Der Arschlochfilter

Beziehung Unsere Autorin sitzt im Rollstuhl. Hier erzählt sie über ihr Verhältnis zu Männern – und warum sie manchmal vor Glück heult
Ausgabe 15/2015

Es gibt Leute, die denken, dass es mit einer Behinderung automatisch schwieriger ist, einen festen Partner zu finden. Sie haben recht. Es ist schwierig, es ist hart, mitunter steht man kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Aber das liegt nicht allein an der Behinderung. Es liegt auch an Berlin, wo ich seit sieben Jahren lebe. Jeder strebt hier nach Selbstverwirklichung. Im Job, im Privatleben, im Bett. Man bindet sich nicht, man wartet nur, bis etwas Besseres kommt.

Das Wertschätzen des Hier und Jetzt geht so verloren. Dabei zeugt die Fähigkeit, sich auf etwas besinnen zu können, von Selbstbewusstsein. Man weiß, was man hat, was man von sich selbst und dem Leben erwartet. Und dann kann man aufhören, auf etwas Besseres zu warten. Das wirkt sich auch auf die Entscheidung aus, eine Partnerschaft einzugehen. Besonders dann, wenn er oder sie eine Behinderung hat. Man ist dann in der Lage, mehr zu sehen als nur die Behinderung. Ich strebe nicht mehr danach, den perfekten Partner zu finden. Und ich habe gelernt, keine utopischen Erwartungen an Menschen im Allgemeinen und an einen Partner im Besonderen zu stellen. Es ist mir auch zu anstrengend. Ich habe aufgehört, mich von Männern finden zu lassen, die nicht wissen, was sie wollen, und wegen meiner Behinderung nicht mehr in mir sehen als ein exotisches Abenteuer.

Sichtbare Schwäche

Mir ist bewusst, dass mich viele Männer aufgrund meiner paradoxen Erscheinung als faszinierend wahrnehmen. Ich bin sehr selbstbewusst, ich gehe sicher mit meinem Körper um, ich bin laut und manchmal lustig. Auf der anderen Seite trage ich eine für alle offensichtliche Schwäche mit mir herum. Jeder kann sofort sehen, dass ich in meinem Leben schon harte Zeiten erlebt habe. Das wirkt verwirrend, zugleich aber faszinierend auf viele. Und das ist in Ordnung für mich. Auch ich fühle mich von dem mir Unbekannten angezogen. Zum Problem wird es in den Momenten, in denen ich nur auf meine Behinderung reduziert werde und zum Mal-mit-einer-Frau-im-Rollstuhl-geschlafen-haben-Abenteuer abgestempelt werde. Meistens von Männern, die bei Frauen auf den ersten Blick gut ankommen, die schon viele hatten, nun gelangweilt sind und in mir ihre ganz persönliche Herausforderung sehen.

Ich hatte lange Angst, nur auf meine Behinderung reduziert zu werden, bis mir mein damaliger Freund einmal sagte: „Die Einzige, die sich hier reduziert, bist du selbst.“ Mit dieser Wahrheit traf er mich knallhart. Die Möglichkeit, dass mich jemand begehrenswert findet, weil ich sein Typ Frau bin und vielleicht ausstrahle, dass ich kein Mauerblümchen bin, ließ ich außen vor. Und vielleicht versteckte ich mich in diesen Momenten sogar hinter meiner Behinderung. Konnte ich so doch jedes Scheitern mit Männern ganz einfach erklären. Dass mich jemand nicht haben wollte, weil ich womöglich zu dominant, zu vorlaut, zu bescheuert oder einfach nicht sein Typ war, zog ich nur selten in Betracht.

Laura Gehlhaar arbeitet freiberuflich als Coach, Autorin und für den Verein „Sozialhelden“. Über das Großstadtleben und das Rollstuhlfahren bloggt sie unter fraugehlhaar.wordpress.com

Ein anderes Phänomen ist, dass mir aufgrund meiner eingeschränkten Mobilität eingeschränkter Sex unterstellt wird. „Wie soll das funktionieren, wenn du noch nicht mal laufen kannst?“, wurde ich einmal gefragt. Es wird davon ausgegangen, dass ich einfach nur passiv rumliege – der Sex deshalb sowieso nicht gut sein kann. Solche Fragen oder Vorstellungen empfinde ich als dumm. Sie zeugen von einem Mangel an Vorstellungskraft. Wie so nichtkreative Menschen im Bett sind, kann ich mir dann wiederum sehr gut vorstellen.

Das Gute an gutem Sex ist, dass es den guten Sex gar nicht gibt. Jeder muss für sich selbst entdecken, was sich gut anfühlt, wo und wie man zu seiner Befriedigung kommt und Befriedigung zurückgeben kann – ob mit oder ohne Behinderung. Sexualität ist ja nicht einfach da. Sie muss im Laufe des Lebens entwickelt, erforscht und ausgelebt werden. Ein gutes Körpergefühl und Kommunikation sind die Schlüssel zu einem erfüllten Sexualleben. Mit einer Behinderung ist man besonders gezwungen, sich mit seinem Körper auseinanderzusetzen und seine Kreativität zu nutzen. Bringt man dann noch eine gute Portion Humor mit, ist der Spaß schon mal gesichert.

Mit meiner Behinderung begegne ich aber auch oft dem Vorurteil, dass der nichtbehinderte Partner in der Beziehung besonders viele Kompromisse eingehen muss. „Warum tust du dir das an?“ Solche Sprüche musste sich mein Ex-Partner oft anhören. Damals brachte mich das oft in die Verlegenheit, kontinuierliche Überzeugungsarbeit zu leisten und manchmal sogar Dinge schönerzureden, als sie in Wahrheit sind. Ich habe mich geschämt für Dinge, die ich nicht kann oder anders erledigen muss. Und so habe ich mich auf Musikfestivals gequält und kam an meine körperlichen Grenzen. Oder ich habe mir bewusst kein Steak bestellt, weil ich in der rechten Hand wenig Kraft habe, um nicht nach Hilfe beim Schneiden fragen zu müssen. Ich wollte nicht, dass jemand wegen meiner Behinderung einen Kompromiss eingehen muss. Bis ich merkte, dass mich der ständige Drang, eine Normalität beweisen zu wollen, die nach Meinungen anderer nur ohne Behinderungen zu erreichen wäre, viel mehr anstrengte, als offen und ehrlich mit den Folgen der Behinderung umzugehen.

Nicht immer nur nett

Wenn ich heute signalisiert bekomme, dass Menschen mir ein schweres und „unnormales“ Leben aufgrund meiner Behinderung attestieren, gehe ich einfach davon aus, dass diese Leute bisher keine Erfahrungen mit Behinderungen gehabt haben, dass ihnen durch die Medien und anderen gesellschaftlichen Instanzen ein defizitorientiertes Bild von Behinderung vermittelt wurde. Vielleicht wissen sie nicht, dass sich behinderte Menschen genauso aktiv und kompromissbereit in Beziehungen verhalten wie Nichtbehinderte.

Wie in jeder anderen Beziehung auch geht es darum, ein Gleichgewicht herzustellen. Und genauso wie ich in einer Beziehung mit meiner Situation viel antreibe, viel Kraft und Stärke gebe, kann ich auch viel kaputtmachen. Letztendlich schützt eine Behinderung nicht davor, auch mal das Arschloch zu sein. Und so entdeckte ich eines Tages, dass ich meinen damaligen Freund in Sachen persönliche und berufliche Entwicklung überholt hatte. Auch das ist normal in einer Beziehung. Aber ich ging einfach weiter und ließ ihn knallhart zurück, ohne ihm die Chance zu geben, meine Entwicklung zu verstehen und eventuell mitzugehen. Ich stellte meine Bedürfnisse über die des Mannes, den ich mal sehr geliebt hatte.

Es ärgerte mich oft, wenn mein damaliger Freund als der starke, mutige, fürsorgliche Mann glorifiziert wurde, nur weil er sich in eine Frau im Rollstuhl verliebt hatte. Ich fühlte mich als Bittstellerin abgestempelt. Heute weiß ich, dass auch ein Fünkchen Wahrheit in diesen Aussagen steckt. Jeder Mann, der sich für mich entscheidet, muss neben einigen anderen Eigenschaften auch mutig, stark und fürsorglich sein. Kein Mann, der nicht offen für Perspektivwechsel und kreativ ist, Vielfalt erkennt und sie zu schätzen weiß, hätte das Selbstbewusstsein, mich an seiner Seite zu haben. Das liegt aber nicht primär an meiner Behinderung, sondern daran, dass ich die Laura bin, schnelllebig und sehr engagiert. Ich weiß, wie ich funktioniere. Ich urteile streng und manchmal zu hart. Mein Humor ist schwarz, geht gern unter die Gürtellinie, und abends heule ich manchmal, weil ich mich besinne und erkenne, dass ich doch ganz schön viel Glück im Leben gehabt habe.

Und schließlich braucht ein Mann diese Eigenschaften auch, um mit den gesellschaftlichen Vorurteilen umgehen zu können, die meine Behinderung nun mal immer noch begleiten: „Sind Sie ihr Betreuer?“, wandte die Frau hinter der Kinokasse sich an meinen damaligen Freund – und zwar als Antwort auf meine Frage: „Haben Sie noch zwei Plätze nebeneinander für Saal vier!“ Er fasste daraufhin meinen Kopf und presste seinen Mund so heftig auf meinen, wie wir es sonst nur zu Hause taten.

Ja, meine Behinderung ist sichtbar. Sie prägt meine Persönlichkeit und filtert automatisch die Menschen, die nicht mehr in mir sehen als den Rollstuhl als Zeichen für Passivität und Defizit. Meine Behinderung ist mein ganz persönlicher Arschlochfilter.

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