Möbelmesse statt Biennale: Egal, wohin man fährt, die Kunst ist immer schon dort

Kolumne Venedig, Basel, Stockholm, Berlin: Wo gerade keine Biennale ist, kochen Künstler oder werden mit Preisen bedacht. Und selbst auf der Möbelmesse in Mailand: Überall Kunst
Ausgabe 24/2022

Wenn Sie mich fragen, war dieser Übergang von der Zeit, wo wirklich nichts los war, in der man im stillen Kämmerlein sitzend vergessen hatte, dass FOMO (die Angst, etwas zu verpassen) mal „a thing“ war, und lernte, sich in seinem kleinen dummen Köpfchen vollkommen um sich selbst zu drehen, hin zu jener, in der es wieder 1.000 Veranstaltungen und Freidrinks an einem Tag gibt, ja jetzt doch eher ruppig und ein bisschen zügig.

Irgendwie scheint alles wieder gleichzeitig zu passieren: Venedig Biennale läuft noch, leider überhaupt noch nicht hingeschafft zu dieser Feier der weiblichen Kunst, weil viel zu teuer mit allem Drum und Dran. Die Berlin Biennale startete vergangenes Wochenende an fünf Ausstellungsorten mit Still Present!. Alle jubeln. Aber weil Freunde sagten, mit Kindern sei der Besuch eher ungeeignet, ob der Krassheit der dargestellten Themen von Krieg, Folter, Sklaverei, eben auch noch nicht geschafft.

In München, im Kunstverein, eröffnete die wunderbare Direktorin Maurin Dietrich gerade eine Ausstellung des US-Künstlers Tony Cokes, der sich in seinem Werk Some Munich Moments 1937 – 1972 mit Stadt- und Kulturpolitik nach der Nazi-Olympiade und vor der als Friedens-Olympiade gedachten und Attentats-Olympiade erinnerten beschäftigt. Will man auch noch sehen.

Und ebenso läuft gerade die Art Basel – zu der doch die ganze Welt fliegt – und daneben das Programm der Swiss Art Awards. Aber in die Schweiz hat mich leider niemand eingeladen. Muss man da eingeladen sein? Weiß ich gar nicht. An dieser Stelle auf jeden Fall herzlichen Glückwunsch an die tolle Künstlerin Sandra Knecht, die sich kochend, schlachtend, Schnaps brennend (und provozierend) mit dem Begriff der Heimat auseinandersetzt und auch ausgezeichnet wird.

Na ja, und dann fängt ja in dieser Woche auch noch die Documenta 15 an, wobei die ritualisierten und zur Documenta dazugehörenden Debatten ja längst begonnen haben. Und damit die ein wenig mehr die Kunst in Bezug nehmend geführt werden können, muss man da ja auch hin. Aber während die Presse-Preview in Kassel startet, lädt der Künstler Carsten Höller in sein neuen Restaurant Brutalisten in Stockholm, in dem nach einem Manifest gekocht wird: Jedem Gericht darf neben einer Zutat nur Wasser und Salz zugefügt werden. Das will man ja unbedingt probieren! Verstehen Sie mein Problem?

Ich habe es folgendermaßen gelöst: Ich habe die Kunst Kunst sein lassen und bin zur Designmesse gefahren. Nach Mailand. Salone del Mobile. In Italien ist es ja sowieso immer am schönsten, schöner aber noch, wenn Designmesse ist und die ganzen jungen hübschen Designer in ihren weißen T-Shirts unterwegs sind. Ein paar Stühle hier, ein paar Sofas da, so weit abzusehen. Aber jetzt halten Sie sich fest. Auf der Designmesse – beziehungsweise auf den Nebenschauplätzen vom Fuorisalone – war überall Kunst!

Legte man sich auf die Sofalandschaften – jetzt auch als Doppel-Récamiere – des Möbelfabrikanten Walter Knoll, schwebte über einem, angenehm kontextlos, eine große Fischnetz-Installation der US-Künstlerin Janet Echelman.

Das Gründerpaar der Firma pulpo aus Weil am Rhein hat neben seine Kollektion einige der sehr schwarzen Grafit-Bilder von Julia Emslander („Schülerin von Gregor Hildebrandt!“, hieß es immer wieder) gehängt. Und Automobilhersteller Porsche ließ seine Autos in Pflanzen-Installationen der Berliner Blumenkünstlerin/Floristin Ruby Barber inszenieren. Was will uns das sagen? Design braucht Kunst, Kunst aber kein Design? Oder wird hier vielleicht einfach nur die Gleichzeitigkeit von allem ausgehalten?

Info

Eine Rezension der 12. Berlin Biennale finden Sie hier.

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