Verfassungs- und Vertragspoker

Die Wunschverfassung Individuell legitimierte Verfassungsregeln. Was muss man darüber wissen?

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Sollte man die Regeln unserer deutschen oder der EU- Verfassung zukünftig nicht mehr mehrheitlich demokratisch legitimiert bestimmen, sondern individuell legitimiert?

Also sollten wir zukünftig nur noch solche Verfassungsregeln und gemeinsame Institutionen zulassen, welche von allen Bürgern aus freien Stücken heraus ihre Zustimmung erfahren?

Wenn Sie jetzt denken, so ein Quatsch, da würde man sich ja nie einig, so was fordert ja eh keiner, dann lesen sie mal „Wettbewerb und Regelordnung“ von Viktor Vanberg, einem ehemaligen Leiter des Walter Eucken Instituts in Freiburg oder „The Limits of Liberty“ von James M. Buchanan, dem ehemaligen „Chef- Ökonomen“ von Charles Koch (US- Milliardär).

Und wenn Sie jetzt meinen, von denen habe ich noch nie was gehört. Die sind bestimmt nicht einflussreich. Dann „googeln“ sie mal nach denen und nach den Herausgebern des Buches „Wettbewerb und Regelordnung“, Nils Goldschmidt und Michael Wohlgemuth. Und nach dem jetzigen Leiter des Walter Eucken Instituts, Lars Feld. Nils Goldschmidt ist unter anderem Leiter der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, die galt früher mal als „inoffizielles Sprachrohr“ der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Das, zumindest ehemalige, politische Beratungs- Flaggschiff des Ordoliberalismus. Und Lars Feld ist einer der 5 Wirtschaftsweisen der Bundesregierung. Von denen berufen sich meist alle bis auf „den einen von der Gewerkschaft“ auf den Ordoliberalismus.

Der hat Tradition in Deutschland!

Nicht ganz zu unrecht.

Und dieser Ordoliberalismus wurde nun von Viktor Vanberg „weiterentwickelt“ zu einer Theorie, die auf dem Prinzip der individuellen Legitimierung von Verfassungsregeln beruht.

Von nun an konnten und können sich also auch Vertreter dieser „interessanten“ Theorie als Ordoliberale bezeichnen.

Und keiner berichtete oder berichtet darüber und keiner regt sich auf, außer mir.

Der Ordoliberalismus und unsere daran angelehnte „Soziale Marktwirtschaft“ sind als Gegensatz zum Staatssozialismus und zur gelenkten Staatswirtschaft entstanden. Die Wirtschaft soll innerhalb eines politischen Rahmens unter Vermeidung von Vermachtung möglichst frei gedeihen können. Allerdings mit dem Vorrang der Mindestbedarfsdeckung jedes einzelnen vor den weiteren Wünschen der bereits „versorgten“ (Walter Eucken, „Grundlagen der Wirtschaftspolitik“).
Unsere soziale Marktwirtschaft entsprach aber, wenn auch aktuell nicht mehr so ganz :), dem Modell von Herrn Müller- Armack und Herrn Adenauer, welche die Wohlstandsverteilung, anders als Ludwig Ehrhard, ebenfalls nicht komplett dem Markt überlassen wollten. Also nicht nur die Mindestbedarfssicherung. Herr Müller-Armack war auch der Überzeugung, dass der (Welt-) Markt einer aktiven Steuerung bedarf um nicht zu kollabieren, siehe „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“.

Aber auch der Ordoliberalismus, nach Walter Eucken, trat für Werte- basierte Verfassungsregeln ein.
Das diese praktisch niemals die Zustimmung aller erlangen können, wird denen mit Sicherheit auch klar gewesen sein.

Auch ein Viktor Vanberg wird wissen, dass, man denke nur an das organisierte Verbrechen, eine Zustimmung aller zu einer zumindest minimal tragfähigen Verfassung praktisch nicht realisierbar ist.

Deshalb wird es ihm und Herrn Buchanan wohl einzig um die Legitimierung des Strebens einer Minderheit, auch gegen den Willen der demokratischen Mehrheit, nach einer Verfassung nach ihren Wunschvorstellungen gegangen sein.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Demokratien auf jeden Fall einen in der Verfassung verankerten Schutz für Minderheiten unabhängig vom aktuellen Willen der Mehrheit brauchen.
Dabei geht es aber auch um Mindestbedarfssicherung, soziale Gerechtigkeit und Fairness, usw.
Nicht um den Schutz vor nicht diskriminierenden Steuern, Sozialabgaben usw.

Die Wunschverfassung von Herrn Charles Koch würde wohl aus sozialer Sicht ziemlich karg bis komplett abschaffend ausfallen.

In der EU sind wir ja seit einigen Jahren auch dabei eine Verfassung, besser gesagt die einzelnen Verfassungsregeln auszuarbeiten. Und Herr Vanberg ist da bei einem Blick auf die wichtigen Lobbygruppen auch ganz vorne mit dabei, zum Beispiel in der Kangaroo Group.

Nun könnte man die Befürchtung äußern, dass in die wichtigen Entscheidungen zur Ausgestaltung der EU- Verträge der Wille Charles Kochs und Co. eingeflossen ist.

Das mag sein, eher wahrscheinlich wäre aber, dass von Teilen der deutsche Seite bewusst, zur Beratung, auf Herrn Vanberg und Co. zurückgegriffen wurde, um am Ende eine „wunschgemäße“ EU- Verfassung zu haben. Immerhin kommt eine EU- Verfassung, welche nur jeden Staat zur Gewährung der vier wirtschaftlichen Freiheiten verpflichtet, ohne Sozialausgleich und Co., uns als aktuell Export- stärkste Nation in der EU zumindest kurzfristig, aus unsozialer Sicht gesehen, nicht ungelegen. Aber eben nur kurzfristig. Die Mindestbedarfssicherung als Teil des politischen Rahmens wurde von den Ordoliberalen nicht aus reiner „Nächstenliebe“ zwingend vorgesehen. Also selbst aus „unsozialer“ deutscher Sicht braucht die EU eine tragfähige Form von gemeinsamer Mindestbedarfssicherung. Und die Konsenspflicht bei sozialen Regelungen in der EU ist da, zumindest aus Zeitgründen, auch nicht gerade hilfreich.
Wahrscheinlicher ist also, dass wenn es eine Einflussnahme gab, diese auch der Mehrheit der deutschen Verhandlungsseite unbemerkt blieb. (Zu viele Juristen … :))
Nutzen würde solch eine EU- Verfassung ohne sozialen politischen Rahmen, trotz Pflicht zur Gewährung wirtschaftlicher Freiheiten, am Ende wohl nur den Gegnern eines demokratischen Europas.

Könnte also bitte mal noch jemand anders, als immer nur ich, ein Auge auf unsere Ordoliberalen „Wirtschaftsweisen“ werfen! Das wäre echt angemessen.

Ich habe ja noch die Hoffnung, dass es sich bei den ganzen Verflechtungen und Theorien von Herrn Vanberg und Co. nur um eine Inszenierung der vernünftigen und (sozial-) gewissenhaften Fraktion der Ordoliberalen handelt, um auf das Fehlen eines sozialen Rahmens in der EU und der Weltwirtschaft im allgemeinen hinzuweisen. Dann würde es aber langsam mal Zeit werden diese Inszenierung aufzudecken…

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

KSLP

Sozial. Sicher. Standhaft. Je nach innen und außen. Und relativ konservativ. :)

KSLP

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