Der Fluch

Polnischer Theaterskandal "Der Fluch" von Oliver Frljic löste in Polen scharfe Proteste aus. In dieser Woche ist er am Berliner Gorki Theater zu Gast.

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Wie leicht es doch ist, einen Skandal zu provozieren: man nehme ein tiefkatholisches Land wie Polen und lasse eine Schauspielerin Oralsex an einer Statue von Papst Johannes Paul II. simulieren. Man füge einen Monolog hinzu, in dem eine andere Schauspielerin darüber räsonniert, wie viel Geld sie wohl sammeln muss, um einen Killer aus dem Darknet anzuheuern, der ein Attentat auf den Staatspräsidenten verübt. Man lasse sich noch eine Ensemble-Szene einfallen, in der das komplette Ensemble des Teatr Powszechny aus Warschau den sexuellen Missbrauch durch katholische Priester anpragert. Dann vielleicht noch ein Kettensägen-Massaker, mit dem ein überdimensionales Holzkreuz umgesäbelt wird, eine Nacktszene mit deftig-vulgären Ausdrücken, ein Plädoyer für Abtreibung und schließlich ein Knalleffekt, bei dem alle Spielerinnen und Spieler aus ihren Holzkreuzen Maschinengewehre basteln und damit aufs Publikum zielen.

Der Kroate Oliver Frljić, der sich durch „Unsere Gewalt, eure Gewalt“ oder „Balkan macht frei“ einen Namen als skandalträchtiger Regisseur gemacht hat, setzte in Warschau all das in die Tat um und bekam das erwartete Ergebnis: die Allianz aus katholischem Klerus und rechtspopulistischer PiS-Regierungspartei jaulte auf. Demonstranten, die das Bühnengeschehen oft vermutlich nur vom Hörensagen kannten, postierten sich vor dem Theater. Priester verlasen Appelle gegen das Stück von der Kanzel. Sogar die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen des Verdachts von Blasphemie. Auch Morddrohungen einiger Fanatiker blieben nicht aus.

Alle Schmerzpunkte getroffen – Mission erfüllt!

Man könnte den Abend „Der Fluch“ nun schnell als zynisch durchkalkulierte Nummernrevue abtun, der genüsslich auf die erwartbaren Beißreflexe reaktionärer Kreise zielt. So einfach, wie es das mediale Echo über die Proteststürme erwarten lässt, macht es sich Frljić aber nicht.

Die Szenen, die für so viel Empörung sorgten, nehmen vergleichsweise wenig Raum ein. Sie sind eingebettet in ironische Performances, in denen sich das Ensemble z.B. mit dem Image des Skandalregisseurs befasst. Eine Schauspielerin lästert über ihn als Berufs-Provokateur, der quer durch Europa jettet, hohe Gagen einstreicht und sie ihm Stich lässt, so dass sie am Ende nicht weiß, wie sie die drei Kinder ernähren soll.

Auch gleich zum Einstieg ist der Abend deutlich vielschichtiger als der ihm vorauseilende Ruf erwarten ließ.

Ausführlichere Kritik

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