Es riecht nach Salz, Fisch, Diesel und Zigarettenrauch. Draußen sind es nur ein paar Grad an diesem frühen Morgen. Michael Petersen steht in schwerer wasserdichter Kleidung in grellem Orange am Steuer im Ruderhaus seines Kutters. Die verbliebenen grauen Haare sind kurz, die dunklen Augenbrauen verraten ihre frühere Farbe. Himmel und Ostsee kann man in dieser Dunkelheit nicht voneinander unterscheiden. Die wenigen Lichter von Eckernförde, einer Stadt in Schleswig-Holstein, werden in der Ferne immer kleiner. Nur das Navigationsgerät leuchtet Petersen schwach ins Gesicht. Er schaut ins Nichts und steuert ein nur ihm bekanntes Ziel an.
Der 52-Jährige schmeißt den Suchscheinwerfer auf dem Dach des Ruderhauses an. Vor ihm wird Gerda erhellt. Der gut acht Meter lange Fischkutter trug diesen Namen schon, als er ihn vor 14 Jahren gekauft hat. „Schiffsnamen ändert man nicht, das bringt Unglück“, sagt Petersen. Auf Deck stehen Tabs, dunkle Plastikwannen für den Fischtransport, in die jeweils eine halbe Tonne passt. Die Frage ist, wie lange Petersen überhaupt noch so große Behälter braucht. In den vergangenen Jahren haben die Fischereiminister der EU die Fangmengen stark begrenzt. 60 Prozent weniger Dorsch als im Vorjahr darf Petersen 2020 fangen. Und das, obwohl der Dorsch als einer von zwei sogenannten Brotfischen gilt, die die wirtschaftliche Grundlage der Ostseefischerei bilden. Petersen ist besorgt: „Klar sind es weniger Fische geworden. Aber die vergessen, dass die Kleinfischerei nur einen mini-minimalen Anteil an der Überfischung hat.“
Und jetzt auch noch Corona. Die massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens drohen Petersens Geschäft zu ruinieren. Eine Weile nach unserem Treffen sagt er am Telefon: „Ich werde den Fisch nicht los. Die Restaurants haben alle geschlossen und die normale Laufkundschaft ist sehr zusammengeschrumpft.“ Der Weg über Zwischenhändler werfe nicht genug ab. Finanziell lohne sich nur der direkte Verkauf am Hafen.
Der Lack an den Bordwänden ist verfärbt, hier und da blättert er ab. In einer Tonne liegen Netze bereit. Daneben liegen Flaggen, Kescher, Reusen und ein Eimer. Mehr braucht Petersen zum Fischen nicht.
Der Scheinwerfer gleitet über die Reling. Etliche Möwen versammeln sich im Lichtkegel. Zeternd warten sie auf Innereien. Erst mal muss Petersen aber den „Stöder“ finden. So heißt die Boje mit roter Flagge, die den Anfang seines Stellnetzes kennzeichnet. Als er sie schließlich erspäht, lässt er den Kutter seitlich an die träge schwankende Flagge herangleiten, verlässt das Steuer und zieht sie an Deck. Er löst das Netz, spannt es in eine Seilwinde an der Reling. Langsam zieht die es dann an Deck. Mit dicken Gummihandschuhen puhlt Petersen den ersten Fisch aus dem Netz. Er legt den Kopf des Plattfisches zwischen den verworrenen Kunststofffäden frei. Dann hebt er ihn vorsichtig über die Kiemen. Die Scholle drückt sich gegen seinen Griff, aber Petersen bewegt seine Hände in ruhiger Routine. Anschließend schmeißt er sie in die Bünn, ein großes rechteckiges Loch in der Mitte des Kutters. Das ist ein Becken unter Deck, in das durch Löcher im Bug frisches Seewasser einströmt. Dort können die Fische lebend transportiert werden. Kurz treibt die Scholle wie benommen rücklings in dem klaren Wasser. Dann sortiert sie sich und zeigt ihren braunen Rücken mit den rötlichen Punkten.
Büxe aus und los
Noch drei Schollen; dann plumpst der erste Dorsch an Deck, bestimmt zwei Kilo. Etwas zu viel Druck auf seinen Bauch, da kotzt er zwei unverdaute kleine Fische aus. „Wenn da keine Sprotten sind, ist da kein Dorsch – oder ganz mager“, erklärt Petersen.
Ausgiebig schimpft er auf die sogenannte Gammelfischerei. Das ist industrielle Fischerei, bei der kleine Beutefische wie Sprotten gefangen werden, um anschließend zu Fischmehl oder -öl verarbeitet zu werden. In den flachen nationalen Küstengewässern ist das ohnehin verboten, doch das Meer kennt keine Grenzen. Petersen befürchtet, dass die Sprotten in der Nahrungskette fehlen und sein geliebter Dorsch hungern muss. Die Expertenmeinungen dazu gehen auseinander. Während das Landwirtschaftsministerium in Schleswig-Holstein diese Sorge teilt, sehen das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sowie das Thünen-Institut für Ostseefischerei in der Gammelfischerei kein Problem.
Mit der aktuellen Fangquote darf Petersen sowieso nur noch 80 Kilogramm Dorsch im Monat fangen. Das ist weniger, als es einem ambitionierten Freizeitangler möglich ist. „Und die machen ganz schön was aus“, brummt Petersen. Tatsächlich könnten Freizeitfischer laut Thünen-Institut bis zur Hälfte der Gesamtfangmenge des Dorschs in der westlichen Ostsee entnehmen. Deshalb werden auch deren Fangmengen seit 2017 reguliert. „Noch nicht stark genug“, wenn es nach Petersen geht. Doch der Angeltourismus ist auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Küstenregion.
In Petersens Bünn schwimmen prächtige Fische; Scholle, Dorsch, Seelachs, sogar eine Seezunge und ein sehr seltener Seeteufel. Es gibt Tage, an denen läuft Petersen mit leeren Tabs in den Hafen ein. An anderen bringt eine Reihe, also ein Kilometer Netz, auch mal 300 Kilogramm Seelachs. Aber auch das hilft nichts, wenn ihm den Fisch danach niemand abkauft.
Also fährt Petersen seit Corona seltener raus: „Im März haben wir zehn Tage gefischt, mehr nicht. Normalerweise hätten wir 20 oder 25 Tage gemacht.“ Gehalt für seinen Decksmann, Versicherung, Diesel, Liegeplatz – all das muss er trotzdem bezahlen. Er holt den Stöder an Bord. Mit einem scharfen Messer in der Hand stellt er sich an die Reling und nimmt die Fische, die tot im Netz hängen, sofort aus. Das gleichmäßige Gezeter der Möwen schwillt zu einem ohrenbetäubenden Kreischen an, als Petersen die ersten Gedärme über Bord wirft. Das Blut tropft an der Reling herab. Möwen versuchen auf seinen Schultern zu landen, gierig nach der schnabelgerechten Leckerei. Er zuckt nicht, das hat er schon tausend Mal gemacht. So wie andere mit zehn Fingern tippen, schneidet er Fische auf. Am Ruderhaus haften zwei Aufkleber mit einem pummeligen Delfin und einem Vogel: Petersen macht freiwillig bei Schutzprogrammen für Schweinswale und Enten mit. Die Schweinswale hält er mit Warngeräten, die klackende Geräusche machen, von seinen Netzen fern. Und zur Entenschonzeit meidet er bestimmte Fanggebiete – selbst wenn da die fette Beute wartet.
Der letzte Fisch ist entweidet, fertig, Licht aus. Unter Petersen sind 22 Meter acht Grad kaltes Wasser. Er trägt keine Schwimmweste, würde eh nichts bringen, wenn das Ölzeug vollläuft. Ins Wasser gefallen ist er noch nie. Manchmal muss er aber in die Ostsee springen, wenn sich das Netz in Gerdas Schraube verfängt. Auch bei niedrigen Temperaturen: „Dann heißt es: Büxe aus, Messer zwischen die Zähne und los.“ Heute bleibt ihm das erspart, die See ist ruhig, der Himmel klar. Durch die Holzbrücke tuckert er in den Eckernförder Hafen. Alles schläft noch; doch das mache jetzt noch weniger einen Unterschied. Wegen Corona seien die Straßen im Moment immer leer.
Wenn man ihn in den frühen Morgenstunden allein auf seinem Kutter so sieht, kann man erahnen, warum Petersen nicht einfach hinschmeißt bei all den Sorgen und Hürden. Anmutig bewegt er sich zwischen totem Fisch, lauter Maschine und eisigem Wasser. Versunken in jedem Handgriff zwischen Fischschuppen und Möwengeschrei. Als er fünf war, ist er das erste Mal mit seinem Vater zum Fischen rausgefahren. Nichts bekommt ihn hier weg. Höchstens mal mit einem Krabbenkutter auf der extrem gefährlichen Beringsee mitfahren. Das wär was.
„Zieh dir ma ’ne Mütze aufn Kopp“, grummelt es vom Steg. Ein alter Mann, weiße Haare, weißer Bart, steht da im Morgengrauen. „Hafenmeister“ nennen sie ihn.
„Willst noch ein paar Schollen haben?“
„Nee. Da ist gar keiner unterwegs, ne?“
„Nee.“
Das Meer plätschert beständig.
„Ja denn, ne.“
„Jo.“
Petersen schnippt eine Kippe ins Hafenbecken und holt ein großes Schneidebrett raus. Das Filetiermesser gleitet über die Fischhaut. Es macht ein ruppiges Geräusch, die Bewegung ist vorsichtig, fast zärtlich. Filetiert bringt der Dorsch normalerweise fünfzehn statt sechs Euro pro Kilo. Aber Reichtum ist auch mit Filets in weiter Ferne.
Hauptberuflich ist er Baumaschinenschlosser. Als Nebenerwerbsfischer erfährt Petersen weniger Unterstützung durch die Politik. Beispielsweise bekommt er im Gegensatz zu seinen hauptberuflichen Kollegen kein Tagegeld, wenn er nicht rausfährt und somit den Fischbestand schützt. Doch in der Krise wendet sich das Blatt: „Durch meine Arbeit als Baumaschinenschlosser kann ich jetzt noch Geld in den Kutter schießen. Das wäre anders, wenn ich mit dem Kutter selbstständig wäre. Dann würde mir das wahrscheinlich das Genick brechen.“
Auf der anderen Seite des Hafens prangt der Schriftzug des Fischervereins Eckernförde am Eishaus. Zeuge besserer Zeiten, als die Kutter noch Reling an Reling den Hafen blockierten. Heute gibt es nur noch vier Haupterwerbsfischer in Eckernförde. Petersen schmeißt die Filets in Tüten, keschert die Fische aus der Bünn und packt sie in eine Reuse am Steg. „Einhältern“, damit sie weiterleben und frisch bleiben bis zum nächsten Verkaufstag. Er geht ins Ruderhaus und macht den Motor aus. Ruhe. Neben dem Steuer hängt ein kleiner Plüschengel. Ein Glücksbringer von seiner Tochter.
Wenn es so weitergehe, sei bald Schluss für ihn, sagt Petersen. „Hab auch gehört, dass ich Unterstützung kriegen könnte, aber wie so was funktioniert, da habe ich überhaupt keine Ahnung von. Papierkram ist ja sowieso nicht so meine Welt. Aber irgendwann muss ich mich daransetzen, ja.“
Sie zählen zu den systemrelevanten Betrieben
Fangquote Die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) reguliert seit 2013 die Fischerei in der Europäischen Union. Ihre Aufgabe besteht u. a. darin, Fangquoten für die verschiedenen Mitgliedstaaten und bestimmte Fischarten festzusetzen. Fischbestände gelten als Güter, deren Nutzung nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ausschließbar ist.
Die Gesamtfangmengen werden jährlich vom Rat der EU-Fischereiminister in Brüssel beschlossen. Die einzelnen Mitgliedstaaten erhalten davon jeweils Anteile. Grundlage ist ein Entwurf, den die EU-Kommission auf der Basis wissenschaftlicher Fangempfehlungen erarbeitet hat. Bis 2020 soll der Fischfang so beschränkt werden, dass die Fischbestände langfristig stabil bleiben. Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ist das in Deutschland erreicht. Gleichzeitig legt die GFP die Regeln für die Verwaltung der europäischen Fischereiflotten fest. In Deutschland sinkt die Zahl der Flotten und der Beschäftigten seit Jahrzehnten. Das Thünen-Institut für Ostseefischerei empfiehlt mit Blick auf den Schutz der Fischbestände auch eine „gleichmäßige Reduzierung der Fangkapazitäten in allen Fischereisegmenten“. Durch die Corona-Pandemie spitzt sich die Krise der kleinen Fischereibetriebe weiter zu. Sie zählen jedoch zu den „systemrelevanten Betrieben“.
Die Nachfrage ist laut Landwirtschaftsministerium Schleswig-Holstein eingebrochen: „Gründe dafür sind der starke Rückgang in der lokalen Direktvermarktung, also das Ausbleiben von Touristen, und die eingeschränkte Mobilität der einheimischen KundInnen, das Wegbrechen von Hotels, Gaststätten, Kantinen und bei Großversorgern.“ Fischer können Soforthilfen beantragen.
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