Hüte Dich vor den Friedfertigen!

Ein Lied, das die Berichterstattung über den "Friedenswinter" karikiert (geht das noch?). Ähnlichkeiten mit der Wortwahl in den Qualitätsmedien sind beabsichtigt ;-)

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Ihre Freitag-Redaktion

(Gesungene Fassung: https://www.youtube.com/watch?v=Vc9CXOBo-Jw)

Geh bloß nicht demonstrieren für Frieden in der Welt!
Zu denen, die marschieren, haben manche sich gesellt,
Die nennen sich „Antifaschisten“.
Doch Vorsicht: an diesem Begriff
Erkennt man die Altkommunisten,
Die sehn hinter allem
die finsteren Absichten des Kapitals.
Und wenn sie behaupten
zu hörn die Signale, so halte dich fern!

Geh bloß nicht demonstrieren für Frieden in der Welt!
Zu denen, die marschieren, haben manche sich gesellt,
Die wittern „Imperialismus“.
Doch Vorsicht: an diesem Begriff
Erkennt man die Nationalisten,
Die undankbar leugnen,
dass Freiheit nur schenkt der atlantische Bund.
Und wenn sie sich sammeln
zu mahnen für Frieden, so halte dich fern!

Geh bloß nicht demonstrieren für Frieden in der Welt!
Zu denen, die marschieren, haben manche sich gesellt,
Die störn sich am „Medien-Gleichklang“.
Doch Vorsicht: an diesem Begriff
Erkennt man Verschwörungserfinder,
Die suchen noch Vielfalt,
wenn alternativlos die Deutungen sind.
Und wenn sie befüllen
die Weblogs am Freitag, so halte dich fern!

Geh bloß nicht demonstrieren für Frieden in der Welt!
Zu denen, die marschieren, haben manche sich gesellt,
Die kommen mit Bibelzitaten.
Doch Vorsicht: an diesem Bezug
Erkennt man die Armen im Geiste,
Die glauben tatsächlich,
die Bergpredigt wäre von praktischem Wert.
Und wenn sie beklampft
„Ubi caritas“ singen, dann halte dich fern!

Geh bloß nicht demonstrieren für Frieden in der Welt!
Zu denen, die marschieren, haben manche sich gesellt,
Die rufen nach „friedlicher Lösung“.
Doch Vorsicht: an diesem Begriff
Erkennt man die fünfte Kolonne,
Die Wehrkraft zersetzend
das Land überliefert dem lauernden Feind.
Und wenn sie sich sammeln
zur blau-weißen Taube, dann halte dich fern!

Und geh nicht demonstrieren für Frieden in der Welt!
Es hat zum Protestieren viel zu Vieles sich gesellt.
Geh bloß nicht demonstrieren gegen Kriegstreiberei,
Denn die da aufmarschieren, da sind Schmuddelkinder bei.

(Seite 2: Hintergrundinformationen zum Text)

Erläuterungen

Über die Friedensdemonstration am 13.12.2014 mit prominenten Rednern wie Daniela Dahn oder Eugen Drewermann konnten die Teilnehmer aus den Zeitungen lernen, dass sie einer Versammlung von "Verschwörungs-Theoretikern, Linken, Rechten und Wirrköpfen" beigewohnt hätten [1].

Nun sind solche massenmedialen Angriffe auf um den Frieden Besorgte nichts Neues. Auch die "alte“ Friedensbewegung sah sich Vorwürfen ausgesetzt, die teilweise mit den heutigen identisch waren: "Die Zeit" z.B. kramt mit Ihrer Überschrift "Dass man sie bis nach Moskau hört" [2] die "5. Kolonne Moskaus" wieder aus der Propagandamottenkiste hervor. In den 1980er Jahren gab es sogar einen satirischen Autoaufkleber: "Hupen zwecklos, Fahrer wird von Moskau ferngesteuert".

Die gegenwärtigen Maßnahmen gegen den "Friedenswinter" sind allerdings etwas geschickter und anscheinend auch erfolgreicher: es sollen mit der Warnung, sich möglicherweise in schlechter Gesellschaft zu befinden, besorgte Bürger ferngehalten werden. Vermutlich zu diesem Zweck erschien ein warnender Bericht über die Demonstration bereits drei Tage vorher [3]. Dabei wird die klassische ad hominem Taktik angewandt: um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Forderungen zu vermeiden, wird nach Äußerungen einzelner Beteiligter inanderenZusammenhängen gesucht, anhand derer sie als unwürdige Gesprächspartner diskreditiert werden sollen.

Zu den einzelnen aufgedrückten Stempeln:

Altkommunisten. Durch die Behauptung J. Ditfurths, sie erkenne in einzelnen Äußerungen auf den „Mahnwachen für den Frieden“ antisemitische „Codes“ der „Neu-Rechten“ [4], sahen sich die Veranstalter des „Friedenswinters“ genötigt, ihre antifaschistische Gesinnung deutlich zu machen. Der Begriff „Antifaschismus“ bietet wiederum eine willkommene Angriffsfläche, weil er in der DDR vielbenutzt wurde und auch die westdeutsche „Antifa“ sich dem linken und autonomen Spektrum zugordnete. Der Vers „zu hörn die Signale“ spielt an auf den Anfang des Liedes „Völker hört die Signale“, das die Hymne der Sozialisten und Kommunisten ist.

Nationalisten. Kritik an der NATO wird gerne mit dem Argument begegnet, dass nur die Einbindung in das westliche Militärbündnis nach dem 2. Weltkrieg die Freiheit Westdeutschlands gesichert und zugleich ein Aufleben des immer drohenden deutschen Nationalismus verhindert habe. Aus Dankbarkeit müsse Deutschland sich nun stärker militärisch engagieren.

Verschwörungstheoretiker. Die Kritik an einseitiger Berichterstattung der Medien insbesondere über die Ukraine-Krise 2014 wird von Medienvertretern als Verschwörungstheorie abgetan mit dem Hinweis, dass kein Politiker direkten Einfluss auf Journalisten nimmt. Dass es andere Mechanismen gibt, die die Berichterstattung beeinflussen [5,6], wird dabei ignoriert. Als kuriose Randnotiz sei erwähnt, dass Medienvertreter die Kritik selbst mit der Verschwörungstheorie beantwortet haben, die Kritiker seien von Russland bezahlte „Trolle“ [7].

Religiöse Spinner. „Selig sind die Armen im Geiste“ lautet die erste Seligpreisung der Bergpredigt in der älteren Bibelübersetzung von F.J. Allioli [8]. Ob aus der Bergpredigt Konsequenzen für politisches Handeln folgen, ist unter Christen umstritten. Der Journalist F. Alt bejahte dies in einem in den 1980er Jahren viel diskutierten Buch [9], während der Pfarrer und spätere Bundespräsident J. Gauck dies verneinte: „Wer mit der Bergpredigt Politik machen will, gehört auf die Couch“ [10].

5. Kolonne Moskaus. Dieser Vorwurf wurde bereits im Nachkriegsdeutschland gegen eine Politik erhoben, die statt Konfrontation auf eine Verständigung mit der Gegenseite (damals der Ostblock unter Führung der Sowjetunion) setzt. Der Begriff „Putin-Versteher“ geht in dieselbe Richtung. „Wehrkraftzersetzung“ war im Dritten Reich während des zweiten Weltkriegs ein Straftatbestand, auf den die Todesstrafe stand. Die weiße Taube auf blauem Grund ist das traditionelle Zeichen der Friedensbewegung.

Literatur

  1. M. Niewendick: „Verschwörungstheoretiker, Linke und Neonazis gegen Gauck.“ Der Tagesspiegel (Online-Version), 13.12.2014

  2. L. Jacobsen: „'Friedenswinter' - Dass man sie bis nach Moskau hört“. Zeit-Online, 13.12.2014

  3. S. Geyer: „In Wut vereint.“, Frankfurter Rundschau (Online-Version), 10.12.2014

  4. Interview mit J. Ditfurth im Kulturmagazin auf 3sat am 16.04.2014

  5. N. Chomski, E. Herman: „Manufacturing Consent.“ Pantheon Books, New York, 1988

  6. U. Krüger: „Meinungsmacht.“ Herbert von Halem Verlag, Köln, 2013

  7. J. Hans: „Putins Trolle.“ Süddeutsche Zeitung (Online-Version), 13.06.2014

  8. F.J. Allioli: „Die heilige Schrift des alten und neuen Testaments.“ Johann Adam Stein, 1830

  9. F. Alt: „Frieden ist möglich.“ Piper, München, 1983

  10. S. Willeke: „König Jochen.“ Zeit-Online, 31.07.2014

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