Ein Abend wie Schurwolle

Bühne In einer grotesken Aufführung widerlegt Regisseur Robert Borgmann die „Legende vom Glück ohne Ende“ im Berliner Maxim Gorki-Theater

Paula steht im weißen Brautkleid auf der Bühne, tänzelt umher, singt die Worte „Bim Bam“, erzählt von ihrer Vergangenheit und beschließt, fortan vernünftig zu sein. Aber vorher will sie noch „n rischtjes Fass aufmachen – und zwar keen kleenet!“ Also zieht sie los, das Glück zu finden, und trifft auf Paul. Die beiden wollen es (das Glück? die Beziehung? die Liebe?) so lange dauern lassen, wie es dauert, ohne etwas dafür oder dagegen zu tun.

Spätestens seit Freud wissen wir: Das Glück entspringt der plötzlichen Befriedigung angestauter Bedürfnisse und ist seinem Wesen nach nur als episodisches Phänomen möglich. Trotzdem sucht der Mensch immer nach der andauernden Zufriedenheit, strebt nach dem stetigen Glücksgefühl. Liebe ist aber nicht gleichbedeutend mit Glück, im Sinne der Erfüllung einer Idealvorstellung. Das zeigt Ulrich Plenzdorfs Legende vom Glück ohne Ende eindrücklich. Und Regisseur Robert Borgmann ist in seiner ersten Inszenierung am Berliner Maxim-Gorki-Theater darauf bedacht, diese unglückliche Seite der Liebe möglichst drastisch darzustellen.

Entsprechend prägnant kommt das im Stück verarbeitete Zitat von Friedrich Nietzsche daher: „Ideal und Wirklichkeit gehen nie übereinander – ein Rest bleibt immer.“ Diese Worte lassen sich auf vieles übertragen: auf die Beziehung zwischen Paul und Paula, den Glauben an das Glück und die Freiheit und nicht zuletzt auf das gesellschaftliche Leben im politischen System DDR, sogar auf die Erinnerung daran.

„Mfred ist ein Bu“

Borgmann durchbricht die romantische Romanvorlage der Legende vom Glück ohne Ende mit einem zweiten Plenzdorf-Text. Die Geschichte kein runter kein fern ist als Ergänzung gedacht. Der großartig gespielte Monolog, vorgetragen von dem Schauspieler Albrecht Schuch, beschreibt die Sicht eines „schwachsinnigen“ Jungen auf die DDR, dessen Mutter in den Westen geflüchtet ist und der von der Gesellschaft wegen seiner Andersartigkeit ausgegrenzt wird. Schuch wechselt dabei die Perspektiven: Erinnerungen an seine Familie, Systembeobachtungen und Gegenwart werden durch ein Konglomerat aus Wortreduktionen und -verdrehungen geschildert. „Mfred ist ein Bu“ etwa meint seinen Bruder Manfred, der „Bulle“ bei der Volkspolizei ist und hilft, einen Menschentumult am 20. Jahrestag der DDR gewaltsam niederzuschlagen.

Damit verabschiedet sich das Stück von der Liebesgeschichte und macht klar, dass es vor allem auf eine Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Zustände in der DDR aus ist. Doch so löblich der Ansatz ist, sich von der stofflichen Vorlage distanzieren zu wollen – mit fortschreitender Handlung wird die Inszenierung grotesk: Ein Bär mit rotem Umhang und Megafon tritt auf, es fällt Sperrmüll von der Decke, die Kulisse wird abmontiert, Aktenordner fliegen durch die Luft, es wird mit Käse geworfen. Ein Mann verkündet, er sei Hamlet, steckt sich das Mikrofon in den Mund und lässt Atemgeräusche wie die von Darth Vader verlauten. Zusätzlich wird die fast dreistündige Aufführung durch Videos, Klangcollagen und Lichteffekte überfrachtet, was die schauspielerischen Leistungen dennoch nicht zu schmälern vermag.

Zum Ende hin erscheint David Hasselhoff in Lederjacke und Lichterkette, singt Looking for freedom und steckt Paul die Wahrheit über dessen neue Freundin Laura, die das Ebenbild von Paula ist und „von oben“ auf ihn angesetzt wurde, um ihn zum Arbeiten anzuhalten. Damit schafft Borgmann den Bogen zu dem Einschub von kein runter kein fern: Durch diese desillusionierende Pointe wird klar, dass es dem Regisseur nicht um den von Paul eingangs proklamierten „Abend wie Seide“ geht, sondern dass die Legende vom Glück ohne Ende in einem eindrucksvollen Chaos demontiert wird.

Ein Abend wie Schurwolle also. Er dauert, solange er dauert.

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