Der algerische Journalist Kamel Daoud machte sich in seinem Romandebüt „Der Fall Meursault – Eine Gegendarstellung“ daran, dem existentialistischen Schullektüre-Klassiker „Der Fremde“ von Albert Camus eine eigene Version des Stoffes entgegenzusetzen. Der namenlose Araber, der im Camus-Original von Meursault am Strand erschossen wird, bekommt bei Daoud erstmals einen Namen: Musa. Daoud kehrt die Perspektive um: während sich Camus auf den Täter konzentriert, erzählt die Roman-Um-, Neu- und Weiterschreibung des Algeriers von der Trauer der Mutter und des Bruders des Opfers.
Regisseur Amir Reza Koohestani und seinem Ensemble gelingen einige starke Szenen und poetische Bilder. Als „multiperspektivisches Sprachpanorama“ ist der Abend angekündigt. Häufige Rückblenden, der Mix aus Ensemble-Szenen, die teilweise in ein fast schon babylonisches Sprachengewirr münden, und nachdenklichen, oft dezidierten religionskritischen Monologe, die dem algerischen Autor Daoud eine Fatwa einbrachten, bieten tatsächlich anregendes Gedankenfutter. Seine Sprunghaftigkeit wird dem Abend aber auch zum Verhängnis: ein wirklich überzeugender, packender und dichter Theaterabend, wie er Koohestani mit „Hearing“ gelang, glückt ihm diesmal nicht.
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