Eine ganz normale Frau

Sexarbeit Eine ältere Teilzeitprostituierte erzählt von ihrem Job und vom Geoutet-Werden
Ausgabe 36/2015

„Pumpen Sie doch Ihren Arbeitgeber an.“ Meine Fallmanagerin zuckte mit den Achseln, und damit war das Gespräch für sie beendet. Drei Wochen zuvor hatten wir den Bescheid bekommen, dass die „Leistungen nach SGB II vorübergehend ausgesetzt“ seien. Wir seien vermögend. Damit war unser noch nicht abbezahltes Einfamilienhaus gemeint, unsere Alterssicherung. Mein Mann und ich waren 50 plus. Die Aussichten, auf dem regulären Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, waren für uns beide minimal.

Jetzt hatte ich aber doch ein Arbeitsangebot bekommen: ein Callcenter in der benachbarten Großstadt. Aber ich hatte kein Geld für die Fahrkarte – und eine „Mobilitätsbeihilfe“ für das Vorstellungsgespräch stand mir nicht zu, machte mir meine Fallmanagerin im Jobcenter klar. Ich hatte mich schon halbwegs damit abgefunden, schwarzzufahren, als ich das berühmte „unmoralische Angebot“ bekam: Ein Mann, den ich durch meine Arbeit vor der Webcam kannte und der mir meine private Handynummer abgeluchst hatte, bat um ein Treffen gegen Geld. Ich nahm an.

Müßige Frage

Hätte ich mich anders entschieden, wenn ich noch eine Alternative gehabt hätte? Die Frage ist müßig. Wer kein Geld hat, hat oft nur die Wahl zwischen Straffälligkeit (wie Schwarzfahren) und dem Bruch mit althergebrachten Konventionen. Außerdem hatte ich noch nie Angst vor Männern oder Angst vor Sex. Ich war schon immer neugierig und experimentierfreudig. Als ich meinen Arbeitsplatz als Journalistin verlor, versuchte ich zunächst, mich als Ich-AG mit einem kleinen Medienunternehmen zu etablieren. Während dieser Zeit machte ich auch erste Gehversuche im Erotikgewerbe – zunächst nur vor der Webcam.

Ich hatte bereits Erfahrungen mit SM, war viel in der nichtkommerziellen Szene unterwegs. Zu der Zeit, in der ich mit der Webcam experimentierte, war ich auch auf ein Inserat in der Tageszeitung gestoßen: „Bardame gesucht“. Ich ging hin und meine potenzielle Arbeitgeberin entpuppte sich als Betreiberin eines Wohnungsbordells. Als ich meinem Mann amüsiert davon erzählte, meinte er scherzhaft: „Frag sie doch mal, ob sie auch eine Domina gebrauchen kann. Das liegt dir doch.“ So rutschte ich peu á peu ins Gewerbe hinein und fand es spannend. Leider warteten meine Kolleginnen und ich dort oft vergeblich auf Gäste, nach einiger Zeit quittierte ich den Dienst.

Nach einem kurzen Gastspiel in einem Privatclub auf dem flachen Land beschloss ich, auf eigene Rechnung zu arbeiten. Ich wollte nicht mit den Bordellbetreibern teilen und mit jüngeren Frauen konkurrieren – und ich wollte, dass meine Gäste zu mir kommen. Bei diesem Konzept bin ich geblieben: die reife Dame in einem privaten Umfeld, die ihre Gäste verwöhnt. Und für ihre Sorgen ein offenes Ohr hat. Ich möchte hier auch eine weitverbreitete Legende aus der Welt schaffen: Es stimmt nicht, dass alle Sexarbeiterinnen jung, schlank und unbedarft sind. Viele Männer suchen bewusst die Frau mit Erfahrung – und es passiert oft, dass ein Gast zu mir sagt: „Was soll ich bei einer Frau, die meine Tochter sein könnte?“ Da spielen dann weder graue Strähnen noch Übergewicht eine Rolle.

Zunächst änderte sich nicht viel in unserem Leben. Ich fuhr vormittags ins Callcenter, empfing nachmittags oder abends gelegentlich einen Gast, arbeitete ehrenamtlich als Vorlesepatin, bekam ab und zu ein Engagement als Rezitatorin und Diseuse und war Ensemblemitglied in einer Amateurtheatertruppe.

Damit war schlagartig Schluss, als ich geoutet wurde. Ein aufrechter Bürger informierte Honoratioren und die Presse über die Homepage, auf der ich für meine Dienstleistungen warb. Die größte Tageszeitung vor Ort nahm sich des Falls an – ich wurde nicht namentlich genannt, war aber problemlos identifizierbar. Innerhalb weniger Wochen waren mein Mann und ich in der ostwestfälischen Mittelstandsstadt, in der wir leben, gesellschaftlich isoliert. Ich war sämtliche Ehrenämter los. Das ist jetzt neun Jahre her. Heute sind wir beide politisch aktiv, aber auf unseren Alltag hat das Outing weiter Auswirkungen.

Ja, ich habe Federn gelassen und einige Erfahrungen tun immer noch weh: erleben zu müssen, wie Bekannte, die häufig unsere Gäste waren, von uns abrückten – oder wie der Musiker, mit dem ich oft aufgetreten war, sang- und klanglos unsere Zusammenarbeit aufkündigte. Unser Freundes- und Bekanntenkreis ist radikal geschrumpft.

Ich habe eine therapeutische Ausbildung, ich bin Künstlerin, ich war Journalistin, ich engagiere mich politisch – aber ich bin auch Sexarbeiterin. Und das allein zählt. Denn mit einer Hure, mit „so einer Frau“, muss ja was nicht stimmen. Sie muss Junkie, kriminell, Missbrauchsopfer, psychisch krank oder intellektuell minderbegabt sein. Aber sie kann in den Köpfen vieler Mitbürger immer noch nicht eine Frau mit vielseitigen Kenntnissen und Fähigkeiten sein.

Zuspruch von der Freundin

Andererseits hätte ich manche Erfahrungen ohne das Outing gar nicht machen können: wie eine alte Freundin das Getuschel mit einem lässigen „Na und?“ kommentierte und weiter zu mir hielt. Wie mein großer Bruder mich anrief und fragte, ob er mir helfen könne. Und wie mein Mann mir tagein, tagaus den Rücken stärkt und für die gleichen Dinge kämpft wie ich.

Ich habe auch viel von den Männern gelernt, die zu mir kommen. Zum Beispiel, dass Sex häufig überbewertet wird. Natürlich ist er ein elementares Grundbedürfnis, aber noch wichtiger ist die Sehnsucht nach Nähe und Empathie. Meine Gäste haben mir mit ihrem Respekt und ihrer Wertschätzung viel von dem Selbstbewusstsein zurückgegeben, das mir durch den Umgang mit der Hartz-IV-Behörde und durch das Outing genommen wurde.

Ich habe mich sehr gefreut über die Resolution von Amnesty International zur weltweiten Entkriminalisierung von Sexarbeit. Und ich finde das Protestgeheul der Abolitionistinnenriege unerträglich. Bitte nehmen Sie endlich zur Kenntnis, meine Damen und Herren, dass Sexarbeit ungeheuer vielfältig ist. Nicht jede Hure ist ein armes Opfer, das „betreut“ und „gerettet“ werden will.

Wenn diesen Verfechtern des Sexkaufverbots das Wohl der Opfer von Ausbeutung und Gewalt wirklich so am Herzen läge, wie sie immer wieder lautstark behaupten, würden sie sich für einen Opferschutz stark machen, der diesen Namen wirklich verdient – damit die Betroffenen vor Gericht aussagen können, ohne Angst vor Abschiebung. Und dieser Opferschutz sollte für alle Branchen gelten, die mit Leiharbeitern, Werkvertragsnehmern und dubiosen Subunternehmern arbeiten.

Wenn ich mit Ministerin Schwesig persönlich reden könnte, würde ich sie bitten, nicht weiter am Prostitutionsgesetz herumzubasteln, sondern dafür zu sorgen, dass die bereits bestehenden Paragrafen des Strafrechts korrekt umgesetzt werden. Das würde genügen. Und ich würde sie darum bitten, Sexarbeit als freiberufliche Tätigkeit anzuerkennen. Mit Niederlassungsfreiheit und ohne „Sondersteuern“.

Vom dem jetzigen Referentenentwurf zum Prostitutionsgesetz halte ich dagegen nichts. Ich erwarte davon nur Ärger. Pflichtuntersuchung? Dass ich auf meine Gesundheit achte, ist selbstverständlich. Dafür brauche ich keine Vorschriften. Meldepflicht? Schon wieder Spießrutenlaufen und Outing? Nein, danke! In den Jobcentern sollte man sich aber bei der geplanten Neufassung des Gesetzes auf mehr Antragstellerinnen einrichten. Viele jüngere Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen, die sich ihr geringes Einkommen mit gelegentlicher Sexarbeit aufbessern, haben nicht die Nerven, sich dafür auf einen Kampf mit der Bürokratie einzulassen.

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