Promis und Politik beim Literaturfestival

Literatur/Festival Mit bekannten Namen und pointierten politischen Statements eröffnete das 17. internationale literaturfestival berlin.

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17 Minuten dauert die eindrucksvolle Parade prominenter Künstler wie Nina Hoss, Ai Weiwei, Elfriede Jelinek, Patti Smith oder Herta Müller. Sie alle tragen einen Artikel aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor, die 1948 verabschiedet wurde und nichts von ihrer Dringlichkeit verloren hat. Das Video wurde aus dem Etat "Demokratie leben" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt.

Sehr politisch war auch die Eröffnungsrede der Schriftstellerin Elif Shafak, die einen Bogen vom Brexit zu Erdogan schlug. Sie ist in Straßburg als Diplomatentochter geboren und bezeichnet sich selbst als "global soul" und "Nomadin". In den vergangenen Jahren waren die beiden Metropolen London und Istanbul ihre Lebensmittelpunkte.

Auf den Optimismus nach Ende des Kalten Krieges folgten "Tribalismus" und Abschottung: ein Rollback durch nationalistische, rechtspopulistische Ideologen und religiösen Extremismus greift die Fundamente der Demokratie an. Besonders hart ging sie mit der Türkei ins Gericht, die sich unter Erdogan zum "größten Gefängnis für Journalisten" noch vor China entwickelt hat.

Sie appellierte an das Publikum im Haus der Berliner Festspiele mit einem Zitat von Gramsci, den Mut und den Optimismus nicht zu verlieren.

Einen grundlegenden Wandel forderte anschließend auch der österreichische Schriftsteller Robert Menasse. Die Pragmatiker wurstelten sich nur von einer Krise zur nächsten, dies bedeute die ständige Verlängerung der Gegenwart. Stattdessen brauche Europa Utopisten an der Macht. Die Auflösung der Nationalstaaten müsse das Ziel sein, wie es der erste Vorsitzende der Kommission bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaft proklamierte.

Menasse berichtete von Begegnungen mit hohen EU-Beamten, die sogenannte "Märtyrerpapiere" mit konkreten Verbesserungsvorschlägen schreiben, von denen sie genau wissen, dass sie im Räderwerk des Europäischen Rats von den nationalstaatlichen Interessen zermahlen werden.

Mit "aggressiver Schwermut" hat Menasse deshalb seinen tragikomischen Roman "Die Hauptstadt" geschrieben, in dem eine Reihe skurriler Figuren, demotivierte Beamte und ein Schwein durch Brüssel stolpern. Die Buchvorstellung auf der Seitenbühne des Berliner Festspielhauses litt jedoch darunter, dass Moderator Jörg Thadeusz indisponiert wirkte und sich von Menasse prompt den Rüffel "Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, diese Frage zu beantworten" einfing.

Im Zentrum des zweiten Abends stand die indische Autorin, Aktivistin und Globalisierungskritikerin Arundhati Roy. Zwanzig Jahre nach ihrem Bestseller-Debüt "Der Gott der kleinen Dinge" präsentierte sie ihren zweiten Roman "Das Ministerium des äußersten Glücks".

Moderatorin Gabriele von Arnim stellte den fast 600 Seiten starken Wälzer als "Chaos des Grauens" vor, das den Leser mit zahlreichen Handlungssträngen fordert. Eine der Hauptfiguren ist eine Trans-Frau, die auf einem Friedhof eine Wohngemeinschaft von Außenseitern etabliert. Ein zweiter Strang folgt einem Liebespaar vor dem Hintergrund des Kaschmir-Konflikts.

Wie schon in ihren vielen Essays der vergangenen zwei Jahrzehnte prangert Roy auch in diesem ausufernden Roman, an dem sie knapp zehn Jahre geschrieben hat, den Hindu-Nationalismus, die Großkonzerne und die soziale Ungerechtigkeit des Kastenwesens an. Die Leser müssen sich auf die Schilderungen von Massakern und Vergewaltigungen gefasst machen.

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