"Mehr Mut" von Sigmar Gabriel

Ein Kommentar zum Buch Eine Erwiderung.

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Zunächst mal ist es gut, dass Herr Gabriel mit seinem neusten Buch eine Grundsatzdiskussion in der SPD anstößt, für welche Werte die Mehrheit in der Partei den nun gegenwärtig und zukünftig eintreten will.

Das verschafft sowohl den Parteimitgliedern Klarheit als auch dem Wähler, denn dann kann man sich rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl überlegen, ob man seine politischen Überzeugungen zur Not nicht besser in einer anderen bestehenden Partei durchbringen kann oder gleich eine neue gründen sollte.

Eine SPD der es nur darum geht gewählt zu werden braucht kein Mensch. Besser man vertritt seine politischen Überzeugungen auch auf die Gefahr hin, wenig Wählerstimmen zu bekommen, als dass man sich komplett an den vermeintlichen Wählerwillen anpasst.

Ebenso erfreulich ist es aus meiner Sicht, was Herr Gabriel auf den Seiten 227 ff. unter der Abschnittsüberschrift „Die Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft“ (ja ich weiß, die Überschrift lässt nichts Gutes ahnen, aber auch um die Bedeutung des Wortes „Neu“ sollte man kämpfen, genauso wie bei „konservativ“ :)) schreibt, nämlich dass der Markt demokratisch legitimierte Regeln braucht um aus sozialer, sicherheitsbewusster und nachhaltiger Sicht nicht zu „versagen“. Wobei man an dieser Stelle aber auch gleich klar stellen sollte, dass der Markt ein Instrument ist und daher nicht versagen kann. Er kann nur das falsche Regelwerk als Rahmen bekommen haben. Oder es lag an den Marktteilnehmern.
Denn wenn ich gerne ein paar Schuhe aus Kunstleder hätte, diesen Wunsch meinem Verkäufer gegenüber aber nicht äußere, und stattdessen sage er soll mir ein möglich preiswertes Paar bringen, muss ich mich auch hinterher nicht wundern, wenn ich dann doch mit „totem Tier“ rumlaufe.
Und genauso ist es mit der „bezahlbaren „Mindestwohnfläche pro Person in Ballungsgebieten. Wenn ich das als (Kommunal-) politiker nicht festsetze oder von der nächsthöheren Ebene einfordere hat hinterher, falls die Mieten zu hoch sind, nicht der Markt versagt, sondern ich als (Kommunal-) politiker. Denn der Markt ist nur ein Instrument und Bedarf der richtigen „Konfiguration“ durch die politische Administrative.
Alles andere sind nur ausreden.

Auch erleichtert es mich dort zu lesen, dass Herr Gabriel schreibt „sondern eine immer stärkere Europäisierung und Globalisierung von staatlich gesetzten Marktregeln.“ geboten ist, als Antwort auf die Hyperglobalisierung (Dani Rodrik). Auch bleibt es dadurch zu hoffen, dass Herr Gabriel unter diesen Marktregeln ebenso wie z. B. der Alt- Ordoliberale Walter Eucken auch eine gemeinsame Mindestbedarfssicherung mit versteht. Denn schon Herr Eucken wusste, dass eine freie Marktwirtschaft dafür kein Garant ist.
Allerdings bleibt, wie geschrieben, hier eben nur die Hoffnung, explizit niedergeschrieben hat Herr Gabriel dies nicht, zumindest ist es mir beim ersten schnellen Lesen nicht aufgefallen.

Womit wir dann auch schon bei meinem wichtigsten Kritikpunkt an seinen in diesem Buch von Herrn Gabriel dargelegten Ansichten und Einsichten wären.
Sigmar Gabriel schreibt auf Seite 11
„Und doch kann man wohl trotz aller Ungleichheit und weiterhin existierender Ungerechtigkeiten und Unzulänglichkeiten sagen, dass über die Jahrzehnte hinweg bis heute das beste Deutschland entstand, das es jemals gab.“

Als Sozialdemokrat sollte man schon den Selbstanspruch und den Anspruch an sein Land haben nach innen und außen mit einem angemessenen Maß an Anstand und Vernunft zu handeln.
Gerade in Bezug auf den EU- Binnenmarkt und vor allem dem gemeinsamen Währungsraums kann ich das aber, mit dem Wissen, dass ich mittlerweile habe, nicht mehr guten Gewissens sagen.
Wenn man weiß, das sich Wirtschaftskraft gerne an einem oder wenigen Orten konzentriert, wenn man unsere geographische Position in der Mitte der EU berücksichtigt, genau zwischen den Staaten mit einer Bevölkerung mit aktuell niedrigem Durchschnittseinkommen und den „alten“ hochentwickelten Demokratien Westeuropas, wenn man die Größe des Sprachraums bedenkt und die dadurch bedingte Lohnenswertigkeit des Erlernens unsere Sprache begreift, die klimatischen Bedingungen, den bereits vorhandenen Vorsprung bei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit usw. haben wir uns in Sachen gemeinsamer Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik nicht gerade kooperativ verhalten. Wer zu uns kommt muss in unsere Sozialsysteme einzahlen und bei uns Steuern zahlen anstatt zu Hause, unsere Löhne sind hinter der Produktivität zumindest mit am stärksten zurückgeblieben, was natürlich auch unserer eigenen Bevölkerung schadet. Sozial haben wir einiges eingespart im Vergleich zum letzten Jahrhundert, was den Export ebenfalls günstiger macht, und zwar auch noch nachdem man klar durch den Leistungsbilanzüberschuss sehen konnte, dass wir unseren Importbedarf durch Exporte weit mehr als ausgleichen konnten und immer noch können. Vor allem bei gemeinsamer Währung ist ein Überschuss bei der Leistungsbilanz eben immer ein eindeutiges Zeichen für ein unsoziales und unkooperatives Verhalten gegenüber seinen Nachbarn und sonstigen Handelspartnern. Das zeigt man hat zuviel Arbeit. Durch den EU- Binnenmarkt haben sich die EU Staaten ja verpflichtet sich gegenseitig die 4 Wirtschafts- und individuellen Freiheiten Personenverkehr, Kapitalverkehr, Warenverkehr und Dienstleistungsverkehr zu gewähren. Mit dem Ziel auf diese Weise dem Ziel einer immer stärker werdenden politischen Union Schritt für Schritt näher zu rücken, damit sich das gegenseitige Abschlachten zu Zeiten der beiden Weltkriege nicht mehr wiederholen soll. Zumindest wurde dies noch bis vor einigen Jahren in den gängigen Medien immer so genannt.
Nur haben diese Staaten damit fast ihre einzige Schutzmaßnahme gegen zu gierige ihren fairen Beitrag zum Gemeinwohl nicht leisten wollende Staaten, solchen die den Status Quo nun doch nur aufrecht erhalten wollen, da er ihnen aktuell opportun erscheint, vertraglich ausgeschlossen. Es bleibt nur die Drohung und zur Not die Durchführung des Austritts aus der EU, wenn einzelne Staaten nicht bereit sind die Konzentrationsneigung der Wirtschaftskraft durch Kooperationsmaßnahmen und/oder gemeinsame Mindestbedarfssicherung und Ausgleichszahlungen zu kompensieren. Wahrscheinlich war allen schon klar, dass sich diese Konzentration erst mal vor allem in Deutschland abspielen würde. Nur konnte sich wohl keiner vorstellen, dass ausgerechnet Deutschland als (mit) Rohstoff- ärmstes Land und dadurch besonders auf genügend offene internationale Märkte angewiesenes Land nach allem was im letzten Jahrhundert passiert ist sich so unkooperativ und Realitäts- verleugnend verhalten würde, dass es die anderen EU- Staaten geradezu zu gemeinsamen Schutzmaßnahmen gegen Deutschland und einige andere unkooperative Staaten zwingt, falls die erstgenannten nicht in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten geraden wollen bzw. die dortigen Staatenlenker nicht in historischen Ausmaße ihr Gesicht verlieren wollen. Durch die Flüchtlingsaufnahme, „Erhalt der Zahlungsfähigkeit der Griechen bezüglich ihrer Staatsschulden“ und die „Eurorettung“, hat Deutschland durchaus einen erwähnenswerten Beitrag zum internationalen und EU-Gemeinwohl geleistet, dass liegt nun aber auch schon wieder einige Jahre zurück und Stand in keinem Verhältnis zu den einseitigen temporären Vorteilen durch die gemeinsame Währung, dem EU- Binnenmarkt und dem genügend offenem Weltmarkt. Dieses „Ausruh“- Polster ist nun aber definitiv aufgebraucht. Entweder stellt sich Deutschland jetzt einer Tabu-losen Diskussion über seine Kooperations- und/oder Ausgleichszahlungsbereitschaft und handelt dann auch entsprechend. Oder es zwingt die anderen EU- Staaten aus den genannten Gründen sich zu Bündnissen zusammenzuschließen und zuhandeln.

Es wäre wirklich sehr „unschön“, wenn Europa schon wieder am deutschen reinem nationalen Eigeninteresse scheitern würde. Damals aus nationalsozialistischer Motivation, heute dann aus national wirschaftslibertärer Gier.

Damit lässt sich auch zum Ende dieses Beitrags auch noch mal gut ein Bogen zurück zum Titel des neuen Buches von Herrn Gabriel spannen. „Mut“ ist genau genommen nur ein Teilbegriff von „Selbstbeherrschung“. Er bezeichnet die Fähigkeit, dass zu tun was man für richtig und machbar hält, auch wenn eventuell Unbekanntes und Gefahr droht und man gegen seinen inneren Schweinehund ankämpfen muss. Selbstbeherrschung bezeichnet dagegen auch die Fähigkeit Situationen und Gegebenheiten nach bestem Wissen und Gewissen so zu sehen wie sie wirklich sind, und nicht durch die rosarote Brille des (vermeintlichen) aktuellen eigenen Vorteils.

Also verbleibe ich nun abschließend mit der Aufforderung an uns alle nach Werte- gebundener und machbarer „Mehr Selbstbeherrschung“.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

KSLP

Sozial. Sicher. Standhaft. Je nach innen und außen. Und relativ konservativ. :)

KSLP

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