Im Dazwischen

Installation Obwohl sie fiktiv in der Zukunft angesiedelt ist, erzählt Meriem Benannis Arbeit doch von unserer Gegenwart
Ausgabe 08/2020

Die Menschheit wird nicht müde, sich auszumalen, wie ihre Zukunft aussehen könnte. Solche Überlegungen münden dann zumeist in Utopien oder Dystopie. Dass die Zukunft aber auch keins von beiden sein kann, lässt sich in der Installation Party on the CAPS besichtigen, die momentan aufwendig in der Berliner Julia Stoschek Collection inszeniert ist. Das recht lose konstruierte Narrativ der knapp 30-minütigen Achtkanal-Videoinstallation dreht sich um einen 80. Geburtstag. Doch das Geburtstagskind feiert nicht irgendwo, sondern „on the CAPS“. Eine Abkürzung für „capsule“, deutsch: Kapsel. Die befindet sich in einer fiktiven Megacity, die sich Ende des dritten Jahrtausends vor den Toren der USA entwickelt hat. In zweiter und dritter Generation leben dort die Nachfahren derjenigen, die versucht haben, in die USA zu teleportieren und bei dem Versuch abgefangen worden sind. Ursprünglich als temporäres Durchgangslager gedacht, hat sich mittlerweile eine eigenständige Stadt entwickelt, die jedoch immer noch von den Nordamerikanern kontrolliert wird. Ein zwingendes Bild dafür, dass die technischen Möglichkeiten der Zukunft zwar Freiheit und Teilhabe versprechen, diese aber meist höchstens halb einlösen. Auch mit den Mitteln der Teleportation sind Grenzen bewacht und für die meisten unüberwindbar.

Endlich wieder Mitte 20

Auf den ersten Blick scheint sich auch das sonstige Leben kaum vom heutigen zu unterscheiden. Eingeführt wird man von Fiona, einem animierten Krokodil, das zugleich Werbefigur der einzigen Cornflakesmarke, halbmythologisches Wesen und so etwas wie das „Spirit Animal“ der Stadt ist. Neben den Szenen der titelgebenden Party folgt man einem jungen Rapper, erst in ein Schnellrestaurant, wo er lamentiert, wie er durch ein Video zu digitalem Ruhm gelangt ist, dann durch die Straßen „on the CAPS“. Da spielen Kinder am Meer und in den Wolken, hinter der ramponierten Stadt bricht sich das Licht, das der MC als Grenzpatrouille der amerikanischen Trooper identifiziert.

Die gefühlte Gleichzeitigkeit, die sich bereits in unsere Gegenwart einschreibt, hat sich hier voll entfaltet: Screens, die aus Augen hervorbrechen. Körper, die plötzlich keinem physikalischen Gesetz mehr unterliegen und sich im Tanz auflösen. Körper sind hier formbare und austauschbare Hüllen, manche Menschen haben beim Teleportieren auch einen Teil davon verloren. Unversehrtheit ist in der Kapsel kein Qualitätsmerkmal mehr. Doch auch in der Zukunft ist man nicht müde, die Jugend zu glorifizieren, und so feiert man zwar einen 80. Geburtstag, aber gleichzeitig auch die Gesichtsverjüngung der Jubilarin, die nun wieder aussieht wie Mitte 20. Die gesamte Nachbarschaft ist zusammengekommen, um sie zu bestaunen und zu feiern. Wie eine Königin sitzt sie auf einem Thron, während um sie herum eine Gruppe von Percussionistinnen wild performt.

Gefilmt hat Bennani in ihrer marokkanischen Heimatstadt Rabat. Die meisten Darsteller*innen hat die Künstlerin aus ihrer Familie rekrutiert, sie sollen lediglich minimale Handlungsanweisungen bekommen haben. Es ist alles wie immer, nur eben „on the CAPS“. Das Erkennungszeichen dafür, dass man sich „on the CAPS“ befindet, ist die Farbe Grün, die alles dominiert: die Kleidung der Protagonist*innen, sogar das Gebäck ist grün, genau wie Fiona, unser freundlicher Krokodil-Guide. Es sind simple Kniffe, mit denen Bennani diese Welt inszeniert, die doch immer nur einen Fingerbreit neben der vermeintlichen Realität liegt. Sie illustriert ein Dazwischen. So wie einige der Körperteile wohl immer noch zwischen Marokko und den USA hängen, befinden sich auch die Menschen zwar nicht mehr in ihrer Heimat, jedoch auch nicht wirklich „on the CAPS“. Man hat sich arrangiert, mit einem Ort, an den man nie wollte. Über allem schwebt eine kaum formulierte Sehnsucht nach Heimat und einem intakten Körper. Der könnte, wie eine Werbeunterbrechung anpreist, zum Beispiel in Florida auf einen warten. Doch man hat sich im Provisorischen eingerichtet. So erzählt Benannis Arbeit, obwohl fiktiv in der Zukunft angesiedelt, doch mehr über unsere Gegenwart, in der die technischen Veränderungen wie ein Damoklesschwert über uns schweben.

Aber es ist auch eine humorvolle Welt, die sich da zeigt. Eine die laut ist und in der die Menschen trotz konstanter Unsicherheit eine Menge Spaß haben und sich feiern. Das Leben geht eben immer weiter und der Mensch gewöhnt sich an alles.

Inszeniert ist das Ganze mit verschiedenen Sitzgelegenheiten, die Benanni extra mit weißem Kroko-Lederimitat hat beziehen lassen. Vor der einen Leinwand hängt eine Lupe, die das ständige Heranzoomen und Skalieren, das man dank eingebauter „eye-phones“ „on the CAPS“ gewohnt ist, noch deutlicher macht. Genauso zerstückelt, wie uns fremde Realitäten im Internet als kurze Momentaufnahmen gezeigt werden, nehmen wir „the CAPS“ wahr. Bennani schafft es, eine konkrete Sequenz aus einem möglichen neuen Leben heranzuzoomen und uns so einer möglichen Zukunft näherzubringen. Einer Zukunft, in der alles ein bisschen anders ist und das meiste womöglich beim Alten bleibt.

Party on the CAPS Meriem Bennani Julia Stoschek Collection, Berlin, bis 3. Mai 2020

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