Und ihr wundert euch?

Umverteilung Die OECD bestätigt: In Deutschland steigt die soziale Ungleichheit und das ist schlecht für unsere Wirtschaft. Helfen könnte eine auf Ausgleich bedachte Sozialpolitik

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Leider kein neues Problem: Aktivisten auf der "Umfairteilen"-Demo im September 2012
Leider kein neues Problem: Aktivisten auf der "Umfairteilen"-Demo im September 2012

Foto: Carsten Koall/AFP/Getty Images

So, bitteschön, liebe Neoliberale, FDPler und all diejenigen, denen sich allein bei dem Begriff der „staatlichen Umverteilung“ schon die Nackenhaare sträuben, da habt ihrs. Schwarz auf weiß und mit farblichen Grafiken untermalt. Die soziale Ungleichheit in Deutschland wächst und sie ist auf lange Sicht nachträglich für das wirtschaftliche Wachstum der Bundesrepublik. Das hat eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) herausgefunden, die in den vergangenen Wochen veröffentlicht wurde. Natürlich, möchte man anmerken, gab es schon immer Stimmen, die diesen Zusammenhang postulierten. Aber die BWLer unter uns bedienen sich bekanntermaßen lieber statistischen Gesellschaftsmodellen, anstatt einfach mal den gesunden Menschenverstand einzuschalten. Gut, dass dieses Modell jetzt auch mal marktliberalen Freigeistern zu denken geben muss.

Ungleiche Einkommen

Zunächst einige Fakten, die uns die Studie geliefert hat. Im Durchschnitt verdienen die obersten zehn Prozent der deutschen Einkommensbezieher etwa siebenmal so viel wie die untersten zehn Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in Deutschland ist zwischen 1990 und 2010 inflationsbereinigt um etwa 26 Prozent gewachsen. Dadurch konnten die verfügbaren Haushalte ihr Einkommen im Schnitt um jährlich 0,9 Prozent steigern. In den unteren Einkommensklassen kamen davon allerdings nur 0,1 Prozent an. Die genannten besserbetuchten zehn Prozent steigerten ihr Einkommen um 1,6 Prozent. Die zunehmende Teilzeitbeschäftigung ist dabei ein wesentlicher Faktor, der zu dieser Ungleichheit beiträgt. Seit 1984 ist der Anteil der Teilzeitarbeiter in Deutschland von 11 auf 22 Prozent gestiegen, das heißt auf mehr als acht Millionen Menschen. Häufig handelt es sich hierbei um Frauen, die noch immer weniger Lohn erhalten als ihre männlichen Kollegen, sagt die OECD.

Abgesehen davon, dass sich so eine Entwicklung nicht beschönigen lässt, ungerecht ist und zudem die viel zitierte Arm-Reich-Schere weiter spreizt, hemmt die gestiegene Einkommensungleichheit laut Studie die wirtschaftliche Entwicklung. Wäre die Ungleichheit beispielsweise auf dem Niveau von Mitte der achtziger Jahre verharrt, hätte das Plus beim BIP um fast sechs Prozentpunkte höher ausfallen können. Warum? Ärmere Familien investieren im Vergleich nicht so viel in die (Aus-)Bildung ihrer Kinder. Weil eben das Geld dafür nicht da ist. Dadurch „vererben“ sich Schichtzugehörigkeiten und es formiert sich für diese Menschen ein Teufelskreis, aus dem sich nur schwerlich ausbrechen lässt. Die untere Schicht der Einkommensklassen vergrößert sich also. Da das Geld aber nicht einfach weg ist, werden die Reichen reicher und die Armen ärmer.

Das Geld in der Staatskasse fehlt

Das ist ziemlich blöd. Nicht nur für die betroffenen Menschen, die nicht vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren können. Sondern auch für den Finanzhaushalt des deutschen Staates. Denn weniger Einkommen heißt auch weniger zahlbare Steuern. Und ohne staatliches Eingreifen – beispielweise mit einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes - fehlt dann schnell mal das Geld. Für Projekte gegen Langzeitarbeitslosigkeit, für Uni-Fakultäten, für Schulen und Jugendzentren, für die Instandhaltung von Turnhallen und Hallenbädern und für menschenwürdige staatliche Grundsicherungen im Falle von Unfall, Rente, Pflege oder Arbeitslosigkeit. Logischerweise macht sich dann Unmut bei den betroffenen Bürgern breit. Sie fühlen sich im Stich gelassen von der Regierung, von ihren gewählten Volksvertretern. Keiner hilft, keiner greift unter die Arme im schönen Sozialstaat. Und schärft man die ganze Misere dann noch an, weil man sich auf Kosten derer, die eh schon nix haben, mit einer schwarzen Null für den kommenden Haushalt profilieren will, entwickeln sich gesellschaftliche Auswüchse, denen man besser nicht die Türe öffnet.

Die soziale Exklusion vieler Menschen (oder auch die Angst davor) füttert die Plattform fremdenfeindlicher Ideologien, indem sie ihnen eine scheinbare Daseinsberechtigung zuschreibt. Denn, zum Teufel nochmal, einer muss ja Schuld sein. Das sind dann wohl oder übel die derzeitigen Politiker, sie kriegen es halt nicht hin. Was andres muss her. Brauchen dann gleichzeitig auch noch andere Menschen, die nicht hier leben, die Unterstützung Deutschlands, dann haben rechte Parteien leichtes Spiel. So wie Fußball ohne Torwart. Wer gibt schon gerne ab, wenn er selbst nicht viel hat. Aus der Sicht des rational-choice-Ansatzes nicht einmal verwerflich, so eine Einstellung.

Und ihr wundert Euch wirklich darüber? Anstatt endlich was dafür zu tun, dass hier alle von dem wirtschaftlichen Aufschwung und dem Export-Weltmeistertum Deutschlands profitieren können. Denn, liebe Leute, hier liegt des Pudels Kern begraben. Staatliche Umverteilung heißt das Zauberwort, wenn der freie Markt zur Geburtsstätte von gesellschaftlichen Auswüchsen wie der AFD wird. Mehr und besser Ausbildung für die jungen Menschen und Integration heißen die Ansätze, wenn ihr Euch darüber beschwert, dass keine Fachkräfte mehr da sind und die Wirtschaft lahmt. Klar, das kostet alles viel Geld. Aber laut der Studie der OECD Investitionen, die sich in Zukunft für das BIP und für unsere soziale Demokratie mehr als rechen werden.

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