Orestie von Ersan Mondtag am Thalia

Theater-Kritik Hamburg Ersan Mondtag lässt Ratten und Angela Merkel auf einen antiken Chor treffen.

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Zwei Welten treffen im Thalia Theater aufeinander: Hier die klassische Tragödien-Trilogie „Orestie“ des Aischylos aus der griechischen Antike, die mit strengem Ernst die großen Fragen von Schuld, Gerechtigkeit und moralischer Verstrickung verhandelt. Dort die überschäumende Phantasie von Regie-Shootingstar Ersan Mondtag und seinem Kostümbildner Josa Marx, die gemeinsam schon die Sophokles-Überschreibung „Antigone und Ödipus“ am Gorki Theater stemmten.

Der Abschluss der Trilogie wird durch das Räumkommando der Bühnen-Arbeiter eingeläutet: sie legen die Vorstadttristesse in Trümmer und schubsen das Geschwisterpaar Orest/Elektra vor den roten Vorhang. Spätestens als die beiden kurz im Bühnenboden versinken und gleich wieder auftauchen, ist klar: Jetzt wird die klassische Tragödie zur Farce.


Eine Angela Merkel-Karikatur (mit Raute und hängenden Schultern) schiebt den viel zu großen Thron der Göttin Athene ins Zentrum und erteilt den Zeugen und Geschworenen das Wort. Bei Aischylos sorgt ihr Richterspruch für Frieden und Gerechtigkeit, der Fluch über der Familie der Atriden ist gebannt. In Mondtags polemischer Interpretation steht die Merkel/Athene im Mittelpunkt, aber keiner hört ihr zu. Fast so einsam wie bei den Jamaika-Sondierungen kann sie sich gegen das Stimmengewirr nicht mehr durchsetzen. Sie resigniert, kippt um und kreist mit den anderen Figuren auf der Drehbühne, bis sich der Vorhang langsam schließt. Die Welt ist ein Rattenloch, Recht und Gerechtigkeit können wir uns abschminken: so lautet das Fazit von Ersan Mondtags „Orestie“.

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