Milan Peschel als "Hauptmann von Köpenick"

Theater-Kritik Jan Bosse versuchte, Carl Zuckmayers Militarismus-Satire am Deutschen Theater Berlin zu aktualisieren.

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Beim „Hauptmann von Köpenick“ denken die meisten wohl sofort an die berühmte Verfilmung von Helmut Käutner mit Heinz Rühmann von 1956: im bieder-braven Stil der Adenauer-Ära wurde damals die wilhelminische Obrigkeitsgläubigkeit belächelt. Die deutsche Nachkriegsdemokratie machte damals zaghafte Gehversuche und es sollte noch mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis die Studentenrevolte den Muff aus den Talaren pustete und die Autoritätshörigkeit aufs Korn nahm.

Manche denken sicher auch an die Altersrolle eines anderen Publikumslieblings: 1997 verabschiedete sich Harald Juhnke in einem Fernsehfilm von Frank Beyer und Wolfgang Kohlhaase von seinen Zuschauern.

Gemeinsam ist beiden Filmen, dass sie ganz auf ihren jeweiligen Star zugeschnitten sind. Das war auch die Erwartung, als Milan Peschel, eines der Aushängeschilder der untergangenen Volksbühnen-Ära von Frank Castorf, für die Titelrolle in Jan Bosses Inszenierung am Deutschen Theater Berlin angekündigt wurde. Mit seinem stets verschmitzt-melancholischen Blick, seinen hängenden Schultern und seinem Faible für Underdog-Rollen ist er eine exzellente Besetzung für den „Hauptmann von Köpenick“. Als kleines Statement zum Debatten-Aufreger der vergangenen beiden Jahre ließ er es sichb auch nicht nehmen, einen Stoffbeutel mit großem „Krise“-Aufdruck im typischen Fraktur-Schriftdesign des Castorf-Hauses über die Bühne zu tragen.

Zum Glück macht Jan Bosse aus Zuckmayers Tragikomödie keine Peschel-Show. Die besten Momente des Abends gelingen, wenn der Hauptdarsteller auf starke Gegenparts oder Sidekicks trifft. Für gute Unterhaltung ist dabei gesorgt.

Aber im „Hauptmann von Köpenick“ steckt natürlich noch mehr als nur eine nett zu konsumierende Satire auf den Wilhelminismus nach einer wahren, aber märchenhaft anmutenden Begebenheit im Jahr 1906. Als Zuckmayer dieses Stück 1931 schrieb und die drei Akte im Deutschen Theater Berlin uraufgeführt wurden, marschierten die Braunhemden von SA und SS bereits durch die Stadt. Zwei Jahre später, nach der Machtergreifung, wurde das Stück, das auch eine deutliche Kritik am Gehorsamskult der Nazis ist, prompt verboten. Zuckmayer überlebte im Exil.

Wie kann man den Stoff heute auf die Bühne bringen, wenn man sich nicht auf Edel-Boulevard beschränken will? Recht naheliegend wäre eine Auseinandersetzung mit den Traditionslinien der Neuen Rechten. Regisseur Jan Bosse, sein langjähriger Bühnenbildner Stéphane Laimé sowie David Heiligers und Armin Petras, die am Text mitgearbeitet haben, konzentrieren sich jedoch weniger auf Militarismus und Drill, sondern rücken die Verzweiflung und soziale Verelendung des Schusters Voigt in den Mittelpunkt. Der Abend porträtiert ein Berlin, in dem sich die Schere zwischen Arm und Reich deutlich öffnet.

Ohne Ausweis keine Arbeit, ohne Arbeit kein Ausweis: der Ex-Häftling Voigt taumelt durch eine verqualmte Stadt. Die Livekamera von Jan Speckenbach folgt Peschel durch ein Szenario, das in seiner Wimmelbildhaftigkeit manchmal an die Serie „Babylon Berlin“ erinnert. Überdimensionale Häuserfronten türmen sich links und rechts von ihm auf: Gründerzeit-Prachtbauten, Plattenbau im Stil des sozialistischen Realismus und moderne, verglaste Bankentürme lassen alle Zeitebenen bewusst verschwimmen.

Hier kommt eine weitere wichtige Akteurin des Abends ins Spiel: Steffi Kühnert darf aus ihrer Rolle aussteigen und in einem längeren Monolog in nostalgischen Erinnerungen an ihre Zeit bei Leander Haußmann in Bochum, der natürlich im Premieren-Publikum saß, und ihren Prenzlauer Berg vor der Gentrifizierung schwelgen.

Dieser Versuch, den „Hauptmann von Köpenick“ zu aktualisieren, wird durch anregende Texte im Programmheft begleitet, bleibt aber auf der Bühne in Ansätzen stecken. Dem Abend ist deutlich die Unentschiedenheit anzumerken, wie stark man die Gegenwart betonen und sich von der Vorlage lösen soll. Letztlich bleibt Bosses Fassung doch recht nah bei Zuckmayer, hat aber kein so versöhnliches, augenzwinkerndes Happy-End wie noch bei Rühmann zu bieten, sondern lässt die eiserne Wand mit lautem Krachen runterfahren.

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