K. H. Roth, Zissis Papadimitriou und die Stiftung für Sozialgeschichte

Buchthesen Betrachtung einiger zentraler Thesen und Fakten aus K. H. Roth und Zissis Papadimitriou Buch "Die Katastrophe verhindern - Manifest für ein egalitäres Europa" zur EWG, EU und zum deutschen Neomerkantilismus.

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Bei der 2022er Anarchistischen Buchmesse in Mannheim hatte ich mir das Buch „Die Katastrophe verhindern – Manifest für ein egalitäres Europa“ vonKarl Heinz RothundZissis Papadimitriougekauft. Beide waren mir bis dahin kein Begriff. Auf den ersten Blick wirkte die Flugschrift auch wie ein typischer Aufruf für ein soziales Europa. Wichtig aber wohl ohne viel Neues oder erweiternden Tiefgang. Und wenn im linken Umfeld was über den „Krieg gegen Jugoslawien“ steht weckt das erst mal Abwehrreflexe bei mir. So viel wurde da schon von linken Antimilitärs oder Totalitären ein völkerrechtlicher Angriffskrieg angeprangert anstatt auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker und Schutz vor Menschrechtsverletzungen hinzuweisen und den Vorrang zu geben. Es ist zwar wohl richtig, dass die humanitäre Intervention des Westens auch mehr oder weniger stark durch „Unabhängigkeit für regionale Sahnestücke“- Motivierte zustande kam und die Ausgleichzahlungen von den Regionen/Staaten mit den besseren Standorten bzw. den reicheren zu den ärmeren und weniger begünstigten seit dem nicht mehr stattfinden, sowas mag man in der EU eben nicht hinreichend. Aber die Zentral-Jugoslawische / Serbische Regierung wurde unter Milosevic zu Rechts und nationalistisch. Da war das Einschreiten human und wichtig. Ob die Teilung in Bezug auf Meerzugang und Co. fair war ist nochmal eine andere Frage. Aber man sollte diese Frage jetzt besser im Rahmen des Streben nach einer hinreichenden humanen Ausgleichs-, Priorisierungs- und Regulierungs- (APR-) Union in Europa zu sozialen, ökologischen, Sicherheits- und Zukunftsorientierten (SÖSZ-) Zwecken klären in einer Koalition der Betroffenen und/oder Wertegebundenen von (Süd-)West bis Ost. Friede zu nachhaltig tolerierbaren Bedingungen ist (wohl) immer tausendmal besser als die Schrecken des Krieges. Vor allem wenn man die „Kosten“ und die Erfolgsaussichten für einen Krieg für das was man für fair hält nicht wirklich einschätzen kann oder diese unverhältnismäßig sind. Wobei natürlich Unfairness auch nicht ewig bestehen sollte. Das ist eben immer eine Abwägung.

Bis zum Abschnitt über den „Krieg gegen Jugoslawien“ bin ich aber in dem Buch auch noch nicht ganz gekommen.

Die Analyse und Beschreibung der historischen Entwicklung der EWG zur EU und die deutsche Rolle dabei fand ich aber schon beeindruckend genug, um meinen wöchentlichen Beitrag, ab nächsten Jahr wohl nur noch 2 mal im Monat da ich in meinem „APR-SÖSZ-kritischen“- Zeitfenster etwas mehr Raum für Anderes haben möchte, den Autoren und den ersten Thesen des Buches zu widmen.

Das Buch ist schon 2011 erschienen und Herr Papadimitriou leider 2015 schon gestorben. Herr Roth hattehiereinen schönen Nachruf auf ihn verfasst. Papadimitriou war ein griechischer „Industriesoziologe“ der auch mal beim Institut für Soziologie in Frankfurt zu dem Thema mitgearbeitet hatte. Später war er Professor in Thessaloniki und Kritiker der Austeritätspolitik der Troika.

Und Herr Roth ist in Deutschland im sozial kritischen Umfeld schon lange aktiv. Er hatte dieStiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts(mit-)begründet und ist dort weiterhin einer der drei Vorsitzenden. Von dieser Stiftung wurde die Online- Zeitschrift „Sozial.Geschichte Online“ mehr oder weniger „initiiert“.

Aber zurück zur Geschichte der EWG bis zur EU. Die Autoren stellen da die These auf, dass Deutschland schon spätestens seit dem Ende der Marshallplan- Kredite eine neomerkantilistische Wirtschaftspolitik betreiben würden. Also vor allem auf Exporte- und Leistungsbilanzüberschüsse im freien globalen Wettbewerb setzen. Nun zumindest währendKarl Schillers(SPD) Globalsteuerung und allgemein zu Zeiten des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes und demMagischen Viereckwar das explizit nicht Ziel der deutschen Regierung. Also genau zu Zeiten der 68er Proteste, nur mal so nebenbei erwähnt, das erklärt wohl auchOrtliebs„Anti-Links Radikalisierung“ :). Das war wohl das einzige mal wo Deutschland mal einen global nachhaltigen Steuer- Kurs eingeschlagen hatte zumindest von den Zielen her. Da war die FDP dann aber (gleich) „Besitz- freiheitlich“ abgesprungen. Auch zuvor gab es, außer von Ehrhard vielleicht, keinen expliziten Neomerkantilistischen Plan würde ich sagen. Das Deutschland nach dem Krieg recht schnell einen Boom erlebte dürfte auch der Konsumgüterproduktionslücke durch den Koreakrieg zu verdanken sein, zumindest sind die Argumente dafür Recht einleuchten. Und wohl auch weil die „Amis“ ihre Kredite zurückbezahlt haben wollten und zumindest damals noch den Zusammenhang zwischen Wirtschaftskrise und staatlichem Zusammenbruch kannten. Also der so zügige Aufbau des beachtlichen Kapitalstocks an Produktionsmitteln dürfte neben dem natürlichen Standortvorteil, den auch Max Weber schon kannte, auch an günstigen Rahmenbedingungen und einer ordentlichen Portion „Glück“ gelegen haben. Und durch Bretton Woods und der anfänglichenEuropäischen Zahlungsunionim Geiste Keynes, von welcher ich aus diesem Buch zum ersten Mal erfahren habe, weshalb ich u. a. eben von dem Buch beeindruckt bin, konnte die westliche Staatengemeinschaft auch noch hinreichend Druck auf Deutschland ausüben sein temporär „magisches“ Staatsziel einer ausgeglichenen Außenwirtschaftsbilanz auch aktiv herbei zu führen. Also bis dahin würde ich Deutschlands politischen Kurs nicht als bewusst neomerkantilistisch bezeichnen. Das änderte sich aber langsam mit dem „bürgerlichen“ Koalitions-Schwenk der FDP Anfang der 80er und der Etablierung desKronberger Kreises, quasi als Laus im CDU/CSU- Pelz.

Das lag nicht zuletzt an dem schon von Aristoteles beschriebenen Reflex einiger Wohlhabender, Bessergestellten, Profiteure des Status-Quo, dem möglichen oder tatsächlichen demokratischen Zugriff auf ihr Vermögen und/oder Einkommen durch Beschränkungen des Handlungsspielraums oder „ändern“ des -willens zuvorzukommen. Die „NewDeal“- Reformen von Roosevelt hatten diese Affekte enorm verstärkt. Und beginnend mit der Gründung derFEEin den USA und Hayeks Mont Pelerin Gesellschaft in der Schweiz wurden auch nach dem 2.Weltkrieg die Konsequenzen von zu wenig Umverteilung, global oder nationale, wieder vergessen und die Lust am Spiel und der Abwehr-Affekt überwogen langsam wieder. Wohl auch schon damals verstärkt durch Agenten von außen, denen an einer Schwächung des Westens durch nicht hinreichend ausgeglichenen, priorisierten und regulierten und daher destruktiven Wettbewerb gelegen war und ist. Davor hatten schon Schmoller und Ortlieb gewarnt.

Aber zurück zum Buch. Dort habe ich auch erstmals im Detail gelesen, dass in der EWG, wie sie Anfang der 70er entstand, die beteiligten Staaten einen festen Rahmen von 2-3 % vereinbarten indem sich die Wechselkurse der beteiligten Staaten pro Jahr bewegen durften.

Zusammen mit dem, soweit ich weiß, damals schon eingeführten Zwang zur Gewährung wirtschaftlicher Freiheiten zwischen diesen Staaten, war der Rahmen schon bereitet, dass Staaten mit Bilanzdefizit nur durch interne Abwertung, also Lohn-, Sozialkürzungen und so weiter, also Austerität reagieren konnten, wenn die Staaten mit Überschuss nicht freiwillig etwas unternahmen. Das dies nicht schon früher zum Problem wurde lag wohl an der dann recht schnell gekommen deutschen Wiedervereinigung und dem damit verbundenen „Umstrukturierungsbedarf“ Deutschlands. In den 90er hatte Deutschland dann erstmal keinen Überschuss mehr. Dass das aber nicht zuletzt durch Deutschlands Lage in der Mitte Europas und damit nach der Aufnahme der ehemaligen Ostblockstaaten in die „Zwangsunion wirtschaftlicher Freiheit“ auch noch zwischen Arm und Reich liegend mit sehr hoher wahrscheinlich nur vorübergehend der Fall sein dürfte sollte eigentlich allen klar gewesen sein.

Deswegen wollte Frankreich, wie es in diesem Buch schön dargelegt wurde, als Gegenleistung für sein Einverständnis zur Wiedervereinigung auch eine stärkere Integration Gesamtdeutschlands in die EU. Dafür sollte die gemeinsame Währung und die gemeinsame Notenbank sorgen. Durch den deutschen Widerstand und Verhandlungsgeschick bei der Ausarbeitung wäre dann aber dabei etwas rausgekommen, was dafür sorgte, dass man deutschen Wirtschaftsüberschüssen durch seine natürlichen Vorteile nichts mehr bzw. nicht genug entgegensetzen konnte.

Diese These aus dem Buch wird durch die von mir seit Beginn meiner wöchentlichen Schreibbeiträge immer wieder angesprochene Tatsache, dass im Umfeld der deutschen Verhandlungsdelegation damals führende Vertreter der „Streng individualistischen Sozialvertragstheorie“ von James M. Buchanan, dem Vertragsexperten der FEEn um Hayek und den Cato- Koch- Brüdern, im nachhinein sehr auffällig vertreten waren noch stark bis kaum widerlegbar bestätigt. Es mag ja sein, dass die deutsche politische Elite soziale Absichten hatten, die Detail- Entscheider und Berater hatten da aber ganz anderes auf der Agenda. Und ein Vetorecht bei zwischenstaatlicher Umverteilung wurde zumindest 2020 noch vom Europa-Union- und CDU-Ex-Europaparlaments- Vorsitzenden bei der online Hauptversammlung gefeiert.

Und als Deutschland dann mit der Agenda 2010 die Weichen durch Niedriglohnsektor, soziale Einsparungen und Lohnzurückhaltung auf die eigene „Wettbewerbsfähigkeit“ anstatt auf eigenen nachhaltigen Wohlstand, Europas, des Westens, oder gleich aller Nationen stellte, war es nur noch ein kleiner Schritt bis hin zur eventuell nicht hinreichend reflektierten oder aus welcher Intention auch immer durchgeführten neomerkantilistischen Politik der CDU Merkel- Regierung.

Da wurden Forderungen der Obama Administration nach ausgeglichenen Außenwirtschaftsbilanzen mit Verweisen auf die Unvereinbarkeit mit internationalem Freimarkt beiseite gewischt. Und als dann der zu rechte Trump kam und dies durch Zölle und Co. durchsetzen wollte bzw. so tat oder tun sollte als ab, wurde dass dann als Vorwand genommen um generell Kritik und Schutzmaßnahmen gegen Neomerkantilistische Staaten, welche ihren Staatenbündnissen nur Schaden können, generell als rechts und populistisch zu diffamieren. Und seit „NurKlimaRettung“, Corona und dem Ukraine-Russland Krieg hält „man“ es in Deutschland eh nicht mehr für von den Prioritäten vertretbar über Ungleichheiten in Leistungsbilanzen, über die destruktive Wirkung von neomerkantilistische Staaten oder überhaupt über Fairness bei Anteilen zu reden. Oder man behauptet im Laufe der gemeinsamen Bekämpfungen der Corona- Pandemie- Folgen bereits gezeigt zu haben, dass nun jeder dauerhaft freiwillig seinen ausgleichenden Beitrag für die Gemeinschaft leistet. Obwohl keiner aus der Regierung soweit ich es mitbekommen habe in letzter Zeit unseren immer noch vorhandenen neomerkantilistischen antinachhaltigen Leistungsbilanzüberschuss angeprangert hatte. Warum auch immer nicht.

Solange wir unsere Wirtschaftsstandorte nicht hinreichend zumindest auch in den Dienst derjenigen Partnerstaaten stellen von denen wir selbst auch abhängen sägen wir uns den Ast ab auf dem wir selbst sitzen und reißen alle Verbündeten mit. Vom universell moralischem Selbstanspruch mit dem wir eigentlich nach innen und außen handeln sollten ganz zu schweigen.

Es fehlt immer noch viel zu sehr an der nötigen Einsicht zur zumindest hinreichenden strategischen Fairness und Solidarität und sogar schon am Streben danach.

Es ist zwar richtig dass man sich vor der Tyrannei der Mehrheit egal ob von Staaten oder Menschen schützen muss. Aber was ist mit der Tyrannei von Minderheiten? Egal ob Reich, Moralistisch oder was auch immer.

Es bleibt dabei, wenn man eine Herrschaft nicht mehr tolerierbar findet muss man diese mit einem fairen Anteil an allem zu Gunsten einer neuen tolerierbaren Herrschaft verlassen können.

Und wenn man seinen Anteil oder den eines anderen nicht nachhaltig tolerierbar findet muss man eben kämpfen. Zur Not durch Angriff. Zu viel zu verteidigen ist unfair und unsolidarisch.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

KSLP

Sozial. Sicher. Standhaft. Je nach innen und außen. Und relativ konservativ. :)

KSLP

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