Piketty's Neoproprietarismus und die SPD

SPD- Bundesparteitag 2021 Piketty's Neoproprietarismus und der SPD- Bundesparteitag 2021

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Thomas Piketty (https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Piketty) beschreibt in seinem aktuellen Buch „Kapital und Ideologie“ ja die historische Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung weltweit und vor allem auch das Verhältnis zwischen Staat, Wahl-, und Verfassungsrecht und Einkommen und Vermögen bis in die Gegenwart hinein.

Vor allem beschreibt er auch die Entwicklung des Wahlrechts. Also wer wählen darf und wie viel Gewicht die Stimmen der einzelnen Wählergruppen haben. Bei einem Zensuswahlrecht, also einer Verfassung, die nur Wenigen ein Wahlrecht, in Abhängigkeit vom Vermögen, gibt und die „Gewichtung“ der Stimmen vom Vermögen abhängig macht, spricht Prof. Piketty von einer proprietaristischen Gesellschaft (https://de.wikipedia.org/wiki/Proprietarismus). Also einer in der nur die Wohlhabenden entscheiden was politisch geschehen soll. Interessant ist bei der historischen Betrachtung solcher Gesellschaften, dass hier scheinbar selten bis nie der Wunsch aufkam die Handlungsfreiheit des Staates bezüglich der Verfügungsgewalt über das Privateigentum einzuschränken. Scheinbar war hier die, meiner Meinung nach berechtigte, Sorge davor, dass diese Verfügungsgewalt einmal zum Beispiel aus sicherheits- und zukunftsorientierten Gründen einmal, benötigt werden könnte, größer als die Sorge davor, dass aus sozialen Werte- gebundenen Gründen eine Umverteilung des Vermögens oder gar nur der Einkünfte daraus in größerem Umfang von „oben nach unten“ über den Staat stattfinden hätte können. Das hatte es auch nicht.

Nun gibt es ja gegenwärtig kaum noch Gesellschaften mit Zensuswahlrecht. Seit dem Ende des 1. Weltkrieges gibt es in Europa überwiegend und seit dem Ende des europäischen (politischen) Kolonialismus auch in Afrika und Asien mal mehr mal weniger viele Staaten mit allgemeinem Wahlrecht für alle Erwachsenen.

Und in den USA gibt es das zumindest auf dem Papier schon sehr viel länger. Und damit auch die mal mehr oder weniger berechtigte Sorge, dass eine, von der Mehrheit der, von den Staatsbürgern gewählten, Abgeordneten gewählte Regierung, den staatlichen Handlungsspielraum zum Zugriff auf das private Vermögen oder den Einkünften aus diesen verwenden könnte.

Natürlich gab es auch teilweise einfach nur „ethnische Bedenken“, mild formuliert oder hart formuliert „rassistische Gründe“, wie von der Byrd Machine (https://en.wikipedia.org/wiki/Byrd_Machine) in Virginia (USA), zur Eingrenzung des Wahlrechts für Nicht-Weiße bzw. „Farbige“. Da ging es dann nicht einfach um die Abwehr von Wahlrechten für Nicht-Reiche, sondern von Ex-Sklaven, die dann teilweise die Wählermehrheit gestellt hätten. Also hier gab es zum ersten mal dann ein Bündnis zwischen wirtschaftslibertärer Wohlhabender, um ihr extrem großes Eigentum umfänglich „zu schützen“ und einer ethnischen auch weniger wohlhabenden Gruppe, welche ihre Interessen weiterhin mehrheitlich auch unfair vertreten können wollte, auch auf Kosten der Wahl- Fairness gegenüber der lokalen Nicht- Weißen Mehrheit.

Also hier entstanden erstmals Gruppen, welche die Verfassungsrechte so einschränken wollten, dass die Zugriffsmöglichkeiten der jeweiligen Regierungen auf das private Vermögen und den Einkünften daraus stark begrenzt wären. Diese Gruppen nennt Piketty dann, so habe ich ihn zumindest verstanden, neo- proprietaristisch. Also diese Gruppen versuchten, mit Erfolg (Wikipedia- Zitat „this not only effectively stripped blacks and poor whites of the vote, but made the electorate the smallest relative to population in the postbellum United States“), Verfassungen nach ihren „Nachtwächterstaats“- Vorstellungen umzubauen. Und direkt gab es auch ein Bündnis dieser Gruppen mit ethnisch bis rassistisch motivierten „bessergestellten“ Gruppen, um solche Verfassungsänderungen zu erreichen. Also das Prinzip, so viele Verbündete wie nötig mit profitieren zu lassen.

Also solche Gruppen hatte schon viel Übung als nach dem 1.Weltkrieg zumindest im Westen immer mehr Staaten das allgemeine Wahlrecht einführten. Und durch den New- Deal auch genügend Motivation, auch auf eine Beschränkung des Umverteilungsspielraums auch schon der Einkünfte aus Vermögen hin zu arbeiten. Diejenigen mir größeren Arbeitseinkommen hatten sich da natürlich als Verbündete angeboten. Trotzdem hat es bis zum Ende der 1970er Jahre gedauert, bis die Sorge vor zuviel Umverteilung langsam großer wurde, bei einer Mehrheit der Wähler, als die Sorge vor zuwenig. Das lag wohl auch daran, dass diejenigen denen Chancengleichheit wichtiger war, als ein faires Maß an Gleichheit für alle, langsam auf diese Seite wechselten. Dabei spielte dann auch die Meritokratie eine gewisse, Rechtfertigungsgründe liefernde, unterstützende Rolle (https://de.wikipedia.org/wiki/Meritokratie).

Und es gehört wohl wenig Phantasie dazu, Gruppen wie das Atlas Network (https://de.wikipedia.org/wiki/Atlas_Network) und die Arbeiten von James M. Buchanan als die aktuellen Hauptakteure in der Tradition der ersten Neo- Proprietarianer zu sehen. Auch wenn Herr Prof. Piketty diese nicht explizit nennt. Der war da vielleicht aus guten Gründen eher etwas vorsichtig.

Aber vielleicht ist auch gut, wenn diese Lücke von jemand aus Deutschland und/oder dem Norden Europas geschlossen wird.

Immerhin bieten sich einzelne EU-Staaten, bedingt durch das Zwangssystem wirtschaftlicher Freiheit, welches unseren, EU- Binnenmarkt formt, ja nun vorzüglich als neue Verbündete für die Neo- Proprietarianer an. Und inwieweit die nun tatsächlich bei der Herbeiführung dieses „Zwangssystems“ nun tatsächlich schon mit entsprechender Intention beteiligt waren, wird zumindest die Historiker wohl noch eine zeitlang beschäftigen. Wenn auch vielleicht in größerer Zahl erst in ein paar Jahren bis Jahrzehnten. :)

Also Koalition zwischen nationalen Arbeiterschaften, in Staaten die aufgrund von Standortvorteilen aktuell und eventuell auch von Natur aus zukünftig vom Freimarkt übermäßig profitieren und eher möglich wenig abgeben wollen, und dem libertärem Besitzbürgertum bieten sich da tatsächlich an und würden einen guten Nährboden für Neo- Proprietarianer Verfassungsänderungen bieten. Wobei die nationalen Arbeiterschaften dann wohl früher oder später über Ohrs gehauen würden. Die sollen eben nur temporär nutzen.

Damit wären wir dann auch beim letzten SPD- Parteitag zur Verabschiedung des „Zukunftsprogramms“ und der Nominierung von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten.

Also zunächst fiel da natürlich mal auf, zumindest der RKSLP, dass nun nicht mehr die „Neoliberalen“ das Hauptproblem sein sollen, sondern die Konservativen. Und zwar nicht nur die zu konservativen sondern einfach nur „die“, oder höchstens noch „diese“, Konservativen.

Die sollten vielleicht mal das lesen:https://rkslp.org/2019/07/14/anmerkung-zum-verhaltnis-konservative-und-progressive/

Also die Wirtschaftsliberalen werden nicht mehr offen als Problem genannte. Warum muss ich jetzt plötzlich an Peine (https://de.wikipedia.org/wiki/Peine#/media/Datei:Wappen_Peine.png) denken? (Haben die übrigens eine Partnerschaft mir Rheinland- Pfalz. :)) Oder (hatten eine mit) Teilen des Südwestens Hessens. :)

Also da sollte sich die Arbeiterschaft, die Olaf Scholz in seiner Rede in einem Bündnis mit der „liberalen Mitte“, (fehlte da nicht das sozial) sah, fragen was genau den Olaf Scholz nun unter „liberaler Mitte“ versteht.

Die gesellschaftlich Liberalen oder die Wirtschaftsliberalen.

Einem, Prof. Lars Feld, den man wohl eher zum Neoproprietarismus zählen kann, zumindest nach meiner Ansicht, nichts für ungut :), hat Olaf Scholz, zusammen mit der SPD ja glücklicherweise eine dritte Amtszeit im Rat der Wirtschaftsweisen verwehrt.

Aber die Wirtschaftslibertären und die Neo- Proprietarianer „operieren“ wohl aber eher auf zwei Wegen. Einmal etwas direkter über Institute wie dem Walter Eucken Institut und zum anderen über diejenigen, die zwar für eine nationale Umverteilung sind, nicht aber für internationale. Wohl wissend, wenn wohl auch nicht alle Akteure dieses Weges, dass bei nur nationaler Umverteilung die internationale Spaltung und der Race- To The Bottom- Wettbewerb der (Gruppen von) Lohnabhängigen bestehen bleibt, und somit die Neo- Proprietarianer eher leichtes Spiel haben.

Im Hinblick darauf sollte man sich die Vorschläge der SPD für die Besetzung der freien Stelle beim Rat der Wirtschaftsweisen genau ansehen.

Und auch die Kanzlerkandidaten- Rede von Olaf Scholz beim letzten SPD- Parteitag. Wenn er davon spricht, dass die Voraussetzungen erhalten bleiben sollen, die dazu Beitragen das Deutschland ein reiches Land bleiben kann. Ohne zu hinterfragen, ob diese Voraussetzungen nicht teilweise zu unfair und unsozial waren, um in dieser Form erhalten bleiben zu sollen. Reiche kann es „relativ“ eben nur geben wenn es auch arme gibt.

Und wenn jetzt die SPD dafür stehen soll, dass die internationale Ungleichheit, auch noch unfair, aufrecht erhalten bleiben soll, ist die Partei eigentlich bezogen auf Europa und dem Rest der Welt genau zu dem geworden, wegen und gegen dessen die Sozialdemokratie eigentlich mal überhaupt entstanden ist, kann ich dem als aktuelles SPD- Mitglied nur vehement entgegentreten.

Wenn man die Agenda 2030 ins Zukunftsprogramm aufnimmt, was sehr zu begrüßen war, sollte man seine nächsten politischen Schritte aber auch danach ausrichten und nicht zu vage bis mehrdeutig, mit viel rein schön rednerischem Interpretationspotential bei den Details und den Reden werden.

Also ich hoffe mal, dass Olaf Scholz (und die Mehrheit der aktuellen SPD- Bundestagskandidaten) für ein Bündnis von der sozialen und Gesellschafts- liberalen „Mitte“ und der (sozialen und liberalen) Arbeiterschaft werben wollte und dass er „Wutbürger“ sagte oder zumindest sagen wollte und nicht „Gutbürger“, als er meinte dass diese eh nur alles kaputt machen würden.

Na ja er hat ja noch ein paar Monate Zeit die diesbezüglich „eher skeptischen“ zu überzeugen.

Sind wir mal optimistisch.

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Geschrieben von

KSLP

Sozial. Sicher. Standhaft. Je nach innen und außen. Und relativ konservativ. :)

KSLP

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