Wenn man Herrn Maschmeyer nicht kennt ...

Kabarett Gerhard Polt und die Wellbrüder auf der Suche nach Demokratie mit "humanitärem Beigeschmack"

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Gerhard Polt mit den Wellbrüder bei einem Auftritt in den Münchener Kammerspielen
Gerhard Polt mit den Wellbrüder bei einem Auftritt in den Münchener Kammerspielen

Foto: drama-berlin.de/imago

Wenn die Kabarettnummern zu spezifisch auf bayerische Landespolitik eingehen, bleibt es beim Berliner Gastspiel von Gerhard Polt und seinen musikalischen Begleitern, den Wellbrüdern aus´m Biermoos, erwartungsgemäß still. Mit dem jahrelangen Streit um die Schulpolitik (G8) und dem Seitenhieb auf die über eine Modellbau-Affäre gestrauchelte Ex-Staatskanzlei-Chefin Christine Haderthauer können im Berliner Ensemble nur wenige etwas anfangen. Auch die Bezüge zur Berliner Landespolitik zünden nicht so recht: zu abgedroschen sind die Pointen zum LaGeSo und Berliner Flughafen.

Dass dennoch ein hervorragender, mit Zugaben fast dreistündiger Kabarettabend daraus wird, liegt an der Qualität der Nummern, die auch das Herzstück von „Ekzem Homo“ bilden, das seit einem Jahr an den Münchner Kammerspielen läuft. Gerhard Polt läuft zur Hochform auf, wenn er als Miesbacher Landrat seinen „Dom Perignon“ schlürft und mit Unschuldsmiene über sein Beziehungsgeflecht zum Sparkassendirektor und zum örtlichen Bauunternehmer aus dem Nähkästchen plaudert. Man kennt sich, man hilft sich. Auch wenn die „Kaulquappennummerierer“ aufjaulen, schafft man es gemeinsam, den Sumpf in einem Naturschutzgebiet trockenzulegen und zum Gewerbegebiet umzuwidmen.

Dieselbe Lektion erteilt Polt auch seinem Enkel Geoffrey, den er nur „Bubi“ nennt: Die Demokratie ist eine feine Sache, aber am wichtigsten ist das Vitamin B. „Denn was nützt es Dir, dass der Herr Maschmeyer ein Demokrat ist, wenn Du ihn nicht kennst?“

Bitterböse rechnet er auch mit den Nachbarn ab, die ihrem Nachwuchs mit dem Latinum schon im Kindergarten die besten Startchancen sichern wollen und felsenfest davon überzeugt sind, dass es sich bei ihren Sprösslingen um hochbegabte Wunderkinder handelt. Als in der Schule der erhoffte Erfolg auf sich warten lässt, brechen sie endlich ihre Zelte ab und ziehen mit den Kindern nach Florida, um sie dort an einer Tennis-Akademie anzumelden.

Bodo Wartkes Klavierkabarett: „Was, wenn doch?“

Ein interessanter Kontrast zur bayerischen Volksmusik der Wellbrüder ist das hanseatische Klavierkabarett von Bodo Wartke.

Wie es sich für einen „Gentleman-Entertainer“ (Selbsteinschätzung auf seiner Webseite) gehört, schlägt er dezente und leise Töne an. Den Gangsta-Rap gibt es erst als Zugabe, davor dominieren Charleston, Tango, Blues und klassisches Opernrepertoire, das Wartke genüsslich auf die Schippe nimmt. Seine Textanalyse der berühmten Arie der „Königin der Nacht“ ist einer der Höhepunkte seines Auftritts bei den Wühlmäusen: Fast jeder kennt Mozarts Musik. Aber wer machte sich schon mal die Mühe, Emanuel Schikaneders Libretto zu studieren?

Ansonsten kreist sein neues, mittlerweile fünftes Programm um die Liebe und oft vergebliches Werben um die Herzen der Angebeteten. Die ersten Nummern kommen noch etwas schleppend daher, dann hat der Abend seine Form gefunden und beleuchtet verschiedene Facetten seines Themas, ohne redundant zu wirken. Mit der nötigen Selbstironie erzählt Wartke über Männer, die durchaus „Kompromissbereit“ wären und inhaltsleere Gespräche hinnehmen würden, sofern nur die Körpermaße und das sonstige äußere Erscheinungsbild der Flirtpartnerin ins Beuteraster passen, oder über Männer, die von einer Frau träumen, die ganz „Unkompliziert“ ist. Viele Songs sind in melancholischem Moll gehalten und erzählen von gebrochenen Herzen: Den Trennungsschmerz des Verlassenwerdens thematisiert Wartke in „Es reicht nicht“; „Happy end“ beklagt, dass es im Leben nur selten eine kinoreife Liebe auf den ersten Blick gibt, sondern das Timing nicht stimmt oder aus anderen Gründen die Liebe nicht auf Gegenseitigkeit beruht.

Im neuen Programm „Was, wenn doch?“ fehlen die großen Knaller wie „Monica“, seine Hommage an die Ex-Praktikantin im Weißen Haus und zugleich Protestsong gegen George W. Bushs Irak-Krieg. Erst gegen Ende richtet Wartke den Fokus vom Scheitern privater Zweier- oder Dreierbeziehungen (die er in „Ménage à trois“ besingt) auf das gesellschaftliche Ganze. „Das falsche Pferd“ träumt von der sympathischen Vision einer Gesellschaft, in der jeder beruflich genau das tut, wofür er wirklich brennt: ohne laue Kompromisse und ohne Rücksicht auf Erwartungen der Eltern. In dem Song schwingt eine gehörige Portion Skepsis mit, ob so ein Idealzustand jemals Realität werden kann. Er endet aber mit dem programmatischen Titel des Abends „Was, wenn doch?“

Anscheinend ist dieses Lied über Jura und BWL-Studenten, die keine rechte Freude an ihrem Fach haben, autobiographisch inspiriert: Wartke stammt aus einer Hamburger Ärzte-Familie. Dort wurde ganz selbstverständlich erwartet, dass er in diese Fußstapfen tritt. Als der Sohn nach dem Physik-, auch das Musik-Lehramtsstudium abbrach und beschloss, sein Glück als Musikkabarettist zu versuchen, ernteten die Eltern auf Ärzte-Kongressen irritierte Blicke ihrer Kollegen.

Der Text ist zuerst hier erschienen: http://kulturblog.e-politik.de

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