19. Gallery Weekend in Berlin: Wo zur Hölle sind wir jetzt?
Rundgang Beim 19. Gallery Weekend war Berlin als Kunststadt wieder wer. Die Kunst war politisch und die Post Internet Art ist zurück. Doch etwas trübte die Stimmung
Andrej Dúbravský bei Dittrich & Schlechtriem zwischen Beauty-Routine und Weltend-Angst
Foto: Viki Kollerova
Das wäre jetzt ein bisschen zu krass, sagt ein Mann in Rave-Weste, in Müllmann-hommagierendem Orange. Dieser Gegensatz in der Berliner Kurfürstenstraße zwischen Abfuck, Prostitution (jahaaa, es gibt auch Sexarbeiterinnen, die den Job gerne machen) und dieser Architektur, dieser Kunst jetzt. Hier wäre das nun etwas viel.
Wir stehen im Keller vom Sam-Chermayeff-Haus, in der Molitor Galerie. Hochpolierte Holzskulpturen, aus denen Sound kam von Dora Budor, vor uns. Schräg über uns die Galerie Heidi. Und jetzt wäre ihm der Gegensatz zu krass. Ja, sage ich. Und dann: Krass ist doch eigentlich nur, dass ich jetzt nur Ja sage, oder? Dieser kurze Moment des Spürens, des Anerkennens und dann des erschöpft Zulassens dieser kaputten Gegensätze. Und
8;tze. Und dann war das Gespräch vorbei, weil man ja überlegen musste, wo man essen geht oder zu dem Rave von der Galerie, bisschen Keta mit den Klima-Künstlern.Politisch ist die Kunst schon wieder auf dem 19. Gallery Weekend in Berlin, das am vergangenen Wochenende stattfand. Ein Zusammenschluss von 55 Galerien, für das sie ihr stärkstes Programm zeigen. Und genau dieses Ja, diese Zustimmung zu den Unzumutbarkeiten dieser Missstände sind es, die es zunehmend unzumutbar machen, politische Kunst in so einem Kontext zu sehen.Auch schöne MalereienIn der Galerie Neu geht es Yngve Holen um 5G, in toll beflockten Antennenskulpturen wird die Dualität von Versprechen und Bedrohung der Technologie sichtbar. In der Galerie Levy bearbeitet Anne Duk Hee Jordan den Zustand der Weltmeere, in der Galerie Crone stellen Künstlerinnen aus dem Iran aus und erinnern ans Totprügeln.In der Galerie Kraupa-Tuskany Zeidler zeigt das Kollektiv Slavs and Tatars die politische Dimension der Melone auf. Bei Barbara Thumm malt Kaloki Nyamai zu Kriegen, Krisen und Naturkatastrophen. Hiwa K zeigt bei KOW eine Videoarbeit zu den Folterjahren unter Saddam Hussein. Timur Si-Qin bei Société die Beziehung zur Natur, zur Welt, zum Leben. Und für die Hito-Steyerl-Show bei Esther Schipper stehen in zwei Schlangen Hunderte Menschen an, um sich mit Natur, Mensch, Technik zu beschäftigen. Vielleicht.Das Gallery Weekend ist das schönste Wochenende des Jahres. Da sind wir wieder wer. Während Berlin politisch weiter den Bach runtergeht. Aber da die meisten Mitglieder der internationalen Kunstszene hier eh nicht wählen dürfen, können die daran auch nichts ändern. Die Stimmung ist prima. Entnimmt man den medialen Vorberichten oder den Interviews mit der, für den Kunstbetrieb so unglaublich sympathischen Leitung des Gallery Weekends, Maike Cruse. Fragt man Galeristen, sind die auch zufrieden. Und man sieht es ja. Selbst im M29er-Bus sind reiche Menschen. Alle gut gelaunt. Das mit den Blättern an den Bäumen macht ja unheimlich viel aus. Deswegen jetzt mal keine schlechte Laune mehr hier, wegen der Gegensätze.Es sind viele schöne Malereien zu sehen, die man kaufen wollen würde, wenn man könnte. Smartphone-Ästhetik-Malerei von Valentina Liernur bei Max Hetzler und in der Galerie Reiter „Neuen deutsche Romantik“ von Clemens Tremmel, Mondscheinmeere in Öl auf Aluminium. Oder die hübschen Malereien von Andrej Dúbravský bei Dittrich & Schlechtriem zwischen Beauty-Routine und Weltend-Angst. Und die schlaue Kritikerin Laura Helena Wurth schickt uns ins neue Aktionshaus am Grunewald, das am Wochenende das erste Mal schöne Malerei versteigerte.Berlin ist bei den Trends immer ein bisschen hinterherAlicja Kwade macht schöne Keramik und Zweigrunden in Oberschöneweide. HUO kommt mit Klaus Biesenbach – sehr viele schöne Regenschirme in der Hand – bei Hua International vorbei, einer neuen Galerie-Depandance an der Potsdamer Straße. In irgendeiner Insta-Story sieht man irgendeine Performance mit Pole Dance und bei Julia Stoschek wird Hardstyle getanzt. Irgendwie süß, dass Berlin bei den Trends auch immer etwas hinterher ist.Aber überall ist es voll. Man fährt noch zu Johann (König, der Galerist, dem bereits das Ende seines Kunsthandels nachgesagt wurde). Wegen der Videoarbeit von Monira Al Qadiri. Die beste Ausstellung läuft gerade mit Martin Wong im KW Institute for Contemporary Art in Mitte, die beste Sammlungsschau wird in Lichtenberg in der Fahrbereitschaft von der Haubrok Foundation gezeigt (Bruce Nauman, Marcel Duchamp, Félix González-Torres, Rosemarie Trockel und so weiter). KW-Direktor Krist Gruijthuijsen empfiehlt sich auch hier mit seiner Kuration.Eine andere Beobachtung: Recht viel Design auf dem Gallery Weekend. Im Eternithaus zeigt Tina Röder Formafantasma, Thorben Gröbel oder Matylda Krzykowski. Designer Konstantin Grcic hat die nervig hippen Wilhelm Hallen draußen in Reinickendorf kuratiert. Dort hat er die deutsche Malerin und Bildhauerin Charlotte Posenenske „inszeniert“. Minimalistische Skulpturen aus Vierkantrohren der in den 80ern verstorbenen Künstlerin etwa, die so zum Beispiel auch zwischen den coolen Kids Vitali Gelwich, Emma Adler oder Denis Olgac der von AnexPTG kuratierten Ausstellung im Art Space Hermetika zu Neukölln stehen könnten.Die Frage des Gallery Weekends: Wo zur Hölle sind wir jetzt?Der Kunstkritiker Timo Feldhaus fasst im Laufe des Wochenendes sein Hauptthema zusammen: Es sei doch extrem aufregend, wie die Kunstbewegung Post-Internet-Art, in den Zehnerjahren in Berlin erfunden, „und die dann mit der spektakulären Biennale von DIS hier begraben wurde“, jetzt plötzlich eine „geisterhafte Wiederauferstehung“ feiere. Er nennt Yngve Holen, Britta Thie, Timur Si-Qin und Dora Budor als Beispiele.Sie alle gehörten zum „Nomadenstamm aus längst vergessenen Zukünften, die auf ihren iPhones wischten und in einem elegischen Singsang über Tumblr-Bildblogs murmelten. Witch-House-Hipsterism, runtergepitchter Rap und Jutebeutel-Moves wurden unter ihren Händen zur zeitgenössischsten Ästhetik.“ Sie seien plötzlich wieder da. Und würden geadelt von den Ausstellungen der Grandes Dames der Bewegung: Hito Steyerl und Cao Fei. Letztere untersucht bei Sprüth Magers, was das Metaverse mit uns macht. Vielleicht die Konsensausstellung des Wochenendes. Es würde uns vernichten, habe die Künstlerin Feldhaus erzählt, sagt er mir, bevor er joggend verschwindet. Damals seien wir optimistischer gewesen, was die Verbindung von Technik und Natur anginge, sagte er auch noch. Aber ich glaube das nicht. Ich glaube nur, dass die Isolation der Pandemie deutlich gemacht hat, dass die digitale Nachbildung uns mit Leere füllt.„So, where the hell are we now?“, fragt Jan Berger in seinem Text zur Ausstellung 1000 Jahre sind ein Tag im BPA// Raum (unter anderem mit einer Zuckerwatten-Installation von Johannes Büttner), die nicht zum Gallery Weekend gehört. Wie so viele andere Off-spaces, die an diesem Wochenende zeigen und für Vielseitigkeit sorgen. Bergers Antwort in etwa: Ohne dich gibt es keine Welt. Was wieder zu Cao Fei passt.Na ja. Bei Kraupa-Tuskany Zeidler standen die Limousinen für die Leute, für die das hier alles veranstaltet wird. Der Künstler Christian Hoosen hat ein Video geschickt, in dem Karen Boros sagt, ohne die Sammler würde es keine Künstler geben. Und das ist ein wunderbarer Quatschsatz, in dem auch alles steckt, worüber der Müllmann so nachgedacht hat.