Beine in Tesa

Fotografie Den Körper-Selfies von Francesca Woodman kann man nicht entkommen
Ausgabe 11/2020

Der Körper, der hier schreibt, ist müde. So lange schon angestarrt, dass er sich die Frage, ob er geliebt, gemocht, akzeptiert ist, kaum mehr stellt. Lange musste er sich stets ein bisschen mehr verstecken als ein männlicher. Musste sich einschnüren lassen, sich ausstellen. Verlor Flüssigkeiten, die Scham auslösten. Produzierte einen neuen Körper und verlor damit die Exklusivnutzung, erfuhr eine weitere Form der Bewertung von außen. Zwiespältig also diese Beziehung zum Körper, der lange halten soll, aber den seine Benutzerin einen großen Teil von diesem „lange“ abstoßen möchte. Davon müde, zieht er sich also immer mehr zusammen. Zerfällt langsam, soll möglichst wenig spürbar sein. Körper nerven, weil es so widersprüchliche Ansprüche an sie gibt und er selbst derweil immer nur auf Endlichkeit hinweist.

Frau, jung, nackt, hübsch

Angeschaut bewegt sich dieser Körper durch Regen zu C/O Berlin. Weil der Geist ja auch Bedürfnisse hat und das Museum für Fotografie gerade eine Künstlerin ausstellt, die ihrem Körper sehr nahe gerückt ist. In ihren Arbeiten sieht man ihn meist nackt, oft in leeren Räumen, auf Stühlen, vor Spiegeln. In ständiger Performance mit der Kulisse. Melancholisch ist ein Wort, das im Zusammenhang oft fällt. Aber man kann auch sehr viel Albernheit erkennen.

Francesca Woodman heißt die Künstlerin und bringt einiges aus ihrer Biografie mit, das man schnell wieder vergessen muss, weil es allzu sehr zur Projektion taugt: Frau sein, jung sein, nackt sein, hübsch sein. Künstler-Eltern, Designstudium und Interesse an Modefotografie und Surrealismus, Stipendiumsjahr in Italien. Und dann auch noch Selbstmord. Woodman wurde 1958 geboren und beendete ihr Leben 1981 in New York, mit 22 Jahren. Im selben Monat als sie ihren ersten Bildband veröffentlichte. Da sie bereits mit 13 anfing, zu fotografieren, gibt es trotz des kurzen Lebens ein recht umfassendes Werk, das erst ein paar Jahre nach ihrem Tod entdeckt wurde und heute zu den wichtigsten Fotoarbeiten der USA gezählt wird. In Deutschland hat man bisher noch nie so viel von ihr gesehen wie in dieser großen Ausstellung: Glasscheiben werden auf Bäuche gedrückt. Frauenkörper vor, neben und in Spiegeln, in verhuschter Bewegungsunschärfe, vor Schutt, vor Feinstrumpfhosen, neben abgetrennten Vogelflügeln, neben Melonen. Mit Tesa umwickeltes Beinfleisch. An Fliegenfänger geklebte Finger. In Wäscheklammern geklemmte Hautlappen. Frau mit Schwan, Frau mit Aal. Frau mit Muschel, Frau mit Lilie. All das meist in Schwarz und Weiß. Und in kleinen Formaten, sodass man ganz nah herantreten muss, sich an die Körper trauen. Meist ist es ihr eigener Körper, den Woodman im Studio oder der Natur inszeniert, obwohl es nie wie ein Selbstporträt/Selfie wirkt. Manchmal sind es auch FreundInnen, die sie präzise abgestimmt ins Verhältnis zu spärlicher Kulisse setzt. Den Körpern von Francesca Woodman entkommt man nicht, so wie dem eigenen. Der das Denken bestimmt, das Wirken, das Können. Der viel Bedeutung hat, aber bitte wenig bedeuten soll. Und diese Ausstellung zeigt so viel Körper, dass sie kräftig wirken. Sie erobern Räume, machen sich Kulissen zu eigen, bestimmen ihr Umfeld, ihren Betrachter.

In fast jeden Raum haben die Ausstellungsmacher große, verdunkelte Spiegel gehängt. Ein billiger Effekt, klar. Und trotzdem fängt man irgendwann an, seinen Körper darin zu fotografieren. Versucht wie die anderen zu verschwinden, indem man sich millionenfach reproduziert.

Die Spiegel erinnern daran, dass gerade überall sogenannte Selfie-Museen wie Supercandy House, Cali Dreams oder The Wow! Gallery eröffnen, in denen (vor allem) Frauen sich und ihre Freundinnen in professionell ausgeleuchteten Kulissen wie dem Bällebad, vor Waschmaschinen und bunten Mustern, in alten Autos, an alten Telefonhörern, aber immer im perfekten Licht fotografieren und versuchen, sich durch die Kulissen sichtbar zu machen.

Sie posten Bilder von sich, wie sie auf Gummi-Flamingos reiten, in pinken Flugzeugsesseln sitzen oder an Telefonhörern lecken. Sie inszenieren nicht sich, sondern lassen sich von der Kulisse inszenieren, die Performance ist eine Reproduktion bekannter Bilder. So wird der Körper vielleicht bedeutungsloser, gleichzeitig aber wird viel getan, um den Blick auf ihn zu richten und ihn zu erhalten. Die Spiegel in der Woodman-Ausstellung lassen die Kunst interessanterweise zur Kulisse werden, während Woodmann in ihrer Arbeit versucht, in der Kulisse zu verschwinden.

Schon im ersten Foto der Ausstellung ist die Künstlerin nur geisterhaft zu sehen, in Bewegungsunschärfe klettert sie durch etwas, das an einen Grabstein erinnert. Verwischt, verwackelt. Die von Woodman gezeigten Körper verschwinden in der abgerissenen Tapete. In Blumenkleidern. Im alten Kamin. Verschwinden hinter Spiegeln. In Badewannen. In Bildrändern. Verschwinden unter Birkenrinde. In Ecken. In Tüchern. In Küchenschränken.

In Woodmans Fotografien und Kurzfilmen ist die Weiblichkeit überpräsent. In kunsthistorischen Verweisen, in Brüsten, die sich ins Licht recken, dem Po, der sich nach oben streckt. Ständig tauchen Dreiecke auf. In der Zickzackanordnung von Fotoserien, in Ecken, in Spiegeln. Das Dreieck als die Form des Schamhaares. Es erinnert daran, dass das weibliche Geschlecht lange nur dargestellt wurde durch das, was es bedeckt. Als gäbe es kein weibliches Geschlecht. Als müsste es sich verstecken.

Dem eigenen Kopf kommt es so vor, als sei es die Überpräsenz und das Verschwindenlassen in dieser Kunst, das den Körper unbedeutend werden lässt. Ganz leise. Ganz bestimmt. Es ist eine friedliche Ausstellung, für müde Körper, die sich hier leicht fühlen können. So als gäbe es eine Möglichkeit, auch im weiblichen Körper zu überleben. Er da sein darf. Solange er kann.

Info

Francesca Woodman – On Being an Angel C/O Berlin, bis 5. September 2020

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