Ohne Hammer, ohne Sichel

Philosophie Alain Badiou präzisiert im Gespräch mit Peter Engelmann den neuen Kommunismus
Ausgabe 32/2017
Der „neue“ Kommunismus: fernab von traditionellen Denk- und Handlungsstrukturen
Der „neue“ Kommunismus: fernab von traditionellen Denk- und Handlungsstrukturen

Foto: Mark Ralston/Getty Images

Bis vor kurzem sah es so aus, als sei der Kommunismus auf dem Abfallhaufen der Geschichte gelandet. Die Zeit des Historisierens schien gekommen zu sein. Der sogenannte real existierende Sozialismus hat der guten Idee keinen Gefallen getan. Ist damit aber auch schon die Idee an sich erledigt? Einer, der dies vehement bestreitet, ist der französische Philosoph Alain Badiou, ein ehemaliger Maoist (nicht alle sind Renegaten geworden). Badiou versucht zu begründen, weshalb an der Hypothese des Kommunismus festgehalten werden soll. Dies schließt für ihn eine umfassende Kritik der bislang gescheiterten Versuche ein, das kommunistische Programm von Karl Marx zu verwirklichen.

Viele der auf Deutsch übersetzten Werke von Alain Badiou sind im Wiener Passagen-Verlag des einstigen DDR-Dissidenten Peter Engelmann erschienen. Engelmann hat schmerzliche Erfahrungen mit dem Staatssozialismus gemacht. Der Dissens liegt offen. Nun ist ein Band mit Gesprächen der beiden erschienen. Engelmann betont, es gehe um Unterschiede in der Analyse totalitärer Strukturen. Das hält sie aber nicht davon ab, grundlegende gesellschaftliche Alternativen zum globalisierten Kapitalismus zu erörtern, Engelmann hält sich dabei mit eigenen Urteilen spürbar zurück.

Badiou plädiert für einen „neuen“ Kommunismus, weil der alte viel zu sehr in traditionellen Denk- und Handlungsstrukturen verhaftet war – sowohl im Blick auf die Arbeitsteilung wie auch hinsichtlich der Orientierung am Nationalstaat. Von Marx‘ Vier-Punkte-Programm hätten die realsozialistischen Staaten lediglich den ersten ansatzweise verwirklicht: die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Die Übrigen – Überwindung der bisherigen Formen der Arbeitsteilung, Internationalismus sowie Abschaffung der Nationalstaaten – seien unerledigt geblieben. Den Kommunismus begreift Badiou als notwendig, weil das kapitalistische System die grundlegenden Probleme unserer Zeit nicht mehr zu lösen in der Lage sei.

Große Teile selbst der Linken wollten diese Schwäche nicht wahrhaben und akzeptierten den demokratischen Kapitalismus des Westens sozusagen als kleineres Übel gegenüber diktatorischen und faschistischen Regimen. Den relativen politischen Frieden, der auf einigen Wohlstandsinseln genossen werden kann, hält Badiou für faul, weil er mit der Ausbeutung der übrigen Welt erkauft wird.

Teile der Mittelklasse

Neue Formen des Imperialismus, beispielsweise durch die Zerstörung von Nationalstaaten und den Zugriff auf natürliche Ressourcen über Warlords und anderen Potentaten, vertiefen die globalen Ungleichheiten. Was tun? Badiou sieht, wenn auch sehr vage, die Möglichkeit eines Bündnisses zwischen dem „nomadischen“ Proletariat, den Arbeitsmigrantinnen auf der einen Seite, und Teilen der Mittelklasse, die fühlen, dass der Kapitalismus in einer Krise steckt. Es gehe darum, eine Politik des Gemeinwohls zu formulieren, die jenseits der herrschenden Ökonomie angesiedelt ist. Diese Politik setzt Badiou mit dem Kommunismus gleich. Der Begriff sei zwar diskreditiert, aber am ehesten in der Lage, einen Bruch mit dem Bestehenden einzuleiten.

Badiou lehnt Annahmen ab, wonach verschärfte gesellschaftliche Widersprüche automatisch zu einer Radikalisierung der Massen führen würden. So kritisiert Badiou seinen Freund Slavoj Žižek, der geglaubt hat, alleine die Wahl Donald Trumps werde das US-amerikanische Volk wachrütteln. Kritik am Bestehenden reiche nicht aus, meint Badiou. Es muss eine positive Idee dazutreten. Seine Überlegungen zum Gemeinwohl, das im Kapitalismus nicht zur Entfaltung kommen kann, weisen in diese Richtung.

Für eine Politik des Gemeinwohls: im Gespräch mit Peter Engelmann Alan Badiou Passagen 2017, 120 S., 15,90 €

Kurt Seifert bloggt auch auf freitag.de

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