Er wusste Porträts zu malen, sein Haus zu zeichnen, Turbinen zu bauen, Bilanzen zu entschleiern, Fabriken umzustellen, Verse zu schreiben, Staatsverträge zu schließen, die ,Waldstein‘-Sonate zu spielen. (…) Sein Feld war die Welt, das darf man sagen, in seiner Vielfalt war er überraschend.“ Die Worte des Schriftstellers Emil Ludwig (1881 – 1948) charakterisieren die Vielseitigkeit eines Mannes, dessen geistiges Fundament aus nicht unbedingt jederzeit korrespondierenden Feldern menschlichen Wirkens wie Wirtschaft, Philosophie, Technik oder Politik bestand – Walther Rathenau. Sein politisches Credo lautete: Die Wirtschaft ist das Schicksal, die Welt müsse erkennen, dass die Politik nicht das Letzte entscheidet. Hier sollte Rathenau irren
ren. Nach 1933 wurde nicht die Wirtschaft, sondern die verbrecherische Politik Adolf Hitlers zum Schicksal für Deutschland und Europa. Wer auf das Leben und den Aufstieg Rathenaus schaut, findet den Stoff, aus dem Tragödien gemacht werden: Der 1867 Geborene war ausgestattet mit einer umfassenden politischen Sachkompetenz – er war ein Polyhistor und der erste – ungetaufte! – Jude in Deutschland, der zum Minister aufsteigen konnte. Überliefert ist das seiner vielseitigen Begabungen wegen auf ihn gemünzte Bonmot von Albert Einstein, der einmal sagte, hätte man Rathenau das Amt des Papstes angeboten, hätte er auch dies perfekt ausgeübt. Aber nicht der Vatikan, sondern Reichskanzler Joseph Wirth von der Zentrumspartei holte Rathenau im Mai 1921 als Wiederaufbauminister in sein Kabinett, er sollte sich vor allem den von Deutschland zu leistenden Reparationen widmen. Die Ernennung zum Außenminister folgte am 31. Januar 1922. Die Agenda von Wirth und Rathenau war realpolitisch gestimmt. Statt sinnloser Halsstarrigkeit zu verfallen, sollte mit den Siegermächten des Ersten Weltkrieges verhandelt und ihnen bedeutet werden, dass man die auferlegten drückenden Verpflichtungen erfüllen wolle. Rathenau setzte auf Vernunftlösungen durch gut vorbereitete Verhandlungen, nicht auf Konfrontation. Er hoffte, dass sich Deutschland Westeuropa dadurch wieder annähern könne, da allein die wirtschaftlichen Interessen die Rückkehr zur Kooperation nahelegten.Walther Rathenau machte Deutschland wieder zu einem PartnerÜberdies ging er davon aus, dass Europa sich einigen müsse, um mit der schnell expandierenden US-amerikanischen Wirtschaft konkurrieren zu können. Entsprechend folgte er gegenüber den einstigen Kriegsgegnern der Maxime Aufschwung durch Versöhnung. Diese müsse durch eine sachliche Zusammenarbeit grundiert sein. Mit diesen Vorstellungen stand Rathenau als eine der Schlüsselfiguren deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert auf der Schwelle zu einem neuen demokratischen Zeitalter. Er versuchte damit wie Ende der 1920er Jahre Außenamtschef Gustav Stresemann (Deutsche Volkspartei) der labilen Weimarer Republik ein internationales Ansehen zu verschaffen, das sie brauchte, um gegen ihre inneren Feinde anzukommen. In den wenigen Monaten seiner Amtszeit hat es Rathenau – vorzugsweise bei diversen Begegnungen mit den Vertretern der Siegermächte – erreicht, dass Deutschland wieder als Partner respektiert wurde. Am Rand der großen Reparationskonferenz von Genua im April 1922 schloss Rathenau zudem den Vertrag von Rapallo mit der jungen Sowjetunion, ein diplomatisches Meisterstück, das weit über den Tag hinaus wirken sollte.Bei Gründung der Republik sprach sich der erfolgreiche Unternehmer Rathenau – er repräsentierte mit der AEG seines Vaters einen Marktführer – für fundamentale sozialökonomische Reformen aus, auch für Schritte zur Sozialisierung. Rathenau, noch im Ersten Weltkrieg ein überzeugter Monarchist, war bald mehr als nur ein Vernunftrepublikaner. Man hat ihn insofern immer als denjenigen bezeichnet, der es nach dem Zusammenbruch von 1918 als Erster verstand, wieder eine aktive deutsche Außenpolitik zu führen. Es ist keine Frage, dass seine eigentliche Intention indes die einer Vertrauen schaffenden und damit Frieden stiftenden Wirtschaftspolitik war. Der von Rathenau verfolgte Kurs der Verständigung, die von dem Grundgedanken ausging, dass Deutschland nur durch die Erfüllung der aus dem Versailler Vertrag resultierenden Verpflichtungen zu einem Ausgleich mit Frankreich und anderen europäischen Mächten gelangen konnte, zeigte ihn als überzeugten Europäer. Als Rathenau Anfang 1922 zum Minister ernannt war, verkündeten in Berlin an mancher Straßenecke völkische Klebezettel, dass nunmehr das Zeitalter der „Judenherrschaft“ über Deutschland angebrochen sei. In den folgenden Monaten wurden die antisemitischen Angriffe zunehmend rabiater. „Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverfluchte Judensau“, intonierte die völkische Gosse in Hass und abgrundtiefer Verachtung. Und das war wörtlich gemeint.Am 24. Juni 1922, einem Samstag, kam es zum Attentat. Kurz nachdem Rathenau im offenen Wagen von seinem Haus im Grunewald losgefahren war, um im Auswärtigen Amt zu arbeiten, überholte ihn ein anderes Auto, einer der Insassen schoss mit einer Maschinenpistole auf ihn, ein anderer warf eine Handgranate. Rathenau starb, noch bevor ein Arzt ihm helfen konnte. Der Tote wurde gewürdigt, wie sich das Rathenau zu seinen Lebzeiten vermutlich gewünscht hätte, aber nie auch nur entfernt erreichen konnte. Der Anschlag traf einen Demokraten, mehr noch einen jüdischen Politiker, der sich um Deutschland verdient machen wollte.Rechtsextreme Verbindungen liefen Sturm gegen den StaatDie rechtsextremistischen Täter der „Organisation Consul“ hatte das offenbar am meisten gestört. Im aufgeheizten Klima nach der Novemberrevolution von 1918 und der Gründung der Republik ein Jahr später liefen rechtsextreme Verbindungen Sturm gegen den entstandenen Staat, der als „Judenrepublik“ verächtlich gemacht und stetig attackiert wurde. Nationalisten sahen in Rathenau ein perfektes Opfer ihrer radikalen Überzeugungen: Er wurde zur Inkarnation einer „internationalen jüdisch-kapitalistischen Verschwörung gegen Deutschland“ erklärt, als der „Fremdling aus Judaan“ und „Gerichtsvollzieher der Entente“ denunziert. Politisch motivierte Attentate lagen während der chaotischen ersten Jahre der Republik ständig in der Luft. Als Komplotte nationalistischer Geheimbünde entsprachen sie dem Versuch, die junge deutsche Demokratie aus den Angeln zu heben. Das auf eine Ausschaltung der Weimarer Verfassung zielende Kalkül lief darauf hinaus, dass durch den Rathenau-Mord die Linke zum Losschlagen gereizt würde, damit dank eines Gegenputsches die nationalen Parteien ans Ruder kämen.Keines der Nachkriegsattentate wie das auf Rathenau hatte eine derart nachhaltige Wirkung. Der eilig zusammentretende Reichstag erlebte Tumulte. In der Sondersitzung für den ermordeten Außenminister, die von der parlamentarischen Rechten mit klammheimlicher Freude verfolgt wurde, war es Reichskanzler Joseph Wirth, der in seiner Gedenkrede, auf die Reihen der Deutschnationalen zeigend, sein nachhallendes „Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts!“ vernehmen ließ. Die Attentäter konnten rasch gefasst und verurteilt werden, doch die Hintermänner blieben im Großen und Ganzen unbehelligt. Der Rathenau-Mord ist als Teil einer gegenrevolutionären Verschwörung zum Sturz der Weimarer Republik im Kontext des Kapp-Putsches vom März 1920 und des Hitler-Ludendorff-Putsches vom 9. November 1923 in München zu bewerten. Er führte zu keinen dauerhaften Veränderungen im politischen Kräfteverhältnis zwischen Anhängern und Gegnern der Republik – und das sollte bis Anfang der 1930er Jahre auch weiterhin so bleiben. Sehr viel stärker als die Generation der Frontkämpfer sollte sich in der Zwischenkriegszeit die der Kriegsjugend für die Faszination der Gewalt empfänglich zeigen. Das NS-Regime konnte nach 1933 seine Führungselite vornehmlich aus dieser Altersgruppe rekrutieren.
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