Wir haben viel zu retten: Wälder, Meere, Menschen. Die Vernutzung von Menschen als Material und von Erde als Ressource wird bereits in Adornos und Horkheimers Dialektik der Aufklärung von 1944 beklagt: „Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils“, schreiben die kritischen Theoretiker und machen darauf aufmerksam, dass der aufgeklärte Traum von einer Welt, die von Rationalität beherrscht wird, schnell in sein Gegenteil umschlagen kann: Denn diese Herrschaft des Subjekts über die Welt bedroht Mensch und Welt gleichermaßen.
Heute ließe sich Adornos und Horkheimers Warnung auch geopolitisch als Appell an eine ökologische Ethik verstehen. Denn das Anthropozän sucht uns heim. Die Erde zeigt die Spuren, die wir auf ihr hinterließen. Um da mit aufgeklärtem Denken auf der Höhe der Zeit zu bleiben, bedarf es nicht nur harter Wissenschaften, sondern auch der philosophischen Interpretation sozialer und technologischer Kontexte. Armen Avanessians Metaphysik zur Zeit und Daniel Falbs Geospekulationen. Metaphysik für die Erde im Anthropozän geben dazu Denkanstöße.
In Avanessians Buch sollen grundlegende Begriffe der Philosophie überprüft werden: Substanz und Akzidenz, Materie und Form. „Was bedeutet es für eine Gesellschaft“, fragt Avanessian, „wenn sich ihre metaphysischen oder naturwissenschaftlich verbürgten Begriffe und Konzepte verändern, und zwar nicht unmerklich über Generationen hinweg, sondern innerhalb weniger Jahre, so dass sich dies im Leben Einzelner bemerkbar macht?“ Er geht bei der Beantwortung dieser Frage nicht systematisch vor, sondern faltet Grundbegriffe der Philosophie aphoristisch aus.
Kausalitätsbestimmungen etwa werden bei angenommenen Effekten des Klimawandels fragwürdig. Eine strikte Unterscheidung von Ursache und Wirkung ist schwierig. Kommen bestimmte Todesarten tatsächlich durch Feinstaub und Dieselfahrzeuge zustande? Oder haben diese Sterblichen schlechte Gene? Schwer zu sagen. Auch der Substanzbegriff wird im 21. Jahrhundert fluid: Durch Nanotechnologie können wir Material so manipulieren, dass nicht nur seine äußerliche Form betroffen ist, sondern es substanziell verändert wird.
Rein ins Unheil!
Es ließe sich fragen, ob sich wirklich die philosophischen Bestimmungen wandeln oder sich nicht eher die Anwendungsfälle erweitert haben. Hier stolpert das Buch und schießt um schöner These willen steil.
Während Avanessian philosophische Skizzen liefert, finden wir in Falbs Geospekulationen eine ausgefallene Großtheorie, die zuweilen an Science-Fiction erinnert. Sie verbindet Geologie, Evolutionstheorie und Kultur. Grob gesagt fordert ihr Autor, nicht nur die 300.000 Jahre des archaischen Homo sapiens zu betrachten, sondern „die ganze 2,5-Millionen-jährige Geschichte der Hominisation als Referenzrahmen zu verwenden.“ Ein solcher Gesamtblick schwächt die Hybris des modernen Subjekts zumindest ab.
Im Zeichen des Anthropozäns geht es Falb um Global Governance, also um weltweit geltende Regeln und transnationale Mechanismen, um der Krise Herr zu werden. Auch Kants Ethik dient hier als Bezug. Allerdings überspringt man Falbs Kant-Exkurse lieber. Bestenfalls kann man sie mit Humor nehmen, schlimmstenfalls sind sie philosophisch ärgerlich.
Auch in der hochgeschraubten Sprache zeigt sich ein Problem – das Problem des Jargons: „‚Geologische Zeit‘ ist nichts als ein spezielles und winziges Ding: Kogs in den Kortizes von Lebenden, die dieses Wissen verkörpern, sowie Apparaturen und Lehrmaterialien, die sich ihm verdanken: das hypersterile hypersekundäre Filament des Extraterrestrischen.“ Die faszinierenden Momente des Buches liegen im Ungedeckten. Falb geht auf Entdeckerfahrt und weist auf den Krisenmodus: „Extreme Innovationsraten stellen das kulturelle Aussterben auf Dauer. Die kulturelle mass extinction wird zum regulären Vollzugsmodus kultureller Evolution im frühen Anthropozän.“ Das klingt nach Unheil.
Info
Metaphysik zur Zeit Armen Avanessian Merve 2018, 136 S., 12 €
Geospekulationen. Metaphysik für die Erde im Anthropozän Daniel Falb Merve 2019, 344 S., 22 €
Kommentare 3
>> Kausalitätsbestimmungen etwa werden bei angenommenen Effekten des Klimawandels fragwürdig. Eine strikte Unterscheidung von Ursache und Wirkung ist schwierig. Kommen bestimmte Todesarten tatsächlich durch Feinstaub und Dieselfahrzeuge zustande? Oder haben diese Sterblichen schlechte Gene? Schwer zu sagen<<
Kausalitätsbestimmungen werden fragwürdig? Ursache und Wirkung lassen sich nicht bestimmen?
Was ist denn das für ein Geschwurbel?! Natürlich gibt es Rück- und Wechselwirkungen, aber die Ursachen des Klimawandels auf dem heutigen Stand der Kenntnissse zu leugnen, dazu gehört schon eine ordentliche Portion Unverfrorenheit. Oder Dummheit, je nachdem. Alle, die heute noch am "weiter so" verdienen, sollten überlegen: Auch für sie wird es ungemütlich werden auf diesem Planeten, sollten die Klima-Forscher Recht haben. Die Chancen dafür sind hoch.
Und welch merkwürdige Frage nach den Genen!? Gute Gene - macht das Feinstaub und Dieselruß gesünder?
Wenn das Buch auf Relativierung hinaus läuft, kann man sich das schenken.
Bei den beiden vorgestellten Studien handelt es sich jeweils um die Frage der Analogie oder Disparität extremer Skalendifferenzen des Untersuchungsbereichs. Diese Frage ist ja im Prinzip längst beantwortet, aber eine gute Aufbereitung für Laien ist zweifelsohne verdienstvoll. Die Rezension müßte schon etwas genauer ausfallen, um den Wert der Arbeiten beurteilen zu können. Die erwähnten Überlegungen lassen jedenfalls eine Tiefe vermissen.
<Kausalitätsbestimmungen etwa werden bei angenommenen Effekten des Klimawandels fragwürdig. Eine strikte Unterscheidung von Ursache und Wirkung ist schwierig.>
Selbstverständlich wächst mit der (qualitativen) Größenordnung des Systems die Multiinterdependenz, dh man muß von einer analytischen zu einer Systembehandlung übergehen, von einer Monokausalität zu einer Komplexitätsbehandlung. Wenn nicht mehr gesagt wird, ist das ziemlich trivial. Oder auch:
<Auch der Substanzbegriff wird im 21. Jahrhundert fluid: Durch Nanotechnologie können wir Material so manipulieren, dass nicht nur seine äußerliche Form betroffen ist, sondern es substanziell verändert wird.>
Was soll das mehr heißen, als daß auf der Mikroebene Quanteneffekte nicht mit der Kontinuumsmathematik und -logik der Meso-/Makrophysik zu beschreiben sind. In der Tat ist „Substanz“ ein fragwürdiger Begriff.
Falbs „Geospekulationen“ wenden sich der zeitlichen Großperspektive zu und selbstverständlich stößt man dabei auf dasselbe Phänomen, daß die Analogisierbarkeit an ihre Grenzen kommt. „Die kulturelle mass extinction wird zum regulären Vollzugsmodus kultureller Evolution im frühen Anthropozän.“ - für mich klingt das weniger nach Unheil als wahlweise nach Trivialität oder contradiction in adjecto.
@w.endemann: Ein kurzer methodischer Hinweis: Das Problem der Verkürzung ist bei einer Buchkritik durch die im Journalismus meist vorgegebene Zeichenzahl bedingt. In diesem Sinne liefern kurze Rezensionen einen Überblick zum Buch und eine knappe Bewertung. Daß darin auf rund 3800 Zeichen für zwei Bücher keine Tiefenbohrung möglich ist, liegt in der Natur der Sache. Diese Art von Rezension will eine Anregung geben und verschafft eine knappe Sichtung, um auf lesenswerte Bücher aufmerksam zu machen, auch wenn der Rezensent möglicherweise nicht jede These und auch nicht den Ansatz eines Buches teilt.