Tagung von 1972: 100 Jahre Eisener Gründungskongress: "Macht und ökonomisches Gesetz"

Verein für Socialpolitik Letzte Woche hatte ich mal die 1400 Seiten Mitschrift zur „Jubiläumstagung aus Anlass des Eisenscher Kongresses von 1872“ von 1972 des VfS zu Ende gelesen. Hier eine Einschätzung wie weit das "Freiheit für Mehr"- Lager damals bereits war.

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Letzte Woche hatte ich mal die 1400 Seiten Mitschrift zur „Jubiläumstagung aus Anlass des Eisenscher Kongresses von 1872“ von 1972 desVereins für Socialpolitik (VfS)zu Ende gelesen.

Die Mitschrift wurde vonHans Karl Schneider, dem damaligen Vorsitzenden des VfS und Vorsitzendem der Wirtschaftsweisen von 1985-1992, undChristian Watrin, Nachfolger vonAlfred Müller-Armacksauf dessen Kölner Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik, Mont Pelerin SocietyPräsident 2000-2002 und Präsident der Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaftverfasst.

Also mit Herrn Watrin, war das „Freiheit auf Mehr“- Lager schon ganz gut vertreten im Umfeld der Tagung und ihrer nachträglichen Aufarbeitung.

1972 warHelmut Schmidtgerade als Nachfolger vonKarl Schiller, Wirtschaftsminister unter KanzlerWilly Brandtgeworden. In dieser Funktion hielt er auch die erste Gast-Ansprache auf der Tagung. Dabei hat er,Kenneth E. Bouldingzitierend die Volkswirtschaftslehre als der Moral verpflichtet dargestellt. Und davor gewarnt dasPareto-Optimalals ökonomisches Gesetz aufzufassen. Also dass eine soziale Umverteilung immer keinen schlechter stellen dürfe. Ebenso betonte er, dass ein internationales Gleichgewicht in einem gemeinsamen Währungssystem aktiv herbeizuführen sei. Marx schnitt jetzt, eher seicht begründet, nicht ganz so gut bei ihm ab und die Freiheit wurde auch sehr allgemein als zentral dargestellt.

In der eigentlichen Eröffnungsrede vom Vorsitzenden Schneider viel auf, dass dieser die Schutzzollpolitik von Bismarck als schlecht darstellte. Das macht deutlich, dass 1972 beim VfS schon die Kräfte dominant waren, denen wirtschaftlicher Freiheit wichtiger war als durchdachte aufholende Standortpolitik in einem unausgeglichenen internationalen Freimarktsystem. Von da ab ist es eben nicht mehr weit bis zum Glorifizieren des „Pareto-Optimums“.

Nach Minister Schmidt war dannFritz Machlup, als Präsident der Internationalen Economics Association, dran. Dieser stellte nochmals dieBöhm-BawerkStolzmannKontroverse bezüglich Macht und ökonomisches Gesetz da. Böhm-Bawerks Aufsatz „Macht oder ökonomisches Gesetz“ stellte ja die Intention für den Titel der Tagung da. Stolzmann vertrat in dieser Kontroverse, genauso wie ich, die Ansicht, dass hinreichend institutionelle Macht die Markt- Verteilung sehr wohl dauerhaft beeinflussen kann. Herr Machlup machte am Ende mit einemJoan RobinsonZitat in dem diese Lohnzurückhaltung zum Wohle von Investition in die Zukunft in sozialistischen Ländern lobt etwas deutlich welche Position er bezüglich sozialer Umverteilung wohl vertrat.

Dann kam der Haupteröffnungsvortrag von HerrnFritz Neumark, laut Wikipedia einem dem Väter von Schiller’s „Globalsteuerung“. Darin geht dieser auf das Verhältnis und die Einflussnahmemöglichkeiten von politisch ökonomischer Wissenschaft auf Politik an Hand der historischen Entwicklung und Beispielen aus der Vergangenheit ein.

Nach der Eröffnung folgenden dann 5 zentrale Vorträge unter dem Thema „Ökonomische Beziehungen und soziale Kategorie“.

Alec Novebeklagte zunächst die fehlende Vollständigkeit bis Praxisuntauglichkeit der ökonomischen Theorien des Westens und Ostens.

Wilhelm Krelleging dann nochmal detaillierter auf die Böhm-Bawerk – Stoltzmann Kontroverse zur „Macht zur sozialen Umverteilung“ ein. Allerdings übergeht er wie, soweit ich mich erinnere auch schon Böhm-Bawerk, die Macht von Institutionen und von zusammengefasster Kundenmacht. Und kommt somit wie Herr Böhm-Bawerk eher zu einem geringen Umverteilungspotential durch Macht, wegen des Wirkens der ökonomischen Gesetze.

Als drittes war dannHans Albertdran. Dieser verteidigte dann grob gesagt die begrenzte Praxistauglichkeit vor allem der Neoklassik mit dem Verweis auf ihren nomologischen Charakter. Darunter versteht er Theorien, die nur unter bestimmten Vorbedingungen und eventuell unrealistischen Bedingungen funktionieren aber dennoch einige Gesetzmäßigkeiten auch allgemeineren Charakters aufzeigen könnten.

Louis J. Zimmermangeht auf die Macht in Tauschverhältnissen ein.

Zum Schluss warb dann nochErnst-Joachim Mestmäckerfür eine Wirtschaftsverfassung, durch welche er sich eine Kontrolle von Politik und Wirtschaftsmacht durch die Herrschaft des Rechts erhoffte. Durchaus positiv ist hier zu betonen, dass ihm eine Schiller’sche Globalsteuerung auf EWG Ebene vorschwebte. Aber eben eine durch Gesetzte beschränkte Steuerung. Da stellt sich dann eben die Frage wie weit beschränkt und wie solche Gesetzte zu Stande kommen sollen. Konsens begeistert wirkte sein Vortrag ebenfalls erfreulicher Weise zumindest nicht. Auf die Gefahren einer Wirtschaftsverfassung, vor allem für die EWG, einem Zwang zur wirtschaftlichen Freiheit ohne gleichzeitig einen hinreichenden supranational institutionellen Handlungsrahmen zur Globalsteuerung bereit zu stellt und hinreichende soziale Rechte per Verfassung zu garantieren, zu erschaffen ist eher aber nicht eingegangen.

Dann folgten Diskussionen zu diesen 5 Vorträgen. Bereits gleichzeitig in eigenen Gruppen und Räumen.

Die eigentliche Tagung fand dann in 5 bis 6 Arbeitsgruppen geteilt im Anschluss am 3. und 4. Tag statt. Darauf gehe ich inhaltlich aber ein anderes mal ein.

Zu Ende ging die Tagung dann mit Vorträgen von HerrnHeinz-Dietrich OrtliebundErich Streisslerzum Thema „Wirtschaftssystem und Gesellschaftsordnung“ und der Abschluss- Adresse vom Vorsitzenden Hans K. Schneider.

Herr Ortlieb forderte hier die SPD auf, mal eine praxistaugliche Theorie für einen „freiheitlichen Sozialismus“ zu liefern.

Und Herr Streissler, als „Paläoliberaler“ betonte die Wichtigkeit von Freiheit als Basis und die Sorge vor der Staatsmacht. Er plädierte für eine Wirtschaftsverfassung die Automatismen schafft anstatt einen starken Staat. Und er verteidigte sogar den Manchesterliberalismus als gar nicht so laissez faire.
Sein Vortrag passte also ins „Freiheit für Mehr“- Schema.

Die beiden Vorträge wurden dann auch noch in „Großer Runde“ diskutiert.

Herr Schneider ging dann am Ende nochmal darauf ein, dass man ökonomische Theorien bräuchte welche die Realität hinreichend beschreiben und in der Praxis politisch verwertbar sind.

Zusammenfassend lässt sich jetzt, auch ohne schon auf die Arbeitsgruppen eingegangen zu sein, sagen, dass auf dieser Tagung zwar mit Neumark, Ortlieb und eventuell auch Mestmäcker noch „Globalsteuerer“ an zentraler Stelle zu Wort kamen, die Schönredner von Eigennutzstreben „getarnt“ als Freiheit und Rationalität aber bereits an Gewicht innerhalb des VfS zunahmen.

Auch die Ausweitung des Eigennutzprinzips unter den Namen „Ökonomische Theorie der Verfassung“ und „Ökonomische Theorie der Politik“ wurde bereits angesprochen.

Die Vorteile im Standortwettbewerb für Deutschland im gemeinsamen EU und Welt-Markt, zusammen mit der alten Sorge einiger Wohlhabender und Besserverdiener Vermögen und Einkünfte durch staatliche Umverteilung zu verlieren sorgte dann für den Rest.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

KSLP

Sozial. Sicher. Standhaft. Je nach innen und außen. Und relativ konservativ. :)

KSLP

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