If it wasn't for real bad luck

Blues Ein kleines Stück blauer Geschichte und Philosophie zum 36. Todestag von Son House, der noch immer in unsere Gesichter grinst
Seasick Steve
Seasick Steve

Bild: Ben Stansall / AFP / Getty

Ich sitze whiskytrinkend an meinem braunen Küchentisch und rauche. Albert heult durchs Zimmer. Albert King, Robert Johnson, Son House und John Lee Hooker sind es unter anderem die mir aus der Seele singen, heulen und johlen. Schmerz, in unglaubliche Musik transformiert. Was versteht meine Generation davon?

Man sagt, wir seien zwanghafte Individualisten. Totdenker und endlose Grübelzirkulisten. Aber alles wiederholt sich. Meine Generation, ich bin in den Neunzigern geboren, ist nicht anders, als irgendeine andere. Auch wenn wir das gerne hätten. Liebe wiederholt sich. Fehler wiederholen sich. Aber wir müssen die Fehler ja machen, und Pech haben, woher sollten wir auch sonst wissen, was falsch ist. Der Blues steckt auch in dieser Generation. Stark und durstig trinkt er mich aus, und ich heule dazu. „I say everybody understands the blues / Everybody from one day to another have the blues“ ruft Albert King in seinem Song Blues Power. Der Blues steckt auch in uns. Lassen wir ihn raus.

Doch der Blues hat ja immer auch dieses Grinsen. Dieses Zwinkern. Na klar ist man scheiße drauf und viele andere sind es auch und man erzählt gerne jedem, wie schlecht alles ist. Aber sein wir ehrlich, tauschen möchte man das gegen präzessionslosen Frohsinn nicht. Wir lieben unseren Blues. Das Schlechte ist oft einfach interessanter. Der Blueser romantisiert und glorifiziert sein Leid. Er gibt vielleicht ein bisschen an. Blues ist wie ein Katalysator. Man trichtert Trauer hinein und bekommt ein wundervoll erhabenes Gefühl zurück. Er steht für ein Lebensgefühl, man wandert, sitzt auf Güterzügen, läuft dem Leben davon. Der Blueser singt vom Schmerz, aber er lacht dabei. Oscar Brown Jr. zum Beispiel erzählt in einem Lied wie er verlassen wurde, heult und schreit, nach jeder Strophe reißt er sich wieder zusammen und ergänzt sein Wehklagen mit einem gelassenen „But I was cool.“

„Wer sich selbst verachtet, achtet sich doch immer noch dabei als Verächter,“ hat Nietzsche gesagt. „Wenn du selbst jammerst, erfreust du dich doch immer noch über dein Jammern.“ Das bringt es auf den Punkt.

Musikalisch tritt der Blues heute kaum noch in seiner ursprünglichen Form in Erscheinung. Er funktionierte in seinen Anfängen nach einem festen Schema. Eine Zeile wiederholt sich dreimal und als vierte folgt dann wie eine Antwort. Ähnlich dem Call and Response Gesang, der schon auf dem ersten Sklavenboot auffiel, das 1619 in Virginia einlief.

Der Blues stammt aus dem 19. Jahrhundert. Unter anderem schöpfen der Jazz, Soul, R'n'B, Rock'n'Roll und Hip Hop aus diesen alten Gefühlen. Leid ist Ursprung aller Kultur. Angefangen bei den Totengesängen und dem antiken Trauerspiel, entwickelten sich Ausdruck und Kompensation immer weiter.

Son House war neben Charley Patton, Willie Brown und natürlich Robert Johnson einer der Väter des Deltablues. Auf einer Plantage in Missisippi wurde er 1902 geboren, erst war er Priester, dann Blueser. Er wurde wegen Mord aus Liebe zu Zwangsarbeit verdammt, heiratete die Witwe seines verstorbenen Kollegen und noch vier weitere Frauen, zog sich vom Blues zurück und wurde 1964 wiederentdeckt, nahm erstmals sein Repertoire kommerziell auf, kam schliesslich in die Blues Hall of Fame und starb 1988. Besonders prägend sind seine Songs ohne jegliches Instrument. Wie zum Beispiel Grinning in your face, dem Jack White in dem Dokumentarfilm It might get loud huldigt.

Jack White erreicht heute mit einer Art Blues-Rock-Pop ein großes internationales Publikum. Der Amerikaner Seasick Steve ist einer der letzten alten Bluesseelen, aber auch er spielt elektrisch. Auf zum Teil selbstzusammengebauten Gitarren, aus Rasenmähern und ähnlichem. Und selbst die 89-jährige Legende BB King tingelt noch immer über Amerikas Bühnen.

„Hard times and trouble have been my only friend“ singt Albert in seinem Song Born Under a Bad Sign zum tausendsten Male und trifft mich, haut mich um und zieht mich wieder hoch. Es ist immer wieder die gleiche Prozedur.

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