Was ist das nochmal, Heimat?

Kunstkolumne Die Künstlerin Sandra Knecht arbeitet mit Skulpturen, Büchern und Kräuterbrand. Unsere Kolumnistin besuchte sie im Wedding, wo sie im Rahmen des Schweizer Kunstpreises ein Atelier bewohnt – und blickt jetzt anders auf Berlin
Ausgabe 12/2023
Maske mit Haaren: Dschinn von Sandra Knecht aus dem Appenzell
Maske mit Haaren: Dschinn von Sandra Knecht aus dem Appenzell

Foto: Tina Sturzenegger

Die Künstlerin Sandra Knecht ist in Berlin. Bis zum Sommer. Sie hat den Schweizer Kunstpreis gewonnen und der kommt mit einem Aufenthalt in einem Atelier im Wedding, das auch eine Wohnung sein kann, weil ein Bett drin steht und eine Küche. Eine Klingel hat es nicht. Als sie in Berlin ankam, hat man ihr gesagt, dass die Schweizer das mit dem Mülltrennen eh nicht hinbekommen und sie es deswegen auch gleich sein lassen könne. Das klingt sehr deutsch. Oder vielleicht auch sehr berlinisch. Und als ich sie besuche, hat sie mir eine Hühnersuppe gekocht und Artischocken gebraten und den mitgebrachten Wein schnell weggestellt, um den zu öffnen, den sie gekauft hat. Ich mag, wie streng sie ist, wenn es um Nahrung geht. Etwas, das man aus Natur machen kann.

Ich habe Sandra Knecht 2017 in Venedig kennengelernt, wo sie im Schweizer Palazzo Trevisan degli Ulivi mit Trucker-Cap und Arbeiterjeans zur Biennale kochte. Wir haben an einem Kanal gesessen, an dessen anderem Ufer Boote gebaut werden. Wir haben Cicchetti gegessen und über gute Serien gesprochen und schlechte Köche. Also eigentlich über Koch-Trends. Sie hatte sehr viele Einmachgläser (und einen Hund) aus der Schweiz nach Venedig gefahren, darin waren Kräuter, Gewürze, Obst (in den Gläsern, nicht im Hund). Und am Abend reichte sie der feinen Gesellschaft das Fleisch vom Bein einer ihrer Ziegen, mit denen sie oft spazieren geht, und dieses Bein war nach dem Tod der Ziege in Salz gereift.

Sandra Knecht ist immer auf Durchreise

Sandra arbeitet mit Skulpturen, Büchern, auch Kräuterbrand. Sie arbeitet zum Thema Heimat. Einem Gefühl, einem Konstrukt, das Probleme schafft und manchmal Sicherheit. Aber immer so viel Bedrohung mit sich bringt. Bei einem anderen Essen im Kunsthaus Zürich hat sie Ananas in Glut versenkt. Hühner in Ton. Später hat sie ein Buch geschrieben, es heißt Babel und handelt davon, wie sie in der Nähe von Basel versucht, ein Stück Land zu kaufen, auf dem Reben stehen, die sie nicht spritzen will, und das ist alles nicht so einfach, wegen der Pilze, wegen des bäuerlichen Bodenrechts und der „Zonenkonformität“. Aber es geht in Babel auch um Herkunft und was das alles bedeutet und wohin man gehen könnte. Das Buch kann man bestellen. Es riecht auch sehr gut.

Jedenfalls ist Sandra Knecht in Berlin, bevor ihre Arbeiten in den nächsten Jahren in einigen Ausstellungen (international!) zu sehen sein werden. Und so eine Heimat kann man selbst ja hervorragend neu kennenlernen, wenn jemand von außen kommt. Also hätte ich mich fast wieder in die Volksbühne getraut, weil Sandra so begeistert ist von der Choreografin Florentina Holzinger. Aber nur fast. War im Wedding, wo ich mir eingebildet habe, dass ich den Schnee von den Bergen her rieche. Und war in einem Hinterhof in Mitte, in dem Sepia-Nudeln auf gefaltete Keramik von Gabriele Künne gefallen sind. Wobei sie leider kalt wurden. Aber ich habe Sandra sagen hören, dass Berlin wirklich in Ordnung sei, wenn man nichts von dieser Stadt wolle.

Und das ist im Kopf geblieben. Was heißt das wohl, nichts von einer Stadt wollen? Ich probiere das jetzt seit einer Woche, komme aber nicht weiter. Weil ich glaube, man will was, solange man nicht auf der Durchreise ist. Sandra Knecht ist auf der Durchreise. Und ich vermute, wenn sie von dieser Stadt etwas will, ist es Ruhe. Was natürlich merkwürdig klingt, weil es eine Stadt ist und kein Schweizer Bergdorf. Als würde man hier Schnee riechen. Aber die Ruhe vor dem anderen Leben mit den Ziegen und den Schafen und den Hühnern und dem Bodenrecht, die kann man hier doch sehr wohl finden. Und ich denke, Heimat ist vielleicht etwas, von dem man was will.

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