Wo Kanye nicht war

Kunstkauf Die „Direkte Auktion“ gibt unglamourösen Werken einen großen Rahmen und öffnet so den Markt
Ausgabe 36/2021

Nachdem der Musiker Kanye West schätzungsweise zwölf Millionen Dollar eingenommen hat, indem er ein paar Wochen lang in ein Stadion einzog und dort verzweifelten Fans sein neues Album vorspielte, dessen Release er immer wieder verschoben hatte – what a jerk! –, fliegt er nach Berlin, um Kunst zu kaufen. Fotos zeigen den rappenden Trump-Fan mit Ganzgesichtsmaske, die er dieser Tage trägt, und einem Hoodie des KW Institute – der ausverkauft ist. Eine nicht ganz blöde Marketing-Aktion des Ausstellungsortes, weil Geld eben Geld anzieht. Wenn einer der reichsten Musiker der Welt in den Kunst-Werken (KW) kauft, heißt das, hier kann man anlegen, da ist mein Geld in guter Gesellschaft. Interessiert habe er sich für die Arbeiten von Michael Stevenson, so wird eine KW-Kuratorin zitiert. Notieren Sie sich also diesen Namen.

Arme Kreative? Unsexy!

Etwas absolut Gegenteiliges kann man aber in diesen Wochen in Berlin ebenfalls erleben, und zwar bei der „Direkten Auktion“ (DA). Dort wird nämlich versucht, mit dem Nichtvorhandensein von Kohle Kunst zu verkaufen. Das Vorhaben: Werke direkt von KünstlerInnen versteigern, sodass die Erlöse zum größten Teil an sie und nicht an Händler gehen. Denn die Kreativen leiden unter coronabedingten Verdienstausfällen. Und das Team der Direkten Auktion um Holm Friebe versucht so bereits im zweiten Jahr das Kultur-Prekariat zu unterstützen, indem es Kunst-SammlerInnen, aber vor allem solche, die es werden könnten, anspricht.

Doch nicht alle Kunstredakteure wollen über das Vorhaben berichten, nicht alle KünstlerInnen mitmachen. Weil: Wenig ist unsexyer als arme Kreative. Lieber möchte man, dass sie bei Social-Media-aktiven Galeristen hängen, lichtdurchflutete Ateliers in Oberschöneweide beackern und wenigstens einmal am Tisch von Mathias Döpfner im Grill Royal saßen. Sind sie sonst erfolgreich? Versprechen sie genügend Rendite?

Kanye West kommt also vermutlich eher nicht zur Direkten Auktion. Aber das ist auch gar nicht so schlimm. Schafft das Team doch etwas viel Besseres: der unglamourösen Kunst – also die ohne aufgeblasene Erfolgsgeschichte – einen großen Rahmen zu geben. Ein bisschen Eventisierung durch viele kleine dezentrale Openings hier, Facebookposting-Overkill da. Kunstsammler Ivo Wessel hat eine Website programmiert, die vielseitiger bestückt ist als jeder Concept Store. Werke können kommentiert, Vorgebote platziert werden. Alles in allem wird Kunst für eine größere Zielgruppe sichtbarer gemacht.

Die Direkte Auktion zeigt an verschiedenen Orten der Stadt 31 Slots. Galerien sind darunter, alte Post-Büros. Das Ganze ist sympathisch chaotisch, aber irgendwie funktionstüchtig organisiert. Über 30 KuratorInnen(-Teams) haben über 700 Werke ausgesucht. Allein die Menge wirkt dem künstlichen Aufblasen Einzelner entgegen. Große Namen sind dabei. Hanne Darboven, Alicja Kwade. Aber auch Unbekannte. Bisschen Fun, bisschen Tinnef. Alt und neu. Für viel und für weniger Geld. Vieles deutlich unter Marktwert, sagt der freie Auktionator Fares Al-Hassan immer wieder bei den Versteigerungen, die jeweils samstags in Kreuzberg stattfinden und die man auch im Internet live verfolgen kann. Und es ist erstaunlich unlangweilig, anderen beim Kunstkaufen zuzusehen und zuzuhören.

Und – jetzt kommen wir hier zum Fazit – die Direkte Auktion ist deswegen so gut, weil sie unterstreicht, wie wichtig unglamouröse Kunst ist. Kunst, die nicht von Kanye West gekauft wird. Die kein Anlageobjekt ist. Denn nur so kann die Öffnung des Kunstmarktes gewährleistet werden. Indem man den elitären Zirkel des Auktionspublikums aufbricht, Kunstkaufen niedrigschwelliger macht, damit sich Menschen trauen, sogenannte Positionen zu erwerben. Überhaupt mit dem Gedanken spielen, Kunst in ihr Leben zu bringen. Begehrlichkeiten schaffen, die vorher nicht da waren, um mehr KünstlerInnen einen Verdienst zu ermöglichen. Denn die Kunst und die Beurteilung derselben den Kanye Wests dieser Welt zu überlassen, das wäre doch wirklich sehr blöd.

Die Direkte Auktion läuft bis 25. September 2021. Alle Infos zu den Werken, Orten und Terminen unter direkteauktion.com

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