(Gesungene Fassung: https://www.youtube.com/watch?v=s3Lsn8K7naA)
In Amerika, da ist man ja in Vielem schon viel weiter! Gentechnik, Hormonfleisch, oder Fracking: alles Segnungen des Fortschritts, die man drüben schon genießen kann. Doch in Deutschland und Europa sind die Menschen ja so fortschrittsfeindlich. Und selbst unsre Freunde in der Politik, die lassen sich da manchmal von beeinflussen. Aber damit ist jetzt Schluss! Wenn demnächst Gesetze kommen, die fürs Geldverdienen schädlich sind, dann haben wir ein Mittel in der Hand und können sagen:
Herr Politiker, so geht das nicht / wir werden Sie verklagen /
Vorm Investitionsschiedsgericht / da hab'n Sie nichts zu sagen.
Nennt sich „ISDS“ und ist wesentlicher Teil von „CETA“ und „TTIP“. Wie? Das sagt Ihnen jetzt nichts? Na dann will ich Ihnen das erklären. Stellen Sie sich vor, Sie produzieren einen Treibstoffzusatz und dann stellt ein Mediziner fest, dass dieser Krebs verursacht. Und das Parlament lässt Ihr Produkt dann per Gesetz verbieten. Finden Sie natürlich nicht so gut. Wär doch schön, wenn Sie dagegen klagen könnten. Geht natürlich nicht im ordentlichen Rechtssystem, denn das muss sich ja an Gesetze halten. Dafür brauchen wir die Schiedsgerichte. Und die tagen im Geheimen und entscheiden tun da keine Richter, sondern Anwälte. Die sich über die Verfahren finanzieren. Eine Win-Win Situation. Also für die Anwälte und Investoren. Weniger für die verklagten Länder...
Herr Politiker, so geht das nicht / wir werden Sie verklagen /
Vorm Investitionsschiedsgericht / da haben wir das sagen.
Solche Schiedsgerichte gibts zum Beispiel schon bei NAFTA zwischen USA und Kanada, und dabei haben die sich sehr bewährt. Als in Kanada in Quebec es beim Fracking zu Protesten und verschmutztem Wasser kam, da hat doch die Regierung einfach mal die Förderung gestoppt. Sowas geht natürlich gar nicht! Also gab es eine Klage vor dem Schiedsgericht, und deren Chancen stehen gar nicht schlecht. Soweit muss es die Regierung ja in Zukunft gar nicht kommen lassen! Wenn mal wieder eine Regelung zum Umweltschutz im Busch ist, die den Investoren nicht gefällt, können die mit einem Hinweis auf das Schiedsgericht das schon im Vorfeld stoppen:
Liebes Parlament, so geht das nicht / ihr müst uns vorher fragen /
Sonst ziehen wir vors Schiedsgericht / und werden euch verklagen.
Wie? Sie meinen, dass das Ihnen gar nichts nützt, weil Sie ja kein US-Investor sind. Nicht so schnell, auch dafür gibt es eine Lösung! Denn die Firma, die in Quebec fracken wollte, kam ja auch aus Kanada. Hatte aber eine Tochter in den USA. Oder Chodorkowski war ja auch aus Russland und noch nicht mal ein Investor. Trotzdem hat das Schiedsgericht ihm Recht gegeben. Gut, der Schiedsspruch mag politisch motiviert gewesen sein, trotzdem haben wir jetzt einen Präzedenzfall. Mieten Sie Sich einfach einen Briefkasten in Delaware, und schon sind Sie ein US-Investor, und Sie können gegen deutsche Parlamentsbeschlüsse vorgehn:
Liebes Parlament, so geht das nicht / ich werde Euch verklagen /
Vorm Investitionsschiedsgericht / da habt Ihr nichts zu sagen.
Wie? Das finden Sie nicht gut, weil das den Rechtsstaat untergräbt und die Demokratie gefährdet? Hören Sie, ich glaube nicht, dass kommunistische Parolen uns hier weiterbringen!
Umweltschutz und Arbeitnehmerrechte sind doch noch Begriffe aus dem vorigen Jahrhundert. „Hauptsache gesund“, so hieß das früher. Heute heißt es: „Hauptsache Arbeit“. Und wer schafft die Arbeitsplätze? Doch wohl nicht HartzIV-Schmarotzer, sondern Investoren! Und wenn die nur immer mehr Gelegenheiten haben zu verdienen, tröpfelt irgendwann der Wohlstand auch nach unten durch. Also sind doch Arbeitsrecht und Umweltschutz auch gegen die Interessen der HartzIV-Empfänger! Und es ist für alle nur von Vorteil, wenn die Populisten in den Parlamenten nicht mehr so viel Einfluss haben! Also singen Sie mit uns:
Parlamente interessiern uns nicht / wenn die sich schlecht betragen /
Dann haben wir das Schiedsgericht / um das zu untersagen.
(Seite 2: Hintergrundinformationen zum Text)
Erläuterungen
Die Abkürzung ISDS steht für „Investor State Dispute Settlements“ (ISDS), die Bestandteil der transatlantischen Handelsabkommen CETA (EU & Kanada) und TTIP (EU & USA) sind. Der deutsche Bundestag hat sich am 25.09.2014 mit 462 zu 119 Stimmen für die Integration dieser privaten Gerichtsbarkeit in die Handelsabkommen ausgesprochen, wobei CDU und CSU einstimmig dafür stimmten, und aus der SPD gab es lediglich zwei Gegenstimmen.
Das Beispiel mit dem Treibstoffzusatz entspricht dem Fall „Ethyl Corp. versus Canada“ aus dem Jahr 1997, der mit einer Schadensersatzzahlung an das Unternehmens und der Rücknahme der Verbots für das giftige Produkt endete [1]. Die Investitionsschutz-Schiedsgerichte sind auch für die beteiligten Anwälte, die zugleich auch Richter sind, ein großes Geschäft mit Einnahmen von durchschnittlich 8 Mio US-Dollar je Fall. Einzelne Verfahren sind deutlich teurer: so musste die philippinische Regierung beispielsweise 58 Mio US-Dollar nur für die Prozesskosten zweier Schiedsprozessen aufwenden, die der deutschen Flughafenbetreiber Fraport angestrengt hatte [2].
Das Fracking-Beispiel ist der Fall „Lone Pipe versus Canada“, der auf Basis des NAFTA-Abkommens vor einem Schiedsgericht seit 2013 verhandelt wird [3]. Den Vorgang, dass staatliche Regelungen im Vorfeld durch Androhung einer Schiedsgerichtsklage verhindert werden, nennt man Regulatory Chill [4].
Die Möglichkeit, durch formale Verlegung des Firmensitzes in den Genuss günstigerer gesetzlicher Regelungen zu kommen, nennt man Treaty Shopping [2]. Im Fall „Chodorkowski versus Russia“ hat ein Schiedsgericht in Den Haag im Juli 2014 einen Rekord-Schadensersatz von 50 Mrd US Dollar verhängt. Dabei wurde zum einen die Anforderung eines „ausländischen Investors“ fallen gelassen, indem funktionslosen Zwischengesellschaften mit Sitz in europäischen Steuerparadiesen wie Zypern und der Isle of Man diese Rolle zugesprochen wurde. Zum andern wurde auch der Begriff „Investition“ sehr großzügig ausgelegt [5].
Dass Demokratie als Gefahr für wirtschaftliche Interessen gesehen wird, machen zwei Anwälte der Kanzlei Milbank deutlich: „Unerwünschte Regierungsaktionen gibt es nicht nur unter autokratischer Herrschaft. Der Populismus, den die Demokratie mit sich bringt, ist häufig Katalysator für solche Aktionen.“ [6]. Die Trickle Down Theory ist seit M. Thatcher und R. Reagen die Begründung für eine neoliberale Wirtschaftspolitik. Sie besagt, dass den Reichen gewährte Vorteile allen zugute kommen, weil dadurch die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt gefördert wird [7].
Literatur
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P. Eberhardt: „Konzerne versus Staaten: Mit Schiedsgerichten gegen die Demokratie.“ Blätter für deutsche und internationale Politik 4'2013, pp. 29-33, 2013
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H. Burles (ed.): „Profiting from injustice. How law firms, arbitrators and financiers are fuelling an investment arbitration boom.“ Corporate Europe Observatory and the Transnational Institute, 2012
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N. Cingotti, P. Eberhardt, T. Feodoroff, A. Simon, I. Solomon: „Fracking auf TTIP komm raus.“ PowerShift, März 2014
-
K. Tienhaara: „Regulatory chill and the threat of arbitration: a view from political science.“ In: Evolution in investment treaty law and arbitration, hg. von C. Brown & K. Miles, Cambridge University Press, 2011
-
J.D. Bayer: „Das 50-Milliarden-Urteil von Yukos - und die Risiken für Deutschland.“ Manager-Magazin, 31.10.2014
-
M. Nolan, T. Baldwin: „Minimising Risk in the Face of Government Action.“ Project Finance International, pp. 47-49, 16. Mai 2012
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J. Stieglitz: „Der Preis der Ungleichheit.“ Blätter für deutsche und internationale Politik 8'12, pp. 31-32, 2012
Kommentare 11
Totalerausspähung & ein Konzernermächtigungsgesetz (TTIP/TISA/CETA): In der Ukraine wird der rechte Mob losgelassen, in Spanien das Demonstrationsrecht eingeschränkt, in England Internetzensur eingeführt & in Deutschland eine Friedensdemo dämonisiert, während eine Demonstration gegen die 'islamische Bedrohung' Sachsens (!!!) medial den roten Teppich ausgerollt bekommt.
In der Ferne das Kanonengrollen in einer neuen Konfrontation mit Russland.
Und da soll's irgendwen wundern, wenn man den 30jährigen Krieg des letzten Jahrhundert wieder um die Ecke luken sieht?
Und da soll's irgendwen wundern, wenn man den 30jährigen Krieg des letzten Jahrhunderts wieder um die Ecke luken sieht?
Was jetzt sich anbahnt, wird alles bisher gewesene in den Schatten stellen. Bedenken Sie doch nur einmmal die erst seit 2 Weltkriegen möglich gewordene Kriegsführung "von oben", die seither noch so weiterentwickelt wurde, wie wir es wahrscheinlich jetzt noch nicht in unseren schlimmsten Träumen ausmalen können!
Es gibt diejenigen, die unsere Welt in Brand stecken wollen. Wir sind in Gefahr. Wir haben nur Zeit, um behutsam zu arbeiten. Wir haben keine Zeit, um nicht zu lieben. Donna Metzer
Ich wünsche Ihnen freudvolle Feiertage!
DONA NOBIS PACEM!
Danke für die "lustige" Aufklärung! Sie weisen den einzig noch gangbaren Weg: Den mit Humor und Kreativität.
Seh' ich ja ein, dass es im Moment sehr viel existenziellere Probleme gibt als ein Freihandelsabkommen, und zur Medienkampagne gegen die Friedensaktivisten gibt's auch noch ein Lied. Versprochen!
Aber erst war das hier noch auf meiner TODO-Liste, und die ist in diesen Zeiten beunruhigend lang...
So war das nicht gemeint! Diese Abkommen sind ein mit unglaublicher Chuzpe orchestrierter Versuch, vertraglich die systematische Beraubung von Bevölkerungen abzusichern!
(& Sie halten immerhin die Ästhetik des Widerstands wohltuend hoch. Das ist auch ein Wert an sich.)
Herzliche Grüße & (trotz allem) ein frohes Weihnachtsfest!
Anja Böttcher
Gleichfalls.
Vielleicht geht ja den geistig & seelisch Verdorrten auch ein Stern auf (.....und den Menschen ein Wohlgefallen.)
Frohe Weihnachten!
Pro und Contra TTIP/CETA/TiSA:
Anstatt ein ungewisses und umstrittenes Wirtschaftswachstum in Milliardenhöhe bzw. neuerdings den Verlust Hunderttausender Arbeitsplätze in Aussicht zu stellen, sollten doch die beteiligten Regierungen erstmal die gewissen und unumstrittenen Milliarden entgangener Steuern von den Großkonzernen eintreiben, die geschickt Steuerschlupflöcher im globalen Maßstab nutzen, und damit z.B. neue Arbeitsplätze schaffen. Und anstatt die Globalisierung noch weiter zu treiben, sollten die Regierungen erstmal die Globalisierung beherrschen lernen.
Und anstelle der Sonderrechte des Kapitals (Schiedsgerichte zur Sicherung des Kapitals) wird es Zeit, wieder die Pflichten (Eigentum verpflichtet) in den Vordergrund zu stellen! Wenn man diese Themen auf der politischen Bühne verfolgt, wird einem klar, warum die Politikverdrossenheit zunimmt.
Der Revoluzzer, Rock'nRoller und Singer-Songwriter Sigismund Ruestig hat sich dieser Themen auf YouTube angenommen:
http://youtu.be/_a_hz2Uw34Y
http://youtu.be/-q0gF597WEA
http://youtu.be/TgAi7qkD8qg
http://youtu.be/0zSclA_zqK4
Viel Spaß beim Anhören.
Danke für den Hinweis. Ich muss allerdings zugeben, dass die verlinkten Videos für mich gewöhnungsbedürftig sind.
Liebe Anja,
ein Lied über die mediale Abkanzelung der Friedensaktivisten habe ich jetzt verfasst. Dabei fürchte ich, den vor den Firedfertigen warnenden Ton so gut getroffen zu haben, dass der Text missverstanden wird, und ich bräuchte einen scharfen Geist, der da mal kritisch drüberguckt.
Da Du über einen solchen verfügst, wollte ich mal fragen, ob ich Dir das Lied zwecks kritischer Anmerkung irgendwie zukommen lassen kann? Der Freitag erlaubt keine nicht-öffentliche Kommunikation, aber Du könntest mich über meinen YouTube-Account kontaktieren (YT erlaubt private Nachrichten, oder Du folgst dem Link auf meine Webseite).
Danke, chidelta
PS: diesen Kommentar werde ich einklappen (sieht den dann keiner mehr?) wenn Du ihn gelesen hast.
Lieber Krysztof,
vielleicht am einfachsten: Du klappst nach Erhalt der Nachricht beide ein. Du erreichst mich unter: meinem Namen [klein, ohne Umlaut]+ 1 [at] gmx.de.
Ich schau mir den Text gerne an & bedanke mich im Voraus für das Zutrauen in meine textanalytischen Fähigkeiten.
Anja Böttcher
Die Eins nur dem Namen zufügen - kein Pluszeichen verwenden! - missverständlich.
Liebe Anja,
so weit ist das Kanonengrollen nun auch nicht mehr entfernt. Und dass wieder ein 30jähriger Krieg um die Ecke lukt, wage ich zu bezweifeln. Die Einheit "Jahr" passt nicht mehr, wo der Pegel auf der Skala sich einstellen wird, auf Monate, Wochen, Tage, Stunden oder Minuten - wer weiß es, alles ist möglich.
Vermagst Du es überhaupt noch, bei all den Massen an verheerenden Informationen, mit den ganzen Fakten, Daten und Hintergründen, die auf Dich, auf uns alle über alle mögliche Kanäle einströmen, ein - um mit Luther zu sprechen - Bäumchen zu pflanzen?
Ich frage mich allen Ernstes, was es uns überhaupt noch zu helfen vermag, wenn man sich immerfort dieser Flut aussetzt, womöglich auch noch glaubt, gegen diesen Wahnsinn angehen zu können oder zu müssen. Habe über die letzten Tage "1913 - der Sommer des Jahrhunderts" gelesen . Muss ich mehr sagen?
Liebe Grüße
Michael
Lieber Michael,
der Flut des verordneten Hasses sich ohnmächtig auszusetzen, wäre ebenso falsch, wie sie zu ignorieren, weil sie uns ja auch erfassen wird, wenn wir den Kopf in den Treibsand stecken.
Es kommt aber darauf an, Mensch zu bleiben & sich nicht von denen zur Manövriermasse degradieren zu lassen. Widersprechen ist eine wichtige Sache, lesen (& andere Brunnen der Seele) eine andere. Um zumindest geistig/kulturell mir keinen Eisernen Vorhang verordnen zu lassen, wende ich mich gerade Wassily Grossmans großem Roman "Leben und Schicksal" zu. Eine derart menschliche Stimme aus der Hölle des 2. Weltkriegs zu hören, tut tiefgehend gut.
Herzliche Grüße,
Anja
Liebe Anja,
dank Dir für Deine Antwort. Im besten Proust'schen Sinne sind wir wohl alle auf der "Suche nach der verlorenen Zeit". Unserer Zeit wohl besser entsprechend : Auf der Suche nach der verlorenen Menschlichkeit! Wir werden noch lange suchen müssen!
Habe vor ca. einer Woche einen Film gesehen (auf Arte) - .spät nachts, wie immer bei solchen Themen, die braucht schließlich keiner zu sehen. Ein in einem Straflager Nordkoreas aufgewachsener Flüchtling berichtet von seinen Erlebnissen vor und nach seiner Flucht. Wie einst King-Kong wird er als "Vorzeige-Affe" nach Kalifornien verschleppt, erlebt dort das Leben in der "reinsten Freiheit". Wie endet die Story? Nachdem er alles betrachten, erleben konnte, was das Leben in Freiheit so zu bieten hat, wünschte er sich nur eines: seine Rückkehr in das einst so gehasste, gefürchtete Lager. Dorthin wo man einst vor seinen Augen Mutter und Bruder hingerichtet hatte. Mein Schluss: wäre in der von ihm angetroffenen "Freiheit" nur ein Hauch "echte Menschlichkeit" zu spüren gewesen, hätte es dieser Wahl nicht bedurft.
Menschlichkeit, der wohl in der Geschichte der Menschheit am meisten mißbrauchte, vergewaltigte, gleichwohl mißáchtete Begriff, ist in praxi nicht mehr existent. Vielleicht wäre sie ein Ansatz für eine Steinschleuder beim Niederstrecken von Goliath?
Die herzlichen Grüße in Erwiderung
Michael
Hm, jetzt habe ich mehrere Testemails verschickt, von denen zumindest zwei Emailadressen keinen Fehler lieferten: nur Nachname mit Zahl und Vorname & Nachname mit Zahl, wobei der Umalut jeweils durch zwei Buchstaben ersetzt ist. Ist eine von denen angekommen?
Nein. Also doch mal lieber exakt: anja-boettcher1@gmx.de.
[Ich hatte wohl das Minus vergessen?]
Bitte einklappen!