Warum junge Erwachsene um Unterhalt kämpfen müssen: Volljährig und ohne Kohle
Trennungskinder Von wegen Familie als Solidargemeinschaft: Nicht selten müssen erwachsene Kinder auf Unterhalt klagen. Eine ethnografische Studie liefert neue Erkenntnisse zu der Frage, wie volljährige Kinder ums Geld von ihren Vätern kämpfen müssen
Bares, Cash, Moneten: Wichtig, vor allem für junge Heranwachsende
Illustration: Johanna Goldmann für der Freitag
Laura, deren Eltern sich getrennt haben, als sie drei Jahre alt war, und die derzeit ein unbezahltes Praktikum im Ausland macht, erzählt: „Es kam ein Brief vom Jugendamt, wo stand: Okay, wir sind jetzt raus der Sache, wir zahlen nicht mehr. So und so viel steht dir noch zu. Mach damit, was du willst. – Ich habe mich sehr allein gelassen gefühlt.“
Nach Paragraf 1609 des Bürgerlichen Gesetzbuches rutschen Trennungskinder mit der Volljährigkeit im Unterhaltsanspruch von der ersten Stelle (für minderjährige Kinder) auf die vierte Stelle und kommen somit erst nach den geschiedenen Ehegatten. Was das für junge Erwachsene bedeutet, deren Väter nicht freiwillig Unterhalt zahlen, nimmt die ethnografische Studie des promovierten Ethnologen Fel
ologen Felix Gaillinger unter die Lupe. Alle hier geschilderten Fälle stammen aus seinem Buch Um den Unterhalt kämpfen!Chiara war bis zu ihrem 13. Lebensjahr fast jedes Wochenende bei ihrem Vater zu Besuch. Noch heute telefonieren sie fast regelmäßig, doch über Geld zu sprechen ist tabu. „Er zahlt mir jetzt keinen Unterhalt mehr, weil ich ja zu Hause wohne und sozusagen meine Mutter alles für mich zahlen kann.“ Für Dorian wird das Thema Geld erst mit 19 zum Thema, als er ausziehen will und seine Mutter ihn auffordert: „Mach dir mal Gedanken darum, wie das dann mit dem Unterhalt läuft.“Am Beispiel von Laura, Dorian und Chiara untersucht der Kulturwissenschaftler Felix Gaillinger drei Verhaltensstrategien, die auf eine ähnliche Konfliktkonstellation reagieren: Ein junger Mensch, auf sich gestellt, steht einem Vater gegenüber, zu dem eine vertrauensvolle Beziehung fehlt, und will finanzielle Ansprüche durchsetzen, von denen er kaum etwas wusste.„Ganz schön rauer Ton“Laura wendet sich schriftlich an ihren Vater und droht ihm „rein vorsorglich“ mit einem Anwalt. Chiara geht zum Jugendamt, wo ihr eine schriftliche Unterhaltsaufforderung empfohlen wird, von Paragrafen durchsetzt.Chiara kann sich nicht so recht mit dem vorformulierten Schreiben der Beraterin anfreunden: „Ich dachte mir, hui, das ist ein ganz schön rauer Ton, der da an den Tag gelegt wird, wo sie dann meinte: Es ist nett, wenn man ,Hallo Papa‘ schreibt, weil sie teilweise Jugendliche dort sitzen hat, die schreiben: ,Hallo Erzeuger‘.“ Obwohl beide jungen Frauen „Hallo, Papa“ schreiben, reagieren ihre Väter ablehnend.Der Autor betont, dies sei nicht auf fehlende finanzielle Ressourcen zurückzuführen. Beide Väter seien gut situiert. Es seien andere Gründe, die sie bewegen. Gründe, die auf Väterrechtsseiten im Netz so benannt werden: „Warum soll ich die Hälfte von meinem Lohn abgeben? Das macht überhaupt keinen Sinn.“Der Charme von Felix Gaillingers Studie liegt in der Kontextualisierung der Fallgeschichten durch Skizzierung der kulturell tradierten normativen Erwartungen an Väter und an den Staat. Der Fokus des Interesses liegt weniger auf den rechtlichen Rahmenbedingungen als vielmehr auf dem aktiven Umgang junger Erwachsener als „Expert:innen ihres eigenen Lebens“ mit einem Anspruch auf finanziellen Unterhalt, über den sie meist eher rudimentär informiert sind.In funktionierenden Familien kein ProblemWas die beiden jungen Frauen erleben, bestätigt die Einschätzung des französischen Soziologen Pierre Bourdieu, dass Beziehungen, die auf eine rein ökonomische Dimension reduziert werden, als feindselig wahrgenommen werden.Ob diese grundlegend ablehnende Haltung auf die konkreten Väter von Laura und Chiara zutrifft, bleibt offen. Zu vermuten ist, dass sich die bereits gestörten Beziehungen zu ihren Töchtern durch die schriftlichen Forderungen weiter verschlechtern. Laura klagt: „Er geht dann immer so auf die Schiene, wir sind Familie.“ Und Chiara stellt fest, dass es ihren Vater „krass aufgeregt hat, dass ich nicht persönlich mit ihm geredet habe“. Mit dem 18. Geburtstag stellt die Unterhaltsvorschusskasse ihre Leistungen ein, mit denen sie Säumnisse nicht zahlender Väter bis zur Volljährigkeit ausgleicht.Von einem Tag auf den anderen ist nicht mehr die alleinerziehende Mutter diejenige, die den Unterhalt ihres Kindes geltend machen kann, sondern das nun erwachsene Kind muss selbst für seine Rechte eintreten. In funktionierenden Familien ist das kein Problem. Kinder aus strittigen Trennungsfamilien geraten aber mit der Volljährigkeit in eine soziale Isolation, die dadurch begünstigt wird, dass bereits ihre Mütter ihre Ansprüche nicht gegen die Väter durchsetzen konnten und der Staat sich von heute auf morgen aus der „Oberelternschaft“ zurückzieht.Dass viele alleinerziehende Mütter den Unterhalt für ihre minderjährigen Kinder nicht zu erstreiten versuchen, hat bereits die Studie des Bundesfamilienministeriums Wenn aus Liebe rote Zahlen werden aus dem Jahr 2003 damit erklärt, dass die Beziehung des Kindes zum abwesenden Elternteil nicht belastet werden solle. „Auch Laura wägt hier sorgfältig ab. Die Art und Weise als auch die Konsequenz, mit der sie ihre Forderung nach Unterhalt durchsetzen möchte, ist nicht von der Beziehungsqualität zu ihrem Vater loszulösen.“Erfolgreiche StrategieErfolgreich hingegen ist die Verhaltensstrategie von Dorian, der sich zu einem persönlichen Treffen mit seinem Vater überwindet und zu seiner eigenen Überraschung als Ergebnis mehr Unterhalt erhält, als er erwartete: „Er kam dann: Wie machen wir das denn jetzt mit dem Unterhalt? Also er hat mich als Sohn gefragt. Und dann habe ich gesagt: Okay, ich vermute mal, dass du deutlich über der Einkommensgrenze bist. Dementsprechend muss man dieses Unterhaltsverhältnis individuell regeln. Also entweder wir einigen uns persönlich, oder wir müssen das ein Gericht klären lassen. Und dann hat er gesagt: Wir werden uns persönlich schon einig. Was wir dann auch sind.“Die Studie legt den Finger exakt auf den wunden Punkt im Umgang mit Trennungsfamilien als „nicht ganz aufgelösten postfamilialen Normalfamilien“. Die Unterhaltsleistungen der zahlungsfähigen Väter sind abhängig von deren Goodwill und dem Verhandlungsgeschick der erwachsenen Kinder.Auf schmalen 131 Seiten führt Felix Gaillinger vor Augen, wie das kulturell und rechtlich verankerte Ideal von Familie als Solidargemeinschaft mit der Dysfunktionalität von Trennungsfamilien kollidiert, in denen Väter sich ihrer Verantwortung entziehen.Die eher rudimentären Hilfsangebote des Staates wirken selbst da, wo sie – wie beispielsweise in München – vorhanden sind, eher kontraproduktiv, weil sie, ebenso wie anwaltliche Beratung die bereits gestörte Beziehungsebene vernachlässigen, die neben der rechtlichen Dimension der finanziellen Ansprüche des volljährigen Kindes eben auch noch besteht.Vom Spielball zum Akteur„Chiaras individuelles Gefühlsmanagement wird rationalisiert und gehemmt durch die Institutionen, mit denen sie zu tun hat“, schreibt Gaillinger. Und die rein rechtliche Beratung lasse die Beziehung zum Vater unberücksichtigt: „Dadurch entsteht die Gefahr neuer Eskalationen, durch welche die persönliche Beziehung zum Vater dergestalt verändert wird, dass eine größere Verweigerung erreicht wird.“Dass Felix Gaillinger diesen Zusammenhang so deutlich erkennt, ist auch auf seine persönliche Geschichte zurückzuführen. Er hat selbst erlebt, als Trennungskind mit Eintritt der Volljährigkeit vom Spielball im Konflikt seiner Eltern zum Akteur zu werden: „Lauras Schreiben erinnert mich an die Briefe, die ich selbst an meinen Vater sendete, als ich mich in einem Unterhaltskonflikt mit ihm befand. Ich forderte ihn in meinem Schreiben auf, mich zu siezen und jegliche persönliche Seitenhiebe sein zu lassen.“Statt wissenschaftlicher Distanz bietet die ethnografische Studie engagiertes Erkenntnisinteresse, das vor allem „JuristInnen, politisch gestaltende und behördliche Vertreter:Innen“ erreichen möchte, „die in das dichte Geflecht aufreibender Unterhaltskonflikte involviert sind“.Der Autor deckt die Überforderung junger Erwachsener und zugleich eine Lücke in der staatlichen Unterstützung von Trennungsfamilien auf. Zu Recht verweist er auf die Notwendigkeit, die Trennung von Eltern „nicht als ein die Familie und damit auch familiäre Solidarität auflösendes Ereignis zu sehen“, sondern eine Neudefinition zu erwirken, um der „lebenslangen Verpflichtung gegenüber Kindern“ gerecht zu werden.Placeholder infobox-1