kann zweitens die Gesamt-Abgaben auf Arbeit senken und damit Arbeit billiger machen und so helfen, die Stückkosten der Unternehmen zu senken und die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.

Drittens kann der Staat die verbleibenden Finanzmittel des Sozialbudgets anders verwenden. So kann er die Finanzreserven in Unternehmensbeteiligungen für die Beschäftigten umwandeln, am besten über nationale Beteiligungsfonds der Arbeitnehmer. Das führt zur Umverteilung von Unternehmensvermögen und hilft, die Rente aus den zufließenden Unternehmensgewinnen zu finanzieren. Damit entsteht ein zweites Standbein für die Finanzierung der Renten und entlastet gleichzeitig das Sozialbudget.
Zudem eröffnen nationale Beteiligungsfonds der Arbeitnehmer eine neue Teilhabe an Unternehmensvermögen und dessen Wachstum und eine neue Verantwortung für die Unternehmenssteuerung. Sie erhalten indirekt Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung. Das Spannungsverhältnis zwischen Arbeit und Kapital verliert an Bedeutung und bündelt gemeinsame Interessen.

Die Gestaltung der Märkte durch den Staat sollte auch beim anderen Extrem der Marktwirtschaft angewendet werden: den abgehobenen Finanzmärkten. Gemeint sind die Finanzmärkte, die sich von der Realwirtschaft abgesetzt haben. Mit „konstruierten Geschäften“ schöpfen diese abgehobenen Finanzmärkte viel Geld auf Kosten der Realwirtschaft ab und schädigen deren Wettbewerbsfähigkeit. Im Krisenfall können sich die Finanzjongleure der Rettung durch den Staat sicher sein, das macht sie besonders mutig.

Die Maßnahmen für die Finanzmärkte sind einfach, müssen sich aber einer starke Lobby erwehren: Verbote für „Wettpapiere“ und Besteuerung der Finanz-Transaktionen. Diese Maßnahmen legen den Sumpf schnell trocken, die Realwirtschaft gewinnt und damit auch der Arbeitsmarkt. Indirekt entsteht ein Mehr an Teilhabe für die Beschäftigten.

Der dargestellte Lösungsansatz ersetzt das Ausgrenzen der Randgruppen durch Einbeziehen; statt Almosen erhalten sie eine Teilhabe an der Wirtschaftsentwicklung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kritikaster

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