Blaupause für die EU- Wirtschaftsverfassung?

Aufsatz F. A. Hayeks 1939 Titel: "Die wirtschaftlichen Voraussetzungen föderativer Zusammenschlüsse"

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Nachdem ich in einem Kommentar (https://www.theorieblog.de/index.php/2019/09/die-groesse-der-demokratie-eine-replik-buchforum-die-groesse-der-demokratie-teil-5/) des Darmstädter- Greifswalder Uni. Prof. Dirk Jörke einmal gelesen hatte, dass der „Aufsatz Die wirtschaftlichen Voraussetzungen föderativer Zusammenschlüsse Friedrich August von Hayeks von 1939, [von] … Streeck[https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Streeck] nicht ganz zu Unrecht als eine Art Blaupause für die europäische Wirtschaftsverfassung bezeichnet … [wurde]“, wollte ich mir diesen Aufsatz dann doch einmal durchlesen.

Wobei ich mich dafür aber erst mal auf die Suche begeben musste, wo man diesen denn legal überhaupt bekommen kann. Nach einigem nachforschen bin ich dann auf das Buch „Individualismus und wirtschaftliche Ordnung“ von Herrn Hayek aus den Jahren 1952 (1.Auflage) und 1976 (2. erweiterte Auflage) gestoßen. Und zumindest in der 2. erweiterten Auflage befindet sich dann ganz am Ende des Buches besagter Aufsatz von 1939. Daher habe ich mir dieses Buch dann mal gebraucht gekauft.

Herr Jörke schrieb ja, dass laut diesem Aufsatz von Herrn Hayek, ein gemeinsamer supranationaler Wirtschaftsraum dazuführen würde, „dass durch eine supranationale Konstitutionalisierung wirtschaftlicher Prozesse, demokratische Mehrheiten − etwa mit Forderungen nach Steuerhöhungen, öffentliche Schulden oder Arbeitsschutzmaßnahmen − ins Leere laufen [würden]“ und „dass sich auf der supranationalen Ebene kein gemeinsamer demokratischer Wille herausbilden könne, dafür seien die nationalen Kulturen und Egoismen zu stark ausgeprägt. „. Als Fazit schrieb Herr Jörke: „Angesichts des derzeitigen Zustandes der EU muss man leider eingestehen, dass Hayek größtenteils Recht behalten hat. Ein gemeinsamer demokratischer Wille, der etwa zu einer sozialstaatlichen Einbettung des europäischen Marktes führen könnte, ist weiterhin wenig wahrscheinlich. “

Der Aufsatz von Herrn Hayek hat einen Umfang von ca. 20 Seiten, er lässt sich also recht schnell lesen.

Zunächst schreibt Herr Hayek dort, dass seiner Meinung nach eine politische Union immer auch einer wirtschaftlichen Union bedarf, z. B. da eine gemeinsame Außenpolitik immer auch eine gemeinsame Finanz- und Geldpolitik benötigt, sonst könnten keine internationalen Verträge zur Regelung der gemeinsamen Kontrolle der Ein- und Ausfuhr beschlossen werden. Und dass eine gemeinsame Sicherheitspolitik durch „inneren“ Protektionismus zumindest stark gehemmt werden würde. Sowohl aus Effizienzgründen wie auch aus dem Fehlen ungetrübter gemeinsamer Interessen.

Im Anschluss schreibt er dann, dass durch eine wirtschaftliche Union die Bewohner der Union nicht mehr in regionalen gleichbleibenden Interessensverbänden gegen andere regionale gleichbleibende Interessensverbände ihre Interessenskonflikte austragen würden sondern in sich ständig neu bildenden überregionalen Interessensverbänden.

Wenn man bedenkt, dass die Welt 1939 gerade in einen rassistisch- nationalistisch motivierten Vernichtungskrieg und eben nicht in einen zur Erlangung des fairen und zur Grundversorgung benötigten gemeinsamen Aufstand der Benachteiligten und Bedürftigen geführt wurde, ist dieser Wunsch von Herrn Hayek nach nicht- ethnisch zusammengesetzten Interessensgruppen natürlich sehr ehrbar und befürwortenswert. Wobei Gruppenbildung nach ethischen Werten natürlich mehr anzustreben ist. Denn diese setzten sich, im Idealfall, sowieso schon für einen fairen Ausgleich der Interessen ein.

Generell beschrieb Herr Hayek auf den ersten Seiten seines Aufsatzes schön die Vorteile einer Wirtschaftsunion.

Betrachten wir jetzt mal weiter, ob er in seinem Aufsatz auch die Meinung vertreten hat, dass eine Wirtschaftsunion, vor allem eine mit einem gemeinsamen Markt, einen Ausgleich, wirtschaftlicher oder finanzieller Art, eine Priorisierung der Wirtschaftstätigkeit hin zur allgemeinen Grundbedarfssicherung und hinreichende staatliche Regulierung für soziale, ökologische oder sicherheitsrelevante Zwecke braucht.
Ein Ausgleich ist wichtig, meiner Meinung nach, da die wirtschaftliche Konzentrationskraft des Marktes hin zu Standorten mit optimalen Produktionsbedingungen einfach zu groß ist, um die unkorrigierte Marktentscheidung einfach komplett akzeptieren oder tolerieren zu können.
Das ergibt sich ja schon aus der Hauptaufgabe des Marktes, durch einen fairen Wettbewerb der
Ideen, die optimale Kombination der Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital zu finden.

Wahrheitsgemäß stellte Herr Hayek nun zunächst fest, dass der wirtschaftspolitische Handlungsspielraum für die Einzelstaaten innerhalb einer Wirtschaftsunion stark eingeschränkt werden würde. Und in einer währungspolitischen Union auch der finanzpolitische. Zum Beispiel könnten, wenn jeder Staat die Güter der anderen akzeptieren müsste, fast keine demokratisch legitimierte einzelstaatliche Regulierungen mehr stattfinden, zumindest keine mehr die „negative“ Auswirkungen auf den Preis hätte. Also der von mir als nötig erachtete Punkt der „Regulierung“ ist einzelstaatlich, nach zumindest der damaligen Auffassung von Herrn Hayek schon mal nicht mehr umsetzbar. Und auch eine einzelstaatliche Priorisierung der Wirtschaftstätigkeit wäre dann mangels hinreichender Kontrolle über die nationale Wirtschaft, wegen des freien Kapitalflusses, nur noch schwer bis gar nicht umsetzbar.

Selbst einzelstaatliche Besteuerung ist in einer Wirtschaftsunion mit einer Verfassung der Freiheit nach Herrn Hayeks Aufsatz nur noch sehr eingeschränkt möglich, da die Arbeit und das Kapital nun frei beweglich sind.

Folgerichtig schrieb Herr Hayek dann, dass die Leser seines Aufsatzes nun erwarten würden, dass demokratisch legitimierte gemeinsame Institutionen innerhalb dieser (Wirtschafts-) Union nun diese Aufgabe übernehmen würden. Also zumindest in hinreichendem Umfang eine politische Union entstehen würde. Dann fügte Herr Hayek aber an, dass dieses Unterfangen auf neue Schwierigkeiten stoßen würde. Zusammengefasst schrieb er, dass, da die „nationale Ideologie und das Mitgefühl für den [unmittelbaren] Nachbaren“ in einer größeren Union nicht mehr greifen könnte und man sich daher nur noch schwer auf gemeinsame wirtschaftspolitische Maßnahmen einigen könnte. Und dass die lokalen Unterschiede zu groß wären um sich z. B. auf eine gemeinsame Sozialpolitik einigen zu können. Reiche und arme Regionen würden nun noch stärker nur ihre eigenen Interessen verfolgen und nicht nach einer gemeinsamen fairen Lösung suchen, da die Unterschiede zwischen den Menschen weit entfernter Regionen zu groß wären als, dass es einen inneren Antrieb geben würde sich gegenseitig zumindest zur Sicherung des Grundbedarfs zu unterstützen. Vor allem wenn die Union nach außen so mächtig wäre, dass keine äußere Bedrohung zur inneren Einheit führen könnte. Auf die Gefahr von Unruhen im Inneren der Union, bei fehlender Solidarität und eines hinreichenden Ausgleiches zwischen den Regionen oder Einzelstaaten ist Herr Hayek allerdings an dieser Stelle nicht eingegangen. Anscheinend ging er davon aus, dass nach dem Wegfall der nationalen Militärkräfte, diese Unruhen entweder von Unions- eigenen Sicherheitskräften klein gehalten werden könne, oder, wenn das zu teuer ist, die reichen Regionen dann doch ein Interesse an einem gewissen Ausgleich hätten, damit es auf ihren Straßen ruhig bleibt und die Güterversorgung nicht gefährdet wird. Aber das ist nur eine Vermutung, zumindest schrieb Herr Hayek am Ende seines Aufsatzes aber dass die Verhinderung von Bürgerkriegen nach seiner Meinung eine der beiden Hauptaufgaben eines Staates sei. Viel mehr Aufgaben für den Staat kamen in Herrn Hayeks Weltbild aber auch nicht vor.

Positiv daran, wenn die einzelstaatliche Handlungsfreiheit stark zurückgeht und sich supranational mangels Einigung auf gemeinsame Interessen oder Werte kaum eine gemeinsame supra- staatliche Institution mit ausreichender Handlungsfreiheit und entsprechendem -willen bilden kann, fand es Hayek, zumindest in seinem damaligen Aufsatz, dass dann auch keine staatliche Lenkung der Wirtschaft oder Planwirtschaft mehr möglich. Und auch keine verstaatlichten Wirtschaftsmonopole.

Wirklich abenteuerlich wird es dann, wenn Hayek schrieb, dass man als Preis für eine supranationale Wirtschaftsverfassung eben in Kauf nehmen solle, dass es in einigen Dingen dann eben gar keine Gesetzgebung mehr geben würde, da weder Einzelstaaten noch in der Lage dazu wären, noch supranational eine Einigung zu solch einer Gesetzgebung erzielt werden könne.

Und dass man als Preis für eine internationale demokratische Weltverfassung in Kauf neben sollte, dass die Regierungsgewalt laut Verfassung auf die Verhinderung von Krieg und Bürgerkrieg beschränkt bleiben solle. Als Nebenprodukt würde sich dann auch, laut Hayek in diesem Aufsatz, ergeben, dass dadurch auch die demokratische Mehrheit keine Möglichkeit mehr hätte „missbräuchlich“ in die persönliche Freiheit einzugreifen. Eben dadurch, dass sie in diese eben gar nicht mehr eingreifen könnte. Und damit auch nicht in die wirtschaftliche Freiheit. Also legitimierte Hayek hier das altliberale Ideal eines reines Nachtwächterstaates, diesmal gar auf Weltniveau, mit der Notwendigkeit zur Verhinderung von Kriegen und Bürgerkriegen. Und das 1939. Zu Beginn des Weltenbrandes.

Also „Meins bleibt meins“ als Motto für die staatliche, demokratisch legitimierte, Zugriffsmöglichkeit.

Einige der Anhänger des Vorranges der wirtschaftlichen Freiheit, bzw. der freien Verfügungsgewalt über die demokratisch legitimierte staatliche Handlungsfreiheit, oder anders ausgedrückt einige Anhänger derjenigen, welche die Macht des allgemeinen Wahlrechtes für jeden wieder möglichst weit beschränken wollen, neigen ja generell dazu zumindest jede legale Möglichkeit nutzen zu wollen dies zu erreichen.

Aber einen gerade beginnenden Weltenbrand als Vorwand benutzen wollen den Altliberalen Lebenstraum zu erfüllen? Das wird wohl nur zeitlicher Zufall gewesen sein. Soweit würden wohl nicht mal die Altliberalen gehen.

Oder ein Versuch nach dem Motto „Mit uns wäre das nicht passiert. Hauptsache friedlich. Sonst an unsozialem und unstabilem alles einfach hinnehmen, wie die aktuell Besitzenden es wollen oder für was es einen hinreichenden Konsens gibt.“

In diesem Sinne schönen Gruß ans Walter Eucken Institut in Freiburg und an unsere „Wirtschaftsweisen“ und Helau und Gute Nacht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

KSLP

Sozial. Sicher. Standhaft. Je nach innen und außen. Und relativ konservativ. :)

KSLP

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