Nathan im Lehm und Durchsaugen beim Tanz

Kulturstreifzug Die Kolumne berichtet über zwei "Tanz im August" -Gastspiele, "Cantatatanz" in der Zionskirche, die Eröffnungs-Premiere "Nathan der Weise" am DT und Wannsee-Lesungen.

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Voronia: Bei Tanz im August wird erst mal durchgesaugt

In dieser Woche dominierte der Tanz auf den Berliner Spielplänen. Auf der Zielgeraden des Festivals „Tanz im August“ waren zwei Gastspiele von klangvollen Namen zu erleben. Voronia der katalanischen Gruppe La Veronal in der Schaubühne enttäuschte jedoch komplett. André Sokolowski (Kultura-extra) ärgerte sich über apokalyptischen Kunsthonig, Frank Schmid versuchte dem Jammertal in seiner kulturradio-Rezension noch etwas abzugewinnen, musste aber auch das bittere Fazit ziehen, dass dieser Abend in „pathosgetränkten Mummenschanz“ kippt.

Während das Publikum Platz nimmt, sind die Ensemblemitglieder aus Barcelona auf der Bühne damit beschäftigt, zum Spielzeitauftakt noch mal richtig durchzuwischen: in weißer Anstaltskleidung gehen sie mit Staubsauger, Lappen und Wischmop gründlich zu Werke. Am besten hätten sie es dabei belassen, in den kommenden siebzig Minuten folgt nur ein lieblos aneinandergeklatschtes Sammelsurium aus verrätselten Motiven der Kunst- und Religionsgeschichte. Der Abend verliert sich zwischen einem Fahrstuhl zur Hölle, einer leeren Tafel, einer Eisbärenmaske, einem kleinen Jungen, einem Lamm und dem Kurzauftritt von vier nackten Männern, die verzweifelt gegen die Wand hämmern, in Belanglosigkeit. Das Ganze ist von bombastischen Opernklängen unterlegt, die Tänzer winden sich schmerzverzerrt in Verrenkungen. Erstaunlich, dass nicht noch wesentlich mehr Besucher vorzeitig gingen.

Die Vorschusslorbeeren waren groß, bei „Tanz im August“ 2014 galt die Gruppe „La Veronal“ mit ihrem Vorgängerstück Siena als Überraschungs-Hit des Festivals. Ihr neuer Auftritt ist jedoch gründlich misslungen.

Bul-ssang: Buntes Tanz-Gastspiel aus Südkorea

Stimmiger war das Gastspiel der Korea National Contemporay Dance Company in der Volksbühne: „Bul-ssang“ von Anh Aesson stammt aus dem Jahr 2009 und ist ein bonbonbunter Mix, der Tradition und Moderne aufeinderprallen lässt. Zu den coolen Beats von DJ Soulscape (am rechten Bühnenrand) tänzeln und springen die fünfzehn Artisten durch einen Parcours aus Buddha-Statuen und Konsumtempeln.

Der Versuch, die Zerrissenheit des asiatischen Landes zwischen dem Bewahren traditioneller Werte und Gangnam Style-Turbo-Beschleunigung zu zeigen, kommt phasenweise etwas platt daher. Dennoch ist Ahn Aesson und ihrem quirligen Ensemble zugutezuhalten, dass sie aus ihrer Grund-Idee eine schlüssige und auch unterhaltsam anzusehende Choreographie entwickeln. Für mehr als 60 Minuten hätte ihr Konzept aber kaum getragen.

Cantatatanz: Bach mit Tänzerin im Zionskirchenschiff

Einen deutlichen Kontrast zu diesem südkoreanischen Gastspiel setzte die Gruppe Nico and the Navigators mit der Wiederaufnahme von Cantatatanz (aus dem Jahr 2011) in der Zionskirche. In dem sakralen Raum herrschen an diesem Abend protestantische, karge Strenge und der Weltschmerz von Johann Sebastian Bachs Kantaten. Die japanische Tänzerin Yui Kawaguchi tritt zunächst verhüllt, fast wie unter einer Burka, in den Altarraum, während Countertenor Terry Wey sein „Bist Du bei mir, geh ich mit Freuden zum Sterben und zu meiner Ruh.“ (BWV 508) anstimmt. Beide umkreisen sich in den nächsten knapp 75 Minuten, nehmen sich nach und nach mehr Raum und navigieren durch das gesamte Kirchenschiff, so dass die Besucher auf den vorderen Plätzen die Wahl haben, sich die Hälse zu verdrehen oder über weite Strecken nur die Musik ohne die szenischen Bilder auf sich wirken zu lassen.

Dieses Experiment, Bachs „asketische Schlichtheit“ und „mathematische Klarheit“ („Nico and the Navigators“-Gründerin Nicola Hümpel in einem Interview mit dem Stadtmagazin tip) hat seinen ästhetischen Reiz. Gegen Ende hätte dem Stück aber noch ein stärkerer Regiezugriff gutgetan, da sich einige Längen eingeschlichen haben.

Womit haben wir es bei diesem Aufeinanderprallen von Tanz und christlicher Barockmusik im religiösen Raum zu tun? Hümpel grenzt sich in dem besagten Interview ab: „Nein, denn wir sind ja nicht Tanz. Wir waren immer: weder noch. Musiktheater sind wir in einem gewissen, noch nicht festgelegten Sinne. Bildertheater sind wir inzwischen auch nicht mehr, denn das finden wir bäh!“ Konsequenterweise war dieser Abend auch kein Bestandteil des „Tanz im August“-Festivals, sondern stand ganz für sich in der Berliner Kulturszene, gefördert von Bundes- und Landesmitteln.

Thematisch dockt Cantatatanz mit seinen Fragen nach dem Sterben, dem Jenseits und der Religion allerdings genau an das Spielzeit-Motto „Der leere Himmel“ des Deutschen Theaters Berlin an, das Intendant Ulrich Khuon bei der „Früh-Stücke“-Matinee mit seinen Regisseuren, Dramaturginnen und Schauspielern vorstellte. Ein Zufall der Spielplan-Gestaltung? Oder Untersuchungsmaterial für Soziologen, Kultur- und Religionswissenschaftler, die sich in ein paar Jahren intensiver damit befassen könnten, was diese geballte Auseinandersetzung mit den letzten Dingen über eine Gesellschaft aussagt, die zwischen Griechenland-Hilfspaketen und Anschlägen auf Flüchtlingsheime ganz offensichtlich darum ringt, neuen Halt zu finden?

Andreas Kriegenburg lässt Lessings „Nathan der Weise“ zur DT-Spielzeiteröffnung in Lehm und Kalauern versinken

Bei der Spielzeit-Eröffnungs-Inszenierung Nathan der Weise war von einer ernsten Auseinandersetzung mit den großen Themen, die dieser Spielzeit programmatisch vorangestellt wurden, kaum noch etwas zu erkennen. Andreas Kriegenburg lässt sein Ensemble (darunter vor allem seine bewährten Stammkräfte Elias Arens, Jörg Pose und Natali Seelig) drei Stunden lang im Buster Keaton-Stil über die Bühne watscheln und Klassiker-Text viel zu schnell herunterleiern.

Als „archaischen Comic“ hat das Programmheft die Inszenierung angekündigt. Heraus kam ein Abend mit lehmbeschmierten, bedauernswerten Figuren, der nicht mal halb so komisch war, wie er gerne gewesen wäre. Die Ringparabel, die Jörg Pose ausnahmsweise nicht veralberte, wirkte hier so deplatziert wie auf einem Kindergeburtstag, an den sich die SZ erinnert fühlte.

Nach der Pause wurde es nicht wesentlich besser, die Reihen hatten sich mittlerweile deutlich gelichtet. Auf der Bühne wurde munter weiter gewitzelt, getrippelt und gewatschelt, untermalt von einem Klangbrei aus Zwanziger-Jahre-Unterhaltungsmusik, nur kurz unterbrochen von gegenseitigen Ermahnungen der Schauspieler: „Lessing, biiiiiitttte!“

Zum Schlussapplaus hatten sie sich statt der großen Versöhnungs- und Umarmungsszene in Lessings Original noch einen weiteren Gag einfallen lassen: einer nach dem anderen kam – wie könnte es anders sein natürlich wieder im Watschelgang – nach vorne und starrte skeptisch, die Hand aufs Kinn gestützt, ins Publikum. Dass viele im Publikum genauso ratlos und mit derselben Pose zurück guckten, war dann immerhin einer der wenigen lustigen Momente dieser Saison-Eröffnungs-Premiere, die viel Luft nach oben ließ, wie der Tagesspiegel zurecht schrieb.

Rowohlt Geburtstag am Wannsee mit Titanic, Horst Evers, Herfried Münkler, Ulrich Matthes und Tschick

Wer anschließend frische Luft brauchte, war bei perfektem Sommerwetter am Wannsee gut aufgehoben: Dort feierte der Rowohlt Berlin Verlag seine Party zum 25. Geburtstag in der Villa des Literarischen Colloquiums Berlin. Auf den engen Pfaden durch den Garten herrschte dichtes Gedränge, das Publikum pendelte zwischen der Terrasse und der Rotunde am See, wo die Aushängeschilder des Verlags Appetithäppchen aus ihren Neuerscheinungen lasen.

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler wandte sich in seinem Gespräch mit dem SZ-Redakteur Jens Bisky entschieden gegen einen zu idealistischen Blick auf die Welt: beispielsweise sei der ägyptische Präsident al-Sisi ein unverzichtbarer Stabilitätsanker im Krisenbogen zwischen Libyen und Syrien. Münkler wies die Kritik von NGOs, dass dem autoritären Herrscher im Mai beim Staatsbesuch in Berlin der rote Teppich ausgerollt wurde, zurück, und warnte davor, dass ohne sein Regime die Lage für Israel noch prekärer werden könnte. Biskys Fazit, dass seien keine besonders tröstlichen Aussichten, konterte Münkler mit seinem süffisanten Lächeln damit, dass er ja auch kein Pastor und Trost nicht seine Aufgabe sei.

Wesentlich heiterer war die Stimmung erwartungsgemäß bei den Auftritten der Titanic-Chefredakteure Oliver Maria Schmidt und Martin Sonneborn und Jahresendzeit-Team-Miglied Horst Evers. Die beiden Satiriker lasen einige Kostproben aus ihrem demnächst erscheinenden Best-of-Band „Titanic Boygroup Greatest Hits – 20 Jahre Krawall für Deutschland“: als sie sich in den 90ern als Nachfolgepartei der NSDAP ausgaben und bei Schweizer Banken Zugriff auf alte Konten forderten; oder als sie den Twitter-Novizen Thorsten Schäfer-Gümbel mit einem Fake-Account parodierten und im hessischen Landtagswahlkampf für einige Verwirrung im Netz sorgten. Horst Evers brachte das Publikum anschließend mit einigen Kostproben seiner Kurzgeschichten über die Absurditäten des Alltags zum Lachen: er rechnete mit den Widrigkeiten einer Lesereise in die Wilstermarsch wegen einer überambitionierten Veranstalterin ab und ließ einen Mail-Dialog über eine Online-Massage in eine groteske Fantasy-Story über Gummibäume mit CIA-Spionageauftrag münden.

Höhepunkt des langen Nachmittags und Abends war die Lesung einiger Passagen aus Wolfgang Herrndorfs Roman Tschick von Ulrich Matthes. Für dieses Buch muss man wohl keine Werbung mehr machen: der lakonische Ton dieses Brandenburg-Trips von drei Pubertierenden voller skurriler Nebenfiguren schafft es auch beim Wiederlesen und -Hören, sein Publikum im einen Moment zu berühren und im nächsten zum Lachen zu bringen. Matthes berichtete, dass er sich, als das Buch erschien, bis tief in die Nacht festlas und dem Intendanten eine Lesung im Deutschen Theater Berlin vorschlug. Die Bühnenfassung mit Sven Fricke, Thorsten Hierse und Wiebke Mollenhauer entwickelte sich seit der Premiere 2011 zu einem Dauerbrenner, die nächsten Aufführungen in den Kammerspielen sind bereits wieder ausverkauft.

Der Deutschen Bühnenverein teilte in einer Spielzeit-Bilanz mit, dass der Tschick sogar öfter als Goethes Faust gespielt wurde.

Der Text ist zuerst hier erschienen: http://kulturblog.e-politik.de

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