"Vater" in der Box Brüggemanns Theater-Debüt

Theater-Kritik Filmregisseur Dietrich Brüggemann inszenierte erstmals im Theater. In der Box des DT sitzt ein Sohn am Sterbebett seines Vaters.

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Michael Gerber, seit Jahrzehnten bekannt aus zahlreichen Rollen am Berliner Ensemble und Deutschen Theater, soll den todkranken, bettlägrigen Vater mimen. Oje, was kommt da auf uns? Ein tränenreicher Monolog voller Vorwürfe, Selbstanklage des Sohnes und demonstrativ ausgestelltem Dahinsiechen des Vaters, wie wir es gerade bei Ursina Lardi als sabberndem, dementem "Lenin" an der Schaubühne erlebten? Die Vorschaubilder lassen derartiges befürchten. Als das Publikum die Box betritt, liegt Michael Gerber tatsächlich reglos in seinem Krankenhausbett, Alexander Khuon sitzt bedrückt daneben und spielt mit seinem Handy, über ihm hängt das Röntgenbild des Gehirntumors.

Nach dieser Exposition nimmt der Abend aber einen ganz anderen als den befürchteten Verlauf. Statt "Vater" hätten ihn Dietrich Brüggemann (in Personalunion Autor und Regisseur) und Alexander Khuon (Performer dieses 90minütigen Quasi-Monologs) auch "Desirée und Katja" nennen können.

Denn um das neurotische Verhältnis der Hauptfigur Michael zu diesen beiden Frauen geht es. Als er die erste SMS von Nina bekommt, sind der Vater und sein Gehirntumor recht schnell vergessen. Michael kreist assoziativ um sein chaotisches Liebesleben, erwähnt ständig den besserwisserischen Sven, der mit Frau, Kindern und Häuschen scheinbar alles ganz wohlgeordnet im Griff hat, und den Uwe, einen noch armseligeren Tropf als Michael, einen Elektroingenieur, der den Studentinnen in der Kneipe auf den Hintern guckt, aber keine von ihnen jemals erreichen kann.

Was gehen uns dieser Michael und seine Neurosen an? Was interessieren die banalen Problemchen dieser Ninas, Katjas und Desireés oder wie all die beziehungsunfähigen Figuren heißen mögen? Die Stärke dieses Abends ist, dass sich diese Frage irgendwann gar nicht mehr stellt.

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