FIND 2016: Auf dünnem Eis

Theater-Festival-Bilanz Eine Woche lang präsentierte die Schaubühne neue internationale Dramatik beim FIND-Festival. Die Themen reichten von RAF über Syrien-Krieg bis zur Repression im Iran.

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Eingebetteter MedieninhaltEnde des Frühlings

“The Trip” und “The Last Supper” beim FIND-Festival an der Schaubühne

Die ersten beiden Abende des Festivals für internationale neue Dramatik an der Schaubühne erzählen vom Scheitern des arabischen Frühlings.

“The Trip” von Anis Hamdoun endet mit den Stimmen seiner toten Freunde im Kopf von Ramie. Vor fünf Jahren gingen sie gemeinsam in Homs auf die Straße: Der Funke der “Arabellion”, die im Dezember 2010 in Tunesien begonnen hatte, sprang auch auf Syrien über. Die Gelegenheit schien günstig, den Aufstand gegen den verhassten Diktator Baschar Assad zu wagen.

Das Ergebnis ist bekannt: ein Bürgerkrieg mit Hunderttausenden Toten und mehr als 10 Millionen Menschen auf der Flucht. Einer von ihnen ist Anis Hamdoun, der Regisseur und Autor des Kurzdramas “The Trip”, den die Süddeutsche Zeitung vor kurzem porträtiert hat. Nachdem er im Krieg ein Auge verloren hat, kam er vor drei Jahren nach Osnabrück. Dort brachte er den kurzen, nur 40minütigen Abend im September 2015 beim “Spieltriebe”-Festival erstmals auf die Bühne.

Im kleinen Studio am Lehniner Platz geht ein Effekt verloren: die Hauptfigur Ramie (Patrick Berg) kann hier die Zuschauerreihen nicht umkreisen. Im Zentrum von “The Trip” steht aber ohnehin der intensiv vorgetragene Text.

“The Trip” erzählt von den Schwierigkeiten, im fremden Land anzukommen: in Homs war man jemand, hier muss man bei Null anfangen. Noch schlimmer sind die quälenden Erinnerungen an die toten Freunde und ihre Folter in Assads Gefängnissen.

Diese Bilder und Stimmen im Kopf quälen Ramie. Sie verdichten sich im Lauf des Abends zu einem bedrohlichen Klangteppich. Vor ihnen gibt es kein Entkommen, höchstens kurze Momente des Eskapismus: der Abend beginnt und endet mit einem Monolog über Käsesorten.

Weniger überzeugend war das ägyptische Gastspiel “The Last Supper” von Ahmed El Attar: die Mitglieder einer Familie aus der Oberschicht von Kairo, die beim Militär und als Unternehmer Karriere gemacht haben, treffen sich beim Patriarchen zum Abendessen.

Die Damen sind damit beschäftigt, sich die Nägel zu lackieren und den neuesten Klatsch auszutauschen. Die Herren palavern bei Zigarren und Zigaretten über ihre neuen Geschäftsideen und behandeln ihre Dienstboten mit Verachtung. Alle zusammen haben nur ein Problem: Wie sehen wir auf den Instagram-Selfies möglichst gut aus?

Die Tahrir-Revolution haben diese Herrschaften einfach ausgesessen. Die alten Eliten haben sich – beschützt von General al-Sisi – längst wieder gemütlich eingerichtet.

Dieses Porträt der ägyptischen Oberschicht dauert zwar nicht mal eine Stunde, hat aber damit zu kämpfen, dass die bewusst seichten Dialoge der narzisstischen Figuren auf die Dauer langweilen.

Bild aus “The Trip”: Maik Reishau

Viel Qualm und Lärm um fast Nichts

Frank Witzels "Die Erfindung der RAF" an der Schaubühne adaptiert

Sicher: Wenn man einen 800 Seiten-Wälzer auf einen knapp zweieinhalbstündigen Theaterabend eindampfen will, geht zwangsläufig viel von der ausuferenden Detailverliebtheit der Vorlage verloren.

Aber ein so schwaches Ergebnis, wie es Armin Petras bei seiner Co-Produktion der Berliner Schaubühne und des Schauspiels Stuttgart ablieferte, ist dann doch eine negative Überraschung.

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Was bleibt von diesem Abend, wenn sich der bei Petras-Inszenierungen fast schon obligatorische Zigarettenqualm gelichtet hat und die Trommelfell-Attacken der Live-Band "Die Nerven" nachgelassen haben?

Dann bleibt vor allem die Frage: Hatte Armin Petras nicht mehr Zeit oder schlicht keine Lust, einen ordentlichen Theaterabend auf die Bühne zu bringen? SPIEGEL Online vermutete: Beides.

Zwischen den dichten Schwaden aus Qualm und Trockeneis turnen die Darsteller über die Bühne, die ansonsten noch mit einer ganzen Armada aus Schaufensterpuppen zugestellt ist. Die in einem Aggregatszustand zwischen zähflüssig und dünnsuppig vorgetragenen Witzchen erreichen nicht das Format der Roman-Vorlage "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" und sorgen für mehr Lacher auf der Bühne als im Publikum: ein ganz schlechtes Zeichen. Nicht nur der Tagesspiegel hatte das Gefühl, dass vieles aus früheren Petras-Inszenierungen seltsam bekannt ist.

Vom Zeitkolorit der späten 60er Jahre ist wenig zu spüren. Wenn die Schwarz-Weiß-Video-Einspieler und der kurze Moment nicht wären, als Jule Böwe, Julischka Eichel, Paul Grill und Tilman Strauß wie die "Kommune I" nackt vor der Wand posieren, könnte dieser Abend fast zu jeder beliebigen Zeit spielen.

Es ist schade, dass die Adaption von Frank Witzels Roman an diesem Premierenabend scheitert. Noch schlimmer ist aber, dass diese missglückte Inszenierung bei denen, die den Deutschen Buchpreis-Gewinner aus dem Herbst 2015 noch nicht gelesen haben, kaum Lust wecken wird, die Lektüre nachzuholen.

Weitere Termine und Trailer

Bild: Thomas Aurin

In die Enge getrieben

Starkes iranisches Theater: “Hearing” zu Gast beim FIND-Festival der Schaubühne

Dieser Abend ist ein Tribunal. Zwei verschleierte Mädchen stehen unter Rechtfertigungsdruck: in der Silvesternacht will jemand Männerstimmen im Studentinnen-Wohnheim gehört haben.

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Das wäre hierzulande nicht weiter der Rede wert, hätte aber vor wenigen Jahrzehnten sicher auch im spießigen Klima der Adenauer-Jahre für Empörung gesorgt. Im Iran löst der angebliche Männerbesuch im Frauen-Wohnheim auch heute noch einen handfesten Skandal.

Es gibt nur ein anonymes Schreiben und viel Hörensagen. Genug Stoff für Klatsch und Tratsch. Shamaneh (Zeugin) und Neda (Beschuldigte) werden vorgeladen – zunächst einzeln, dann als Gegenüberstellung.

Sie stehen verloren auf der fast völlig dunklen Bühne, während die Fragen der Heimvorsteherin in schneidendem Ton auf die beiden Mädchen niederprasseln. Sie feuert ihre Anschuldigungen und Nachfragen auf Farsi so schnell ab, dass Publikum kaum mit dem Lesen der Übertitel hinterherkommt.

Die Anklägerin sitzt mitten im Publikum und macht deutlich, dass es ihr vor allem um ihr persönliches Schicksal geht. Sie hat sich jahrelang hochgedient und erst vor kurzem das Vertrauen erarbeitet, dass sie während der Feiertage die Schlüsselgewalt für das Wohnheim bekam. Dementsprechend bangt die Anklägerin dieses “Hearings” darum, ihre Machtposition sofort wieder zu verlieren.

Auch während der 70 Minuten wird der Fall nicht aufgeklärt, die Vorwürfe stehen nach wie vor unbewiesen im Raum, treiben aber die Beschuldigte in den Suizid. Das erfahren wir im Schlussteil, der das hohe Niveau der Aufführung leider nicht ganz halten kann: Hektisch schwirren die Schauspielerinnen mit Head-Kamera durch das Keller-Labyrinth und über den Vorplatz der Schaubühne am Lehniner Platz – das ist ein Bruch mit den sehr präzise gespielten Dialoge der ersten Stunde und man wähnt sich nun eher an Castorfs Volksbühne.

Trotz dieser Schwäche ist “Hearing” ein sehenswertes Gastspiel der Mehr Theatre Group aus dem Iran. Regisseur Amir Reza Koohesani und seine vier Schauspielerinnen beschreiben sehr eindringlich, wie die beiden Mädchen von der systemtreuen Sittenwächterin in die Enge getrieben werden.

Diese Studie über die Mechanismen eines autoritären Regimes unterstreicht, wie lebendig und kritisch die Kunstszene im Iran ist. Es ist immer wieder überraschend, mit welch starken Auftritten sich das iranische Kino trotz Zensur und Strafverfolgung bei der Berlinale, in Cannes oder beim “Around the World in 14 films”-Festival präsentiert. Mit diesen Künstlern ist der Regisseur Amir Reza Koohestani eng vernetzt: Er war beispielsweise Co-Autor von “Modest Reception”, das 2012 im Forum der Berlinale lief.

“Hearing”, das am 13. und 14. April 2014 als ein Höhepunkt beim FIND-Festival gastierte, fügt sich nahtlos in die Reihe sehenswerter Einblicke in die heutige iranische Gesellschaft ein.

Bild: Amir Hossein

The Dark Ages

Milo Rau lässt am Residenztheater von Krieg, Genozid und Vertreibung erzählen

Unsere mitteleuropäische Zivilisation ist auf dünnem Eis gebaut: das ist die Quintessenz von Milo Raus “The Dark Ages”.

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Am eindrucksvollsten wird dies bei den Schilderungen von Vedrana Seksan klar. Sie war eine 15jährige Teenagerin, als Sarajevo eingekesselt wurde. Eine Flugstunde von München und zwei Flugstunden von Berlin entfernt endete der Alltag einer europäischen Großstadt: keine Heizung, kein Strom, kein Licht; ständige Gefahr durch Heckenschützen und Granatenbeschuss.

Seksan und ihre vier Mitstreiter erzählen von Krieg, Genozid, Entwurzelung und Vertreibung: Sanja Mitrović erlebte das Bombardement auf Belgrad im Frühjahr 1999, nach dem Sturz von Milosevic ging sie nach Brüssel. Der Menschenrechtsaktivist Sudbin Musić ist als einziger kein Profi-Schauspieler. Er schildert, wie er das Lager Omarska überlebte, und empört sich im Publikumsgespräch, dass der Stahlkonzern Arcelor Mittal das Gelände aufgekauft hat und ein würdiges Gedenken an die Opfer verhindert.

Aus dem Ensemble des Münchner Residenztheaters wirken Valery Tscheplanowa und Manfred Zapatka mit. Tscheplanowa kam mit ihrer Mutter aus Kasan nach Deutschland, da das verunreinigte Trinkwasser in der untergehenden Sowjetunion sie krank gemacht hatte. Sie erzählt, wie schwer sie in der Fremde Fuß fasste und deshalb meist schwieg. Als schüchterne junge Frau wurde sie von Dimiter Gotscheff bei einem Vorsprechen fürs Deutsche Theater Berlin entdeckt. In einer der wenigen Abschweifungen, die sich der Abend gönnt, erinnert Tscheplanowa an die gemeinsame Arbeit mit dem Regisseur in “Hamletmaschine” und die letzten Begegnungen vor seinem Krebstod.

An den Zweiten Weltkrieg hat aus diesem Quintett nur Manfred Zapatka persönliche Erinnerungen. Er schildert, wie die Familie in Bremen ausgebombt wurde, der Vater aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte und wie er sich mit dem Bruder in einem Erbschaftsstreit überwarf.

Mehrere Wochen lang erzählten sich die fünf Protagonisten gegenseitig ihre Geschichten. Milo Rau machte daraus eine bedrückende Dokumentartheater-Collage in fünf Akten. Wie nahe die autobiographischen Erzählungen über Krieg und Genozid gehen, zeigt vor allem die Stille im Saal.

Anders als Yael Ronen in “Common Ground” lässt Milo Rau keine kabarettistischen Pausen zum Durchatmen zu. Ein berührendes, schlimmes Erlebnis reiht sich an das nächste. Gerade diese konzentrierte Vorgehensweise macht “The Dark Ages” so packend: ein gelungener Abschluss der FIND-Festival-Woche an der Schaubühne.

“The Dark Ages” gastierte am 16. und 17. April beim FIND-Festival der Schaubühne in Berlin. Weitere Termine in München

Bild: Thomas Dashuber

Die Beiträge sind zuerst hier erschienen: daskulturblog.com

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