"Die Welt im Rücken" nach Thomas Melle

Theater-Kritik Joachim Meyerhoff bringt in einer dreistündigen Solo-Performance den autobiographischen Roman über manische und depressive Phasen berichet.

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Besonders unangenehm wird seine manische Phase für die bedauernswerten älteren Herrschaften in der ersten Reihe, die er derart unverschämt anpöbelt, dass sich Handkes „Publikumsbeschimpfung“ dagegen wie eine gepflegte Unterhaltung beim Kaffeekränzchen ausnimmt.

In der zweiten Hälfte weist der Abend einige Längen auf: klamaukige Sticheleien gegen die Bühnenmitarbeiter überbrücken die Umbaupause, bis Meyerhoff im goldenen Glitzerkostüm auf einem überdimensionalen Gehirn-Präparat, auf das jede Anatomie stolz sein könnte, und „Crazy“ von Gnarls Barkley schmettert.

Wie am Wiener Akademietheater, wo Jan Bosses „Die Welt im Rücken“-Adaption im März Premiere hatte, wird Joachim Meyerhoff auch beim Gastspiel am Deutschen Theater Berlin mit stehenden Ovationen bejubelt. Ein ungewöhnlicher und fordernder Abend, der das Prädikat „bemerkenswert“ verdient und damit ein Kandidat für die nächste 10er-Auswahl beim Theatertreffen sein dürfte, vor allem da die Jury Österreich im allgemeinen und das traditionsreiche Burgtheater im besonderen wohl nicht zwei Mal in Folge komplett übergehen wird.

Die Struktur des Theater-Abends imitiert recht präzise die schonungslose Art, mit der Autor Melle über die Stadien seiner Erkrankung schrieb. Genauso manisch-depressiv verläuft auch die Achterbahnfahrt dieses Abends. Die Energieleistung von Joachim Meyerhoff nötigt Respekt ab. Die FAZ wirft aber zurecht die Frage auf: „Soll man sich diesen schwierigen, ein immer noch verwundbares Selbst entblößenden, mithin unfreiwillig voyeuristischen und wohl auch zu langen Abend antun?“ Die Antwort muss jeder für sich selbst finden, aber: „Man sollte jedenfalls gewappnet sein.“

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