Sie war noch ein Gerücht, die Wahl eines Kunstkurators zum Intendanten eines bedeutenden hauptstädtischen Theaters, da verkündete ein bekannter Kunstsammler, eine solche Wahl wäre „das Beste, was passieren könnte für Berlin“. Ob sie’s dann auch fürs Theater wäre, war nicht so wichtig. Nur im Hintergrund wurde die Frage gestellt, ob die Gründe für eine derartige Entscheidung, ganz unabhängig von der unbestrittenen Qualifikation des Kurators, vor allem in Motiven des Standortmarketings zu suchen waren.
Gemessen an der Medienaufmerksamkeit, offenbar gelenkt durch gezielte Indiskretionen, gemessen am Aufmerksamkeitswert der Namen, die zwei Jahre vor Beginn der Intendanz schon in Umlauf gebracht wurden, darf man sagen: mission completed. Die Personalie Chris Dercon macht den politischen Einfluss deutlich, den der Kunstkurator mittlerweile erlangt hat: keine Aufgabe zu klein; nichts, was ihm nicht zugetraut wird. Für eine durch Demografie und leere Kassen stark verunsicherte politische Klasse stellt der Kunstkurator eine neue Versicherung dar, dass man auf die Unterstützung meinungsbildender Leute und Medien ebenso zählen kann wie auf ein mit den richtigen Namen bestücktes Telefonbuch. Der Kunstkurator dämpft die Angst vor der Kunst, vor der „Wut eines Einzelnen, der sich ins Halbdunkle einer Höhle zurückgezogen hat“ (der scheidende Intendant im Gespräch). Er verkörpert die Hoffnung, dass es flutscht mit der Kreativwirtschaft. Er ist ein Versprechen auf Ordnung in einer zunehmend unverständlicheren Welt. Je verstörender zeitgenössische Kunst, desto dringlicher das Bedürfnis nach Erklärung und Orientierung durch Diskursmaschinen.
Der Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist liefert in seinem Buch Kuratieren! zwar nicht die Theorie dieser Verhältnisse, aber deren Veranschaulichung. Der Kurator passt sich als Existenzform prima ein in postindustrielle Arbeitsweisen: bestens vernetzt, immer auf dem Laufenden, jederzeit auf dem Sprung. Man mag es für eine Marotte Obrists halten, aber dass er an sich selbst experimentiert, wie er den Schlaf auf ein Mindestmaß reduzieren kann, prädestiniert ihn für eine Welt, in der die Nacht durch „Datenmengen“ abgeschafft wurde.
Nur eine gleichsam allgegenwärtige Lebensform kann den ständigen Zuwachs von Information noch verdauen. Zwar häufte schon Andy Warhol unglaubliche Mengen von Material in „Zeitkapseln“ an; doch wäre er niemals auf die Idee verfallen, diese auch zu verwerten. Dem zeitgenössischen Kurator werden Schlaf und Essen zur Zeitverschwendung und der Transit zum Zuhause. „Die Nachtzüge brachten mir bei, dann zu schlafen, wenn es möglich war.“ Die Küche zum Kochen zu benutzen, wäre allzu banal („denn ich speiste immer auswärts“), kann man sie doch als Ausstellungsraum nutzen.
Ein wenig unkonzentriert
Zwar präsentiert sich der Kurator regelmäßig als dissidente Verlaufsform, wirklich einflussreich aber ist er nur, wenn er Mainstream ist und bleibt. Das Verhältnis zur Macht des Kurators ist der stets blinde Fleck seines Tuns, denn sein Erfolg lässt sich nicht in erster Linie nach künstlerischen Maßstäben beurteilen, sondern am Einfluss, den er ausübt. Nur wer Macht hat, hat gewonnen; wer Zeit hat, hat verloren. Der Starkurator muss keine Künstler mehr durchsetzen; er hat lediglich für alternative „Verbindungen“ und die bestmögliche oder möglichst spektakuläre Präsentation der Namen zu sorgen. Obrist, der in Zürich, Paris, Wien, Hamburg, New York (Liste unvollständig) kuratiert hat, scheint an einem Punkt angekommen zu sein, wo fraglich ist, ob er überhaupt noch „kuratiert“. Die Person wurde längst at large, zur Marke. Wo sie auftaucht, entsteht Bedeutung und Mehrwert. Anders als Harald Szeemann ist Obrist gar nicht mehr eigentlich als „Autor“ einer Ausstellung oder eines Projekts identifizierbar; er ist deren Medium.
Das gilt auch für das vorliegende Buch, das ein wenig unkonzentriert wirkt, das chronologisch beginnt und dann zur Abfolge von Beschreibungen und Begegnungen gerät. Wer hier eine Analyse oder Theorie des Kuratierens von Gegenwartskunst erwartet, wird enttäuscht. Der Impuls des Buches ist eher in dem Ausrufezeichen im Titel versteckt: Kuratieren nicht als kritisch-historische Praxis mit gesellschaftlichen Anliegen, nein, sondern als unablässiges Agens; als müsse alles durchkuratiert werden, ohne Zeit zu verlieren. Der Mann hat ohnehin keine Zeit, Bücher zu schreiben, scheint es: Das Buch entstand „mit“ Asad Raza. Man kann es für Eitelkeit halten, dass Obrist ständig mitteilt, mit welchen wirklich wichtigen Leuten er gut bekannt ist („Am 1. Januar 2000 telefonierte ich mit Matthew Barney“, „Wie (Gerhard) Richter mir erzählte“ und so weiter). Das aber würde ihm nicht gerecht, denn all die Aufzählungen erinnern eher an den jungen Obrist, der schon als Schüler an die Türen großer Künstler klopft und Einlass begehrt. Das hat einfach nicht mehr aufgehört seitdem.
Obrist sieht überall nur Anschlüsse. Alles ist Affirmation, alles super. Kritisch zu sein gehört zum Diskursgeklimper, solange es sich nicht gegen Strukturen des Kunstmarkts richtet. Die mögliche Verstrickung in Zusammenhänge von Kunstmarketing und Kunstmarkt und die Wertschöpfungslogiken der Kunstwelt werden niemals zum Thema, allenfalls die Sorge, die Party könne zu Ende gehen: „eine Art spekulativer Blase“. Im Grunde fungieren die Kuratoren auf dem Kunstmarkt als Agenten zur Bestimmung dessen, was „hot“ ist. Umgekehrt ist der Kurator selbst Gegenstand fortwährender Bewertung in den Rankings der internationalen Kunstmagazine und Internetplattformen, von upcoming bis hin zu most influential, also most wanted. Dem einen oder anderen mag dieser Zustand und die eigene Rolle darin wie ein Berufsstand erscheinen.
Zu Hilfe!
Kuratieren wird zur scheinbar widerspruchslosen Versöhnung der Gegensätze. Auch der Zusammenhang zwischen aggressivem Standortmarketing und sozialen Verhältnissen an den Orten der grassierenden Kunstbiennalen, die sich die Starkuratoren gegenseitig abwerben zu hohen Preisen, gerät nicht in den Blick. „Biennalen sind eine Form von Stadtplanung.“ Im Dienste der Kreativwirtschaft wird hier ein neues urbanes Subjekt entworfen, das die sozialen Gegensätze der Städte nicht mehr als Problem erlebt: „Man sollte herumspazieren können, etwas sehen, hören oder erfahren, dann weiterziehen und etwas essen oder einen Kaffee trinken, im Park ein Nickerchen halten werden und dann wieder zurückkehren.“ Man begreift, warum der Kunstbetrieb sich derart gut mit dem Lifestyle der Großstadtboheme verträgt. „Das Kuratieren verändert sich mit dem Wandel der Kunst“, sagt Hans Ulrich Obrist. Nach Lektüre des Buchs allerdings hat man eher den Eindruck, dass sich die Kunst allmählich durch das Kuratieren wandelt, ja Ausdruck einer „kuratierten“ Welt ist. Möge uns die Kunst davor retten!
Info
Kuratieren! Hans Ulrich Obrist Asad Raza (Bearbeitung) , C.H. Beck 2015, 206 S., 19,95 €
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