EU-Binnenmarkt ohne Ausgleichsunion und Co. ?

Unsozial und Instabil EU-Binnenmarkt ohne Ausgleich, Priorisierung und gemeinsamer sozialer, ökologischer und sicherheitsbezogener Regulierung?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Dass ein gemeinsamer Markt, wie der EU- Binnenmarkt, wohl nicht nur nach meiner Meinung, einen hinreichenden Ausgleich, wirtschaftlicher und finanzieller Art, eine hinreichende Priorisierung der Wirtschaftstätigkeit hin zur allgemeinen Grundbedarfsdeckung und hinreichende staatliche oder Staaten- gemeinschaftliche Regulierung braucht, da die wirtschaftliche Konzentrationskraft des Marktes hin zu Standorten mit besseren Produktionsbedingungen einfach zu groß ist, habe ich ja schon mehrfach geschrieben und auch begründet.

Zumindest Herr Martin Höpner vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung hatte in einem Artikel bei Makroskop https://makroskop.eu/2019/12/eine-strategie-fuer-das-soziale-europa/ (nur für Abonnenten) auch zumindest mal ein konkretes Projekt zur Realisierung eines gemeinsamen EU- Rechtsrahmens für soziale Grundsicherungssysteme gefordert. Zunächst soll damit nur existenzbedrohende Armut verhindert werden. Er schlägt 40% des Median im jeweiligen EU- Staat vor.
Das würde erst mal das schlimmste verhindern und wäre politisch leichter durchsetzbar und würde keine Änderung der EU- Verträge (zwingend) nötig machen. Man könnte für solch ein Projekt teilweise auch schon auf bestehende Forschungsarbeit zurückgreifen (Kingreen: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/Forschungsberichte/fb491-eu-rechtsrahmen-soziale-grundsicherungssysteme.pdf?__blob=publicationFile&v=2 , Benz: https://www.dgb.de/themen/++co++bf617a3e-611b-11e9-8ad5-52540088cada) und müsste nicht bei Null anfangen. Laut den Ergebnissen von Herrn Prof. Vandenbroucke (Seite 303: https://www.palgrave.com/de/book/9780230348134#aboutAuthors), sollten die zwischenstaatlichen finanziellen Transfers auch beherrschbar bleiben. Und eine gewisse Bereitschaft in der Bevölkerung wäre laut dieser Studie (http://www.euvisions.eu/crafting-the-european-social-union-ferrera/) auch vorhanden.

2 Jahre zuvor hatte sich Herr Fritz W. Scharpf, ebenfalls vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung hier https://pure.mpg.de/rest/items/item_2467937/component/file_2479324/content auch schon mit dem EU- Binnenmarkt und vor allem dem gemeinsamen Währungsraum auseinandergesetzt.
Er schrieb um eine dauerhafte reine "Transferunion" zu verhindern sollte man die Währungsunion zweistufig gestalten, eine Stufe mit gemeinsamer Währung und eine mit getrennten Währungen aber festen Wechselkursanpassungen, die bei Bedarf auch angepasst werden könnten. Bretton Woods lässt Grüßen. Das würde zusammen mit dem Druck Überschüsse wieder im Herkunftsstaaten- Block ausgeben oder reinvestieren zu müssen, die Möglichkeit bieten durch kluge Politik einen primären Ausgleich der Wirtschaftskraft erzielen zu können. Damit wären dann wohl finanzieller Transfers nicht mehr in allzu großem Umfang nötig.
Also nach der von mir beschriebenen Logik ist er für einen Ausgleich, wirtschaftlicher Art.
Wenn der sich in der von Herrn Scharpf beschrieben Konstellation einstellen würde, was durchaus nicht ganz unwahrscheinlich scheint, wäre solch ein primärer Ausgleich tatsächlich vorzuziehen. Denn wenn die ganze Wirtschaftskraft sich erst mal in einigen wenigen Staaten konzentriert hat, ist deren "Verhandlungsposition" für Interessen- geleitete "Kompromisse" im alltäglichen politischen Geschäft bis hin zu Entscheidungen mit der Tragweite von Verfassungsänderungen, so komfortabel, dass sie den Staaten, bei denen die Wirtschaftskraft abgenommen hat, mehr oder weniger die Bedingungen diktieren können. Zumindest wenn diese letztgenannten Staaten auch noch in eine zumindest kurzfristige Abhängigkeit gerutscht sind, und sich noch nicht in genügend mächtige Interessensgemeinschaften mit anderen Staaten in der gleichen Situation, zusammengefunden haben.

Was mir bei dem Aufsatz von Herrn Scharpf etwas weniger gut gefällt, ist seine Aussage, dass die Transferunion sowieso, quasi von selbst, kommen würde. Diese Behauptung wurde noch bis vor einigen Jahren recht inflationär gebraucht, vor allem von denen die sie nicht wollten. Ein Schelm wer, bei denen, böses dabei denkt. :) Und nun heißt es, vor allem in einigen Parteien, nur noch, eine Transferunion, auch nicht vorübergehend bis zum machbaren primären Ausgleich, möchten die Wähler in Deutschland eh nicht, dann würden alle nur die AfD wählen. Das hätte man sich dann auch vorher schon überlegen können und nicht ständig schreiben, dass die Transferunion eh kommen würde.

Und er schrieb recht häufig, dass Deutschland mehr oder weniger sowieso nicht genügend gegen den Überschuss tun könnte. Löhne anheben würde nichts bringen, da die Arbeit sonst nach Osten gehen würde. Und einige anderen Möglichkeiten wären mit unseren Gesetzen nicht vereinbar.
Ebenso könnte es sich Deutschland aufgrund seiner Vergangenheit nicht leisten aus dem Euro oder gar aus dem EU- Binnenmarkt raus zu gehen.
Das sehe ich anders, vielmehr kann es sich Deutschland vor allem ethisch aber wohl auch aus purem längerfristigem Eigeninteresse nicht leisten untätig in einem, wohl nicht nur meiner Meinung nach, auch noch instabilen System zu bleiben, in dem einige wenige, inklusive Deutschland selbst, zumindest kurz- bis mittelfristig zu den Profiteuren gehören durchaus unfair auf Kosten anderer.
Und auch wenn eine rein finanzielle Ausgleichs- oder von mir aus Transferunion, solange sie zur Deckung des gemeinsamen Gesamtgrundimportbedarfs durch gemeinsame optimale Exportanstrengung nicht zwingend nötig ist, mit Sicherheit keine anstrebsame Dauerlösung sein kann, ist es dennoch offensichtlich, dass sie als sofortige Unterstützungsmaßnahme, für die von der reinen unkorrigierten Markt- gesteuerten Verteilung zu sehr benachteiligten Staaten zumindest Werte- gebunden, aber wohl auch schon einfach dafür, damit es auf den Straßen ruhig bleibt, unabdingbar ist.

Aber zurück zur Gegenwart.

Gibt es von Seiten der deutschen Regierung, zu Beginn ihrer EU- Ratspräsidentschaft ein klares Bekenntnis dazu das ein gemeinsamer Markt, wie der EU- Binnenmarkt, einen Ausgleich, Priorisierung und hinreichende Regulierung braucht?

Nein.

Allenfalls noch die Erkenntnis, dass auch Deutschland einen funktionierenden EU- Binnenmarkt braucht, ohne zu beschreiben wie der auszusehen hat, oder der Nennung, wen man mit der Gewinnung dieser Erkenntnis beauftragt hat und dass man durch die aktuelle, Corona- Pandemie bedingte, Krise gemeinsam durch muss ist da zu lesen (https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/rede-von-bundeskanzlerin-merkel-zur-deutschen-eu-ratspraesidentschaft-2020-vor-dem-europaeischen-parlament-am-8-juli-2020-in-bruessel-1767368) und zu hören. Von der Forderung einer Tabu- losen Diskussion über den Status Quo in der EU, wie Macron sie mal gefordert hatte, und über die Frage wie es weitergehen kann und soll, hoffentlich Werte- gebunden, findet sich da nichts. Immerhin wird die "Aristotelische" Originalposition, also dass man die Welt auch mal mit den Augen des anderen sehen soll, bemüht. Wenn man das, wenigstens einmal machen würde und dabei auch noch zu Ende denkt und die Scheuklappen ablegt, könnten wir vielleicht tatsächlich mal noch zu einer zumindest genügend sozial, sicher und standhaft - im Sinne von international bestehen können -; je nach innen und außen; EU- internen aber auch weltweiten Ordnung kommen.

Aber bisher schafft es ja weder die SPD noch die Grünen, von den Unionsparteien und der FDP ist man sowas mittlerweile ja gewohnt, von denen erwarte ich da gar nicht mehr erst eine zumindest Werte- gebunden hinreichende Vorreiterrolle mehr, bei der Forderung von staatlicher Mindestabsicherung für jeden Bürger innerhalb "ihres" EU- Einzelstaates auch gleichzeitig die Forderung nach einem gemeinsamen Ausgleich der hierfür nötigen Finanzierung zu stellen, zumindest solange diese einigermaßen "tragbar" bleibt.
Sowohl die Vize- Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, hatte sich in einem Webinar diesbezüglich auf eine Formulierung ohne die Forderung solch einer gemeinsamen finanziellen Absicherung festgelegt als auch die Parteivorsitzenden der SPD bei einem Schreiben an ihre Mitglieder zu Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft.

Das halte ich für zu wenig. Zumindest als Projektversuch muss man das doch schnellstmöglich mal zu Ende planen und auch nach Möglichkeit schon mal, mit der gebotenen Vorsicht, starten.

Deshalb habe ich in meinem aktuellen SPD Bezirk, in der Partei bin ich seit 1,5 Jahren, einen entsprechenden Antrag mit solch einer Forderung für den Bezirksparteitag vorbereitet und an den dortigen Europaausschuss, in dem bin ich auch, weitergeleitet. Mal sehen was draus wird.

Immerhin die Partei "Die Linke" fordert dies soweit ich weiß auch. Die sind mir bei den Punkten "Sicherheit" und "international bestehen können" aber gegenwärtig zumindest zum direkt wählen, sagen wir mal etwas zu "mutig" und "optimistisch".

Es ist ja schön und zwingend notwendig, dass wir durch die aktuelle Krise solidarisch durch gehen wollen und hoffentlich auch werden. Aber darüber hinaus gilt weiterhin, wie beschrieben und begründet:

Meine Damen und Herren das reicht, nicht nur Werte- gebunden, noch nicht!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

KSLP

Sozial. Sicher. Standhaft. Je nach innen und außen. Und relativ konservativ. :)

KSLP

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden