Zivilisation unterdrückt Ur-Verhalten Teilen.

Wirtschaftliche Teilhabe. Die Tradition des Teilens ist mit den ersten Hochkulturen verloren gegangen - bis heute. Dort muss angesetzt werden, um Populisten und Extremisten den Zulauf zu nehmen.

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Die Zivilisation des Homo sapiens begann vor etwa 10.000 Jahren; die Jäger-Nomaden wurden sesshaft und betrieben Ackerbau und Viehzucht – wir sprechen von der Neolithischen Revolution. Vor rund 5.000 Jahren entstanden daraus die ersten Stadtstaaten. Diese sogenannten Hochkulturen schufen komplexe, hierarchische Gesellschaftsstrukturen, die bis heute Bestand haben. Kleine Oberschichten machten die restliche Bevölkerung zu Untertanen. Die Tradition des Teilens, Grundprinzip der Clans von Jägern und Sammlern, wurde unterdrückt und ging schließlich verloren – bis heute.

Die Folgen in der Moderne macht das Beispiel Landkommune deutlich.

Unsere Landkommune lebt harmonisch zusammen. Sie ist eine Gemeinschaft, die nach eigenen Regeln zusammenlebt und gemeinsam wirtschaftet. Jeder Kommunarde hat eine Aufgabe. Die Kommune betreibt Ackerbau, ernährt sich von den eigenen Produkten, aber verkauft sie auch; sie hält Haus und Hof in Schuss und kümmert sich um die Kinder. Jeder Kommunarde leistet seinen Beitrag, die Arbeit wird auf alle verteilt; jeder wird dort eingesetzt, wo seine Fähigkeiten am besten wirken. Entscheidungen werden nach dem Konsensprinzip getroffen. Alle bekommen ihren Anteil am erwirtschafteten Arbeitsergebnis.

Eines Tages beschließt die Kommune, einen Traktor anzuschaffen, da dieser viele Arbeiten auf dem Feld vereinfacht. Bisher kümmerten sich 60 % der Kommunarden um die Bewirtschaftung der Felder. Mit dem Traktor reduziert sich diese Arbeit um ein Drittel. D.h. von den 60 % werden nur noch 40 % der Kommunarden für die Arbeit auf dem Feld benötigt. 20 % der Kommunarden werden dort nicht mehr gebraucht. Was tun?

Naheliegend ist, die Landkommune findet im Plenum eine neue Aufgabenverteilung. Wenn eine gute Verteilung gelingt, reduziert sich die Arbeit für alle um 20 %.

Einigen Kommunarden schwebt eine andere Lösung vor: Die Arbeit auf dem Feld bleibt bei denen, die am besten mit dem Traktor umgehen können. 20 % der Kommunarden verlieren dadurch ihre Arbeit. Sie werden arbeitslos, bleiben aber Teil der Kommune. Sie werden mitversorgt, erhalten auch einen Teil der Einnahmen, aber von allem etwas weniger. Sie bekommen gerade so viel, dass sie ohne Probleme ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

Für welche Variante wird sich die Landkommune entscheiden? Eine neue Verteilung der Arbeit auf alle Kommunarden oder die weniger geeigneten „auszusortieren“, aber als Teil der Kommune zu belassen? Die Entscheidung der Kommune ist vorhersehbar. Die gleichmäßige Verteilung der Arbeit in der Gemeinschaft ist selbstverständlich.

Die ungleiche Verteilung der Arbeit ist das vorherrschende Prinzip in einem vom Markt bestimmten Wirtschaftssystem. Dort bestimmen Angebot und Nachfrage die Verteilung der Arbeit, wenn Arbeitssuchende eine freie Arbeitsstelle finden. Das Problem: Die weniger geeigneten bleiben auf der Strecke. Arbeitswillige, die von keinem Unternehmen nachgefragt werden, erhalten den Status „arbeitslos“ und verlieren ihre Rolle in der Gemeinschaft.

Was in der Landkommune selbstverständlich ist, nämlich die Arbeit im Konsens auf alle zu verteilen, funktioniert nicht in einer großen Volksgemeinschaft. Gilt dort das Prinzip Marktwirtschaft, überlässt der Staat dem Markt die Verteilung der Arbeit. Der Staat beschränkt sich auf die Hilfe für die „Aussortierten“, die er über Sozialleistungen wirtschaftlich absichert. Wir sprechen von der sozialen Marktwirtschaft. Dafür wurde in Deutschland ein riesiges Transfersystem aufgebaut, das inzwischen 30% des Bruttosozialproduktes ausmacht.

Es bleibt jedoch der Beigeschmack des Aussortierens. Der Staat kann sein Wirtschaftssystem nicht als Landkommune organisieren. Aber er kann Anreize für die Unternehmen setzen, damit sich die Verteilung der Arbeit auf alle über den Markt einstellt. Ein Beispiel dafür ist das Arbeitszeit-Splitting – mehr dazu unter: https://www.freitag.de/autoren/kritikaster/wirtschaftliche-teilhabe-statt-robin-hood

Neue Formen des Teilens sind das Ziel: Gestaltungsleitplanken des Arbeitsmarktes sorgen für eine gleichmäßigere Verteilung der Arbeit auf Alle. Gleichzeitig wird die Beteiligung an Firmenkapital über Nationale Beteiligungsfonds für die Arbeitnehmer geschaffen.

Das Teilen war für die Jägergemeinschaft der Vorgeschichte überlebenswichtig. Die moderne Zivilisationsgesellschaft muss dieses Ur-Verhalten wieder akzeptieren und zulassen. Nur so lassen sich die Konflikte der westlichen Demokratien entschärfen. Nur so wird der finale Schritt zur Befreiung von den Machtmonopolen der Oberschichten erfolgen. Die Befreiung von den politischen Machtmonopolen hat vor gerade mal 200 Jahren begonnen. Im Zeitalter der Automation und Digitalisierung ist die Befreiung vom Geldadel dringend notwendig. Das geht auch ohne Revolution.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kritikaster

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