Museumsbesuche in Zeiten von Suppe und Klebstoff: Warum jetzt alles anders ist

Kunsttagebuch Suppe, Bohnen und Kartoffelbrei: Warum „aus gegebenem Anlass“ alles anders ist, wenn man dieser Tage ein Museum besucht, weiß die Freitag-Autorin Laura Ewert
Ausgabe 46/2022
Aufregend: So spannend wie in Zeiten von Protesten der „letzten Generation“ war ein Museumsbesuch wohl noch nie
Aufregend: So spannend wie in Zeiten von Protesten der „letzten Generation“ war ein Museumsbesuch wohl noch nie

Foto: Imago/Jürgen Ritter

Museen sind unsere Erinnerung. Sie sind Orte der Absicherung. Alles ist gut, flüstern sie, es gibt dich Mensch schon so lange, du bist kein Versehen. Haben sie zumindest geflüstert, bis der Kartoffelbrei und die Tomatensuppe ins Museum geschmuggelt wurden.

Jetzt lauert die Gefahr der Erinnerung an das endgültig Vergängliche auch im Museum. Dieser junge Mensch da in 90er-Jahre-Revival-Klamotte zum Beispiel, der könnte ja so verzweifelt sein, dass er gleich mit Essen auf ein Hunderte Jahre altes Kunstwerk wirft. Und uns daran erinnert, dass all die Vergewisserung, die wir uns hier am Sonntag so gerne holen, den Kindern die Mumien zeigen, den Pergamon-Altar bestaunen, oh Chipperfield, uns nur mahnt, dass bald Schluss ist mit den Menschenkindern.

„Aus gegebenem Anlass sind Mäntel, Outdoorjacken und Taschen an der Garderobe abzugeben“, steht nämlich nun an den Eingängen der Staatlichen Museen zu Berlin. Und das ist natürlich eine richtig gute Formulierung. Gegebener Anlass. Welcher Anlass ist denn hier jetzt überhaupt gegeben und von wem?

Die Proteste der sogenannten Letzten Generation sind die beste Marketingkampagne, die Museen seit Langem erlebt haben. Nicht nur erfahren Exponate weltweit eine Relevanz, die in großen Teilen der Gesellschaft gar nicht mehr wahrgenommen werden, sie treiben auch die bürgerliche Mitte wieder in die Häuser.

Denn allein wegen dieses Anlasses lohnt es sich ja schon, ins Museum zu gehen. Vielleicht dabei zu sein, bei so einem Anlass. Sich ein Bild zu machen vom stillen Kleben. Und wenn sich niemand anklebt, dann gibt es ja auch noch Ausstellungen.

Im Neuen Museum zu Berlin etwa, wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewohnt freundlich berlinern – auch aussterbend. Mal wieder die Nofretete angucken, beziehungsweise, viel berührender ist es aus gegebenem Anlass ja, sich die Menschen anzuschauen, wie sie die Nofretete anschauen. Ihre angebliche Perfektion. Diese gefühlte Kleinheit vor der Zeit.

Im Neuen Museum gibt es aber auch eine neue Sonderausstellung. Abenteuer am Nil. Preußen und die Ägyptologie 1842 – 45 heißt sie, ganz unten in dem Superbau, läuft bis März nächsten Jahres. Und in der werden Objekte gezeigt, die in den Jahren nach 1842 von einer Königlich Preußischen Expedition entlang des Nils, tja, wie heißt es in der Ausstellungsbeschreibung „mitgebracht“ wurden. König Friedrich Wilhelm IV. beauftragte seine Leute, die Gegenstände aus dem Altertum zu erforschen. 1850 wurde das alles der Öffentlichkeit gezeigt, im Neuen Museum. Was ja vor allem etwas Aufschluss brachte, weil der Franzose Jean-François Champollion zwei Jahrzehnte zuvor herausgefunden hatte, wie man die Hieroglyphen entziffern kann.

Das wiederum erinnert an die Wichtigkeit von Sprache und Verständigung. Und warum man den „gegebenen Anlass“ vielleicht irgendwie besser ausformulieren sollte. Zum Beispiel so: „Wegen nachvollziehbarer Proteste von jungen Leuten aufgrund von Untätigkeit seitens der globalen Politik bezüglich des Abwendens der Klimakrise müssen Sie die Taschen abgeben, um es zu erschweren, Essen oder Kleber hereinzuschmuggeln.“

Nicht nur aus gegebenem Anlass ist es übrigens zu empfehlen, zu Weihnachten oder so eine Jahreskarte für ein Museum zu verschenken. In Berlin bekommt man für 25 Euro ein Jahr lang Eintritt in alle Staatlichen Museen, zumindest von Dienstag bis Freitag 16 bis 18 Uhr, am Wochenende und an Feiertagen von 11 bis 13 Uhr. Für 100 Euro kommt man ein Jahr überall rein. Wann immer man möchte, nur ohne Mantel. Und das ist doch wirklich wenig Geld, um sich Gedanken über den Wert der Menschheit machen zu können.

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