"It can´t happen here" am Deutschen Theater

Theater-Kritik Das Deutsche Theater Berlin hat den fast vergessenen Politroman "Das kann hier nicht passieren/It can´t happen here" von Nobelpreisträger Sinclair Lewis ausgegraben.

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Um seine amerikanischen Landsleute aufzurütteln, schrieb Sinclair Lewis 1935 einen Schlüsselroman über einen fiktiven charismatischen Populisten namens Buzz Windrip, der gegen Juden, Zuwanderer und das Großkapital Stimmung macht, ein Bündnis mit der „Liga der vergessenen Männer“ schließt und den Abgehängten eine Art bedingungsloses Grundeinkommen verspricht. Konkret zielte der Roman gegen Huey Long, der – wenn auch nur am Rande – kurz erwähnt erwähnt wird und sich damals als innerparteilicher Rivale von Präsident Roosevelt warmlief.

Innerhalb weniger Monate stellte Lewis in fieberhafter Arbeit (zum Teil 12 Stunden täglich) im Sommer 1935 sein Manuskript fertig. Nur einen Monat später wurde Long bei einem Attentat erschossen. Die eilig redigierte Endfassung erschien im Oktober 1935 und wurde in den USA zum Bestseller. Die deutsche Übersetzung des Emigranten Hans Meisel, die auch der vor kurzem erschienen neuen Ausgabe zugrunde liegt, wurde von den Nazis selbstverständlich sofort auf den Index gesetzt.

Dem mehr als 430 Seiten dicken Roman merkt man zwar an manchen Stellen an, dass er mit heißer Nadel gestrickt ist. Dennoch möchte ich eine eindeutige Leseempfehlung aussprechen: „It can´t happen here/Das ist bei uns nicht möglich“ ist ein wichtiges Buch über Liberale, die zunächst zögerlich-herablassend, dann nur noch ohnmächtig zuschauen, wie die Gewaltenteilung ausgehebelt, die Demokratie abgeschafft und die Gesellschaft gleichgeschaltet wird.

Für Christopher Rüpings Abend, den er in den Kammerspielen des Deutschen Theaters inszenierte, gilt diese Empfehlung nur mit Einschränkung. Er hat eine etwas mehr als zweistündige Popversion eingerichtet, in der viel gesungen, noch mehr Schlagzeug gespielt wird (Matze Pröllochs) und fantasievolle Tiger-Kostüme getragen werden. Vor allem Camill Jammal (als Journalist Doremus Jessup), Wiebke Mollenhauer (in einer Doppelrolle als seine Tochter Sissy und deren hier Sächsisch sprechender Verlobter Julian, der in flachem Running-Gag zum Justin wird) und Benjamin Lillie (als Oberst Haik) ist anzumerken, wie viel Freude ihnen die Proben zu diesem Stück gemacht haben.

Der Abend ist durchaus unterhaltsam, aber der Kern des Romans, das Einknicken der liberalen Gesellschaft, kommt hier zu kurz. Aus dem Verlesen des 15-Punkte-Manifests von Wahlsieger Windrip wird ein musikalische Nummernrevue. Felix Goeser spielt den Volkstribun sehr blass und ohne den nötigen aasigen Charme. Die Gleichschaltung wird mit einem kurzen, aber durchaus erwähnenswerten Regieeinfall abgehakt. Schade ist auch, dass die Figur des Shad Ledue (gespielt von Schlagzeuger Pröllochs) in der Bühnenfassung zu kurz kommt: seine Entwicklung von Jessups Gärtner zum Folterknecht ist einer der zentralen Aspekte des Buches.

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