Endstation Globalisierung?

Südafrika. Der ungerechte Weltmarkt lässt den ärmsten Ländern der Welt keine Chance auf Wohlstand. Und Europa profitiert von der ungeheuren Armut in Afrika. Noch heute

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Zehn Mal 87 Millionen – also fast das zehnfache der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. 870 Millionen Menschen leben weltweit – vor allem südlich der Sahara und in Südasien - in absoluter Armut. Sie müssen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen und können sich nur ungenügend mit überlebenswichtigen Dingen versorgen.

Laut den Vereinten Nationen (UN) leben 98 Prozent dieser Menschen in Entwicklungsländern. Dazu zählen Regionen in Lateinamerika, der Karibik, Nahost/Nordafrika, Südasien, Ost-und Südostasien, dem Südpazifik, Kaukasien, Zentralasien und Subsahara- Afrika. Die Länder der letzten Region, die von den UN als LDC („Least-developed-countries“) - Ländergruppe bezeichnet wird, sind dabei am schlimmsten von Armut und Elend betroffen.

Diese „Vierte Welt“ ist allerdings keine autonome Armutsinsel, wie man es sich als zufriedener und satter West-Europäer gerne vorstellt. „Die sind ja selbst Schuld“, heißt es und „die sollen sich halt mal anstrengen und arbeiten gehen“. Leider bezeugen diese Sätze ein gefährliches Halb-Wissen, denn die LDC werden seit der Kolonialzeit intensiv in die internationalen Handelsbeziehungen mit eingebunden. Und tatsächlich gehen die Menschen dort auch ihrem Tagewerk nach und produzieren dabei nicht nur "ganz viele Kinder", wie es fälschlicherweise an deutschen Bierstammtischen immer wieder propagiert wird. Auch wir Deutschen sind mit Schuld an der Entwicklung in vielen afrikanischen Staaten. Und wir erhalten deren Armut tagtäglich aufrecht.

Wie es dazu kam – Genese einer Abhängigkeit

Zu Beginn der Kolonialisierung wurden in den LDC vor allem die klassischen „Cash Crops“, wie Kaffee, Kakao und Baumwolle, als Exportgüter gefördert. Der landwirtschaftliche Sektor, insbesondere die kleinbäuerliche Landwirtschaft, wurden in ihrer Förderung fast vollkommen vernachlässigt. Die netten Kolonialmächte hatten nämlich neben einem anderen Glauben und anderen kulturellen Vorstellungen auch ein anderes Verständnis von Wirtschaft und Wohlstand mit im Gepäck. In Ländern, in denen Völker mit jahrtausendalten Traditionen und Kulturen lebten, sollte nun der westliche Garant das leuchtende Vorbild im Hinblick auf eine moderne Lebensweise für die afrikanischen Länder sein. Infrastrukturen und Plantagen für den Massenkonsum in den Industrieländern wurden geschaffen. Neue Landesgrenzen wurden nach den Vorstellungen der Kolonialherren - nicht etwa nach den natürlich verlaufenden Stammesgrenzen der Afrikaner – gezogen (Kongokonferenz in Berlin 1884-1885). Stammeskämpfe und –kriege sind noch heute eine Folge dieser Grenzziehungen. Durch das Eindringen der Kolonialherren in Afrika und die gezielte Ausrichtung der afrikanischen Wirtschaft für den Export von Cash Crops wurde den Kolonien die Möglichkeit entzogen, sich entweder dem Welthandel nicht anzuschließen und autonom zu bleiben, oder ihre Wirtschaft so auszurichten, dass sie auf dem Weltmarkt bestehen kann. Was die Kolonialmächte hinterließen, war zumeist geplünderte Erde und eine Gesellschaft, deren Wirtschaft und Wissen nicht dafür ausgerichtet waren, im internationalen Wettbewerb zu überleben.

Daraus resultierte eine immense Abhängigkeit von den Industrienationen, da die LDC noch heute viele essentielle Fertigprodukte nicht selbst produzieren können. Gleichzeitig sind sie durch eine einseitige Außenhandelsstruktur darauf angewiesen, dass die Industrienationen ihre produzierten Primärgüter kaufen. Ständige negative Handelsdefizite machen eine rasche Diversifizierung der Exporte in Richtung verarbeitete Industriegüter aufgrund der fehlenden finanziellen Mittel fast unmöglich - zumal der technologische Abstand zu den Industrieländern immer größer geworden ist. Da sich parallel der soziale Wohlfahrtsstart in den LDCs unter den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den ständigen politischen Unruhen nicht oder nur sehr gering entwickeln kann, sind Verarmung und Verelendung der Bevölkerungen die mächtige Spitze eines Eisbergs, dessen Fortbestand gespeist wird, durch falsche international bestehende Handelsstrukturen, die es den Entwicklungsländern nicht erlauben, aus dem negativen Abhängigkeitsverhältnis auszubrechen.

Die Globalisierung befeuert weitere Ausbeutung

Im Zeitalter der Globalisierung werden die Entwicklungsländer immer mehr von der weltwirtschaftlichen Dynamik abgekoppelt. Die finanzielle Ausbeutung und das bestehende Abhängigkeitsverhältnis haben einen täglich weitergeführten Reichtumstranfer in die westlichen Länder zur Folge. Und wir alle beleben die Ausbeutung dieser armen Länder immer wieder aufs Neue. Ganz besonders Europa profitiert von teuren Exporten und sperrt gleichzeitig den eigenen Markt durch immens hohe Zölle ab. Ohne weltpolitische Lobby können die LDC deshalb wirtschaftlich nicht erstarken. Dies gelänge nur durch eine auf Gerechtigkeit ausgerichtete Regulierung des freien Weltmarktes. Denn was Volkswissenschaftler an dieser Stelle vermutlich als Marktversagen bezeichnen würden, ist tatsächlich ein weltpolitisches Versagen. Der ständige Tenor, diese Länder bräuchten nur ausreichend makroökonomische Stabilität, eine geringe Inflation, zunehmende privatwirtschaftliche Investitionen und eine größere Offenheit im Handel und im Finanzwesen, weist einen grundlegenden Fehler auf: eben der Glaube, dass der internationale Markt die internationale Politik ersetzen könne, wenn es darum geht, schwerwiegende soziale und wirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen Staaten und Regionen aufzuheben. Denn Unterentwicklung resultiert eben nicht aus kulturellen oder gar mentalen Rückständen der betroffenen Gesellschaften. Es ist die Konsequenz einer verfehlten Integration der Entwicklungsländer in den von den Industrieländern beherrschten Weltmarkt.

Ein Appell an die internationale Politik

Bleiben die aktuellen globalen Handelsbeziehungen bestehen, werden die LDC selbstständig nie aus ihrer Verarmung ausbrechen können. Das globale Wirtschaftssystem ist Unterstützer und Förderer einer bestehenden Ungleichheit, die nur durch gezieltes weltpolitisches Eingreifen beseitigt werden kann. Dies langfristig zu ändern ist nicht nur ein Gebot der Humanität, sondern auch der politischen Vernunft ebenso wie des staatlichen Eigeninteresses derjenigen Gesellschaften, die sich nicht wie Inseln der Glückseligkeit von Entwicklungen in der übrigen Welt abkoppeln können. Denn der Prozess der Globalisierung birgt auch die Konsequenz wachsender Interdependenzen, die wechselseitige Verwundbarkeiten erzeugen, was die Welt am 9/11 mit den Terroranschlägen in den USA auf schreckliche Weise erfahren musste. Schon die mittelalterlichen Moraltheologen betonten: „Frieden ist das Werk der Gerechtigkeit“. Die Spielregeln aber, die derzeit den globalen Markt bestimmen, sind alles andere als gerecht und es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis Krieg und Terror das Ergebnis einer jahrzehntelangen globalen Ungerechtigkeit sein werden.

Durch Maßnahmen wie den Abbau von Zollbarrieren und der erleichterte Zugang zu Märkten und Kapital der Industrieländer (bspw. der Agrarmarkt der EU), die Regelung und Kontrolle transnationaler Konzerne (Verbot der Ausbeutung der Bevölkerung in den Entwicklungsländern durch Hungerlöhne etc.), die Stabilisierung der Rohstoffpreise, die Schuldentlastung sowie die Demokratisierung der internationalen Finanzinstitutionen (IWF, Weltbank, IFC, etc.) kann eine verstärkte Teilhabe der Entwicklungsländer am Nutzen der Weltwirtschaft erreicht werden. Egal für welchen dieser Wege man sich vorrangig entscheidet, bei allen ist die internationale Politikebene aufgefordert, tätig zu werden. Und das besser heute als morgen.

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